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zum bevorstehenden Jahrestag der Republik, der jährlich am 7. Oktober, dem Gründungstag der ersten sozialistischen Republik auf deutschem Boden begangen wird, nichts. Straßen, Häuser, Plätze, öffentliche und private Gebäude waren mit Fahnen und Losungen über neue Kampf- und Produktionsziele dekoriert. Die von den Tageszeitungen veröffentlichen Losungen zum Jahrestag der Republik waren überall und vollständig präsent.

      Die Lebensqualität der Bewohner der Stadt verbesserte dies trotz der rituellen Demonstration der vermeintlichen Verbundenheit der Bevölkerung mit Partei und Regierung nicht. Die Menschen nahmen die verordnete Feststimmung kaum zur Kenntnis. Das tatsächliche Leben der Bürger fand in den Wohnungen, im Kleingarten und in Wochenendgrundstücken statt. Dort war trotz der überall spürbaren Mangelwirtschaft Fantasie- und Organisationsvermögen sichtbar. In diesem Bereich fand ein zweites Leben der Menschen statt. Im Kreis von Freunden, Familien und Nachbarn herrschten Solidarität und ein gemeinschaftliches Zusammenleben, frei von rituellen Bekenntnissen vor. Dieser Lebensbereich war trotz mehr als 30jähriger sozialistischer Propaganda und Erziehung weitestgehend privat. Hier wurden die Bekanntschaften und Beziehungen geknüpft und gepflegt, die Menschen brauchten, um überhaupt in der durch die sozialistische Planung geschaffenen Mangelwirtschaft einigermaßen zurecht zu kommen. Als Kreisstadt sind in der Stadt die Kreisverwaltung, eine Kreisleitung der SED, ein Volkspolizeikreisamt und eine Kreisverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit, ein Kreisgericht und eine Kreisstaatsanwaltschaft als regionale Institutionen des Staats- und Parteiapparates vorhanden.

      Kapitel 1

      Petra Schöne war 24 Jahre alt. Sie hatte in der nahe gelegenen Universitätsstadt studiert und im Frühjahr des vergangenen Jahres das Examen als Ingenieurökonom abgelegt. Sie arbeitet als Absolvent in dem VEB Musikinstrumentenbau unserer Stadt. Es war ihre erste Anstellung nach dem Studium. Sie war froh, dass dies so geklappt hat. Die Berufslenkungskommission an der Universität war sehr bestimmend und sie hatte die Argumente des Vorsitzenden der Lenkungskommission immer noch im Ohr: „ Die sozialistische Gesellschaft hat Ihnen das Studium ermöglicht, nun müssen Sie auch bereit sein, einen Einsatzort zu akzeptieren, an dem Sie tatsächlich gebraucht werden! Persönliche Interessen spielen dabei eine untergeordnete Rolle.“ Johann Klinger, von ihr liebevoll Hans genannt, war ihr Freund. Mit ihm war sie seit Beginn des Studiums zusammen. Er schloss sein Studium im gleichen Jahr an derselben Universität als Volkswirt ab. Ihn hatte die Lenkungskommission in diese Stadt zur Kreisdirektion der Staatlichen Versicherung vermittelt und eingewiesen. Seit September des vorigen Jahres wohnte sie mit ihm hier in einer kleinen Altbauwohnung in der Neustadt in einer Lebensgemeinschaft. Die Wohnung bestand aus zwei Wohnräumen, einer Küche und einem Bad. Sie befand sich im dritten Obergeschoss in einem Altbau in dem östlichen Teil der Stadt. Die Wohnung war mit Ausnahme des Badezimmers ohne jeden Komfort. Alle Räume waren zur Beheizung mit Kohleöfen ausgestattet. Auch das warme Wasser für das Bad musste mit einem Kohlebadeofen bereitet werden. Dennoch waren sie froh, nach dem Studium eine eigene abgeschlossene Wohnung zugewiesen erhalten zu haben. Im Rahmen der öffentlichen Bewirtschaftung von Wohnraum durch die Stadtverwaltung war dies keinesfalls selbstverständlich.

      Gegenwärtig saß Petra im Pkw Moskwitsch 1500 des Abteilungsleiters für Materialwirtschaft des Volkseigenen Betriebes (VEB) Musikinstrumentenbau. Sie befand sich auf dem Rückweg zum Hauptsitz des Unternehmens. Die Inventur in einem Außenlager in der benachbarten Kreisstadt war heute abgeschlossen worden.

      „Soll ich Sie zu Hause absetzen?“

      „Nein, ich muss nochmals in den Betrieb, vielen Dank.“

      Der Abteilungsleiter stimmte zu. Wenige Augenblicke später hielt das Fahrzeug auf dem Betriebshof in der Bahnhofstraße. Petra ging zu ihrem Arbeitsplatz. Es war gegen 16:30 Uhr und die meisten Mitarbeiter waren gerade im Begriff, das Betriebsgelände zu verlassen oder sie waren bereits auf dem Heimweg. Petras Arbeitsplatz befand sich im Erdgeschoss des Hauptgebäudes. Sie ging durch einige Gänge in ein Materiallager. Dort entnahm sie einem Regal zwei Notenständer aus Metall, mehrere Spannschrauben und zwei Ständer für Trommeln. Diese Gegenstände trug sie in ihr Arbeitszimmer. Sie war erleichtert, dass niemand sie gesehen hatte. Sie verschloss die Tür und ging über den Hof zur Pforte.

      „Guten Tag und einen angenehmen Feierabend.“ Paul Alter war bereits Rentner, mit der Anstellung als Pförtner in dem Betrieb besserte er seine bescheidene Rente auf. Die junge Frau fand er sehr sympathisch. Sie hatte ständig ein nettes Wort für ihn, sie war überhaupt nicht überheblich oder so hochnäsig, wie mancher andere der studierten jungen Leute. Petra winkte dem Pförtner zu, ein netter alter Herr, immer freundlich. – Sie musste sich beeilen, auf dem Heimweg musste sie noch einige Einkäufe erledigen und um 18:30 Uhr wollte sie sich mit Hans in der Eisdiele am Bahnhof treffen. Die Instrumententeile mussten abgeholt werden. Anschließend nach Leipzig in die Oper, das wurde eng. Hoffentlich kommt Hans rechtzeitig. Hans – sie liebte ihn. Seine zurückhaltende, schüchterne Art, die gemeinsame Mitgliedschaft in der Jazzband „Blue Singers“, das verband.

      Johann Klinger war ebenfalls auf dem Weg nach Hause. Er war mit seinem Pkw Trabant 601 unterwegs. Er musste noch in die Neustadt zur gemeinsamen Wohnung, um sich umzuziehen und dann zurück bis zur Eisdiele in der Bahnhofstraße, in der er Petra gegen 18:30 Uhr treffen wollte. Er war mit seinem ersten Arbeitsplatz nach dem Studium nicht zufrieden. Nach dem Examen hatte ihn die Absolventenlenkungskommission der Universität hierher vermittelt. Er entstammte einer katholischen Familie aus dem Eichsfeld. Johann Klinger war als Waisenkind in einem Kinderheim der Karitas aufgewachsen, weil seine Eltern in seinem dritten Lebensjahr durch einen Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren.

      Die Stadt seines ersten „Einsatzes“ nach dem Studium hatte ihn von Anfang an irritiert. Der Ort war geprägt durch die chemische Industrie in der näheren Umgebung. Er hatte wenig zu bieten, war schmutzig und heruntergekommen. Johann vermisste die Vertrautheit mit den Bewohnern und mit den Freunden seiner Jugend, die weitläufigen Wälder und Wiesen und überhaupt. – Auch seine Beziehung zu Petra war nicht frei von Spannungen. Er liebte sie. Sie hatte die Stellung in der Instrumentenbaufabrik nur seinetwegen angenommen, um auch nach dem Studium mit ihm zusammen leben zu können. Er wollte jedoch so bald als möglich zurück ins Eichsfeld. Nach dem Studium musste er den unerwünschten und langweiligen Posten bei der Kreisdirektion der Staatlichen Versicherung in dieser Stadt annehmen. Er war als Assistent des Abteilungsleiters der Schadenabteilung für die Landwirtschaft tätig. Im Auftrage dieses Unternehmens war er heute schon den ganzen Tag bei mehreren landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften unterwegs, um die Ursache für Ernteausfälle bei Kleesamen durch Mäusefraß und die Regulierungspflicht der Versicherung zu prüfen. Diese Tätigkeit war sehr spannend und gerade das hatte er sich nach dem Studium vorgestellt.

      Er musste sich beeilen. Petra wartete sicher schon in der Eisdiele. Mit ihr war er bereits seit fünf Jahren zusammen. Sie liebte ihn und er sie. Das Verhältnis zu Petra war das beste und spannendste, dass er bisher erlebt hatte. Er konnte es noch immer kaum glauben, weshalb sie gerade mit ihm ging. Er hatte wenige Freunde in dieser Stadt, nur die Musik. Er war ruhig, zuweilen schüchtern und hatte gelegentlich Hemmungen, mit anderen Menschen eine nähere Beziehung herzustellen. Er war auch kein Adonis. Krauses, schütteres Haar, frühzeitig sich zeigende „Geheimratsecken“ und eine eher magere Gestalt trugen auch nicht dazu bei, ihn vom äußeren Erscheinungsbild her zu einem Mädchenschwarm zu machen. Nur die Musik, ja, wenn er mit der Klarinette spielte. – Was hatte er doch für ein Glück, mit Petra hatte er das große Los gezogen. Die Musik – er musste sich beeilen. Sie wird bald in der Eisdiele sein und bis 18:30 Uhr sollte auch er dort sein.

      Kurz nach 18:30 Uhr betrat Johann die Eisdiele. Petra war schon da. Sie bezahlte, begrüßte ihn und beide stiegen in den ihnen gehörenden Pkw Trabant. Zwei Minuten später erreichten sie die Instrumentenbaufabrik. Abseits und außerhalb des Blickfeldes des Pförtners stellten sie das Fahrzeug ab. Durch eine Lücke im Zaun betraten sie das Betriebsgelände und gingen durch einen Seiteneingang des Hauptgebäudes sofort in Petras Arbeitszimmer. Dort nahmen sie die bereitliegenden Instrumententeile auf und verlassen auf dem gleichen Wege scheinbar unbemerkt das Werksgelände. Der gesamte Aufenthalt im Betrieb hatte kaum mehr als zehn Minuten gedauert. Zu Hause angekommen entluden sie das Fahrzeug. Beide zogen sich um und fuhren gegen 19:15

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