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Die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Martin Renold
Читать онлайн.Название Die Zeit des Zweiten Weltkriegs
Год выпуска 0
isbn 9783738050219
Автор произведения Martin Renold
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Tatsache ist, dass kaum je ein alliiertes Flugzeug heruntergeholt wurde. Während von den deutschen ungefähr jedes zweite abgeschossen worden war, stieg die Abschussrate bei den Alliierten kaum über ein bis zwei Prozent. Und dann war es wohl meist aus Versehen und mit höchstem Bedauern. Natürlich nicht von offizieller Seite. Bei einem Fall handelte es sich sogar um ein führerloses Flugzeug, das über unser Gebiet flog, nachdem die Besatzung schon über Feindgebiet abgesprungen war.
All dies ereignete sich allerdings erst im dritten oder vierten Kriegsjahr. Einmal in jenen Jahren war Sophie, eine Cousine aus dem Aargau bei uns in den Ferien. Es war ein schöner, wolkenloser, fernsichtiger Tag, als ich mit ihr nach Guggeien spazierte, wo man einen großen Teil des Bodensees überblicken kann, und weit in „Feindesland“ hinein. Auf dem Rückweg strolchten wir noch lange im Guggeienwald herum. Ich war verliebt in das zwei Jahre jüngere Mädchen. Doch ich balgte mich oft mit Sophie. Wie anders hätte ich sonst ihren heranreifenden, sich rundenden und lusterregenden Körper berühren dürfen? Was ich als zärtliche Wollust empfand, hielt Sophie für Zudringlichkeit und Streitsucht. Doch je mehr sie sich wehrte, umso heftiger packte ich sie an ihren Armen, zwang sie zu Boden, bis sie in Tränen ausbrach und schließlich abzureisen begehrte. Doch draußen im Freien fühlte sie sich sicher. Und selbst im Wald, wo uns niemand begegnete, hätte ich nicht gewagt, sie festzuhalten, wenn sie vor mir davonsprang und ich sie einzuholen versuchte.
Ich hatte eben eine blauschwarz gestreifte Feder eines Eichelhähers vom Boden aufgelesen, damit Sophies Wangen berührt und sie ihr dann zum Geschenk überlassen, als von der nahen Stadt her die aufheulenden Sirenen ertönten. Fliegeralarm. Doch dies ängstigte uns nicht. Hier im Wald waren wir sicher. Aber plötzlich hörten wir dumpfes Motorengebrumm, das immer näher kam. Ich zog meine Cousine zum Waldrand, wo sich die Wiese sanft zum weiten Talgrund hinunterneigt. Und da sahen wir ganz niedrig über der Talmulde eine Fliegende Festung kreisen. Langsam drehte sie sich, flog auf den Waldrand zu. Wendete. Beinahe über unseren Köpfen. Und dann kam eine zweite, eine dritte und noch eine und noch eine. Alle kamen über den Bodensee herübergeflogen. Schließlich waren es acht oder neun große Bomber. Ein riesiges Karussell, das sich langsam bis zum Kirchturm der Marienkirche im Neudorf drehte. Ich sprang auf die Wiese hinaus, machte mich bemerkbar. Die Piloten mussten mich doch sehen, wenn sie so niedrig flogen. Ich winkte, gestikulierte, zeigte mit beiden Armen nach Westen, Richtung Dübendorf, wo alle angeschossenen amerikanischen Bomber, wenn sie von ihren Luftangriffen auf München oder Friedrichshafen zurückkamen, landen konnten.
Schließlich kamen zwei schweizerische Jagdflugzeuge, kreisten über den fliegenden Festungen, und wie folgsame Kinder auf dem Schulausflug hinter ihrem Lehrer zogen die mächtigen Kolosse in Reih und Glied hinter den beiden Jägern dem sicheren Ziel entgegen.
Endalarm. Noch ehe wir zu Hause anlangten und von unserem Abenteuer berichten konnten.
Anfänglich hatten wir den Alarm nicht so leicht genommen. Schon vor dem Krieg waren Sirenen installiert worden, und bei einigen Probealarmen musste die Bevölkerung sofort den nächsten Keller oder Hausflur aufsuchen.
Eines Nachts aber wurde es ernst. Das Heulen der Sirene riss mich aus dem Schlaf. Ich stürzte aus dem Bett, in die Stube. Vater, Mutter und Ruth kamen aus ihren Schlafzimmern. Wir traten ans Fenster. Vater horchte hinaus in die Nacht. Nachdem der unheimliche, auf- und abschwellende Heulton verklungen war, schien die Stille noch lautloser zu sein als in anderen Nächten. Nur das Herzklopfen. Die Dunkelheit war eine schwarze Unendlichkeit voller Furcht und Grauen. Ich zitterte am ganzen Leib. Kommen die Deutschen? Haben auch wir jetzt Krieg? Vater beschwichtigte. Nein, nein, ihr braucht keine Angst zu haben. Die Deutschen kommen nicht mitten in der Nacht. Am Morgen in der Frühe. Doch nicht um diese Zeit. Aber sicher war er wohl auch nicht. Vermutlich ist ein Flugzeug eingeflogen.
O diese unheimliche Stille, diese Dunkelheit. Kein Licht. Die Nacht stockfinster. Diese Angst. Todesangst. Würde nun doch alles kommen? Bomben? Zerstörung? Besetzung? Gestapo, Schrecken und Tod? – Und dann auf einmal die Erlösung. Das gleichmäßige Heulen der Sirenen. Das Ausklingen und vom Hagenbuchwald herab das Echo – oder war es eine entfernte Sirene? Und dann war wieder alles wie zuvor. Und doch nicht. Der Schlaf war anders. Die Unsicherheit blieb. Die Angst, ob nicht doch am Morgen die deutschen Panzer über die Rheinbrücken und durch die Straßen rasselten.
Vater schaltete frühmorgens den Lautsprecher ein. Zum Glück war nichts geschehen.
Auch in der Schule nahm man den Alarm ernst. Die ersten paar Male mussten wir ein dunkles Kellergewölbe aufsuchen. Einen Luftschutzkeller gab es nicht. Dicht gedrängt saßen wir in dem niedrigen Tonnengewölbe auf dem Boden, wann immer es sich traf am liebsten natürlich neben einer heimlich geliebten Schulkollegin.
Als sich die Alarme häuften, manchmal zwei-, dreimal am Tag, wurde auf dem Dach des Schulhauses eine hölzerne Zinne errichtet. Abwechslungsweise wurden vier Schüler aufgeboten, um mit dem Feldstecher in alle vier Himmelsrichtungen zu spähen. Beim Sichten eines Flugzeuges wurde ein internes Klingelzeichen ausgelöst. Erst dann wurden die Schulzimmer geräumt.
Auch ich musste einmal aufs Dach steigen. Doch außer Tauben, Schwalben und Spatzen flog uns nichts vor die Ferngläser.
Mit der Zeit fühlte man sich sicherer. Eines Tages, während der letzten Vormittagsstunde, ertönte zehn Minuten nach dem Fliegeralarm das Klingelzeichen. „Los, in den Keller!“, befahl unser Geografielehrer. Doch es war ein so schöner Sommertag. Zusammen mit einigen Kollegen flüchtete auch ich durchs Fenster im Hochparterre. Während die andern schon davonrannten, half ich Vania, die auf den Sims gestiegen war, aber noch zögerte. Ich streckte ihr die Arme entgegen und fing sie auf. Vania, ein Auslandschweizermädchen, war mitten im Schuljahr aus Paris gekommen. Ich hatte mich in sie verliebt. Aber sie hatte sich einen Anderen zum Freund gewählt. Zusammen bummelten wir durch die Stadt. Bis die Entwarnung kam. Unter der Tür stand Hungerbühler, unser Pedell. Das bedeutete Arrest. Ich konnte gerade noch Vania am Ärmel fassen und sie hinter die nächste Hausecke ziehen.
Doch so harmlos wie an diesem Tag war es nicht immer. Bomben fielen auf Schaffhausen, auf Stein am Rhein, das alte historische Städtchen. Viele Häuser wurden zerstört. Dutzende Menschen kamen ums Leben. In der Nähe von Zürich und Basel fielen Bomben auf Bahngleise und Güterbahnhöfe. Nicht weit von den Bombeneinschlägen bei Zürich befand sich die Waffenfabrik Bühle. Die Schweiz war gewarnt.
Bei nächtlichen Fliegeralarmen gingen wir nicht in den Keller. Wir hatten uns schon zu sehr daran gewöhnt. Die Engländer, die nachts kamen, wollten doch nur der deutschen Fliegerabwehr ausweichen.
Aber dann kam jene Schreckensnacht, als Friedrichshafen bombardiert wurde.
Nach dem Alarm war ich wieder eingeschlafen. Ein Brummen von schweren Flugzeugen weckte mich wieder. Das mussten Dutzende sein. Aus der Stube vernahm ich die Stimmen der Eltern. Dann ein Zittern wie bei einem Erdbeben. Ich schwang mich aus dem Bett, eilte zur Tür, wollte sie öffnen. Aber es war, als risse mir ein unsichtbarer Geist die Klinke aus der Hand. Der Luftdruck. Der Sog. „Mach das Licht aus!“, rief mir Vater zu. Auch Ruth kam über den dunklen Korridor herbeigeeilt. Vater hob das schwarze Rouleau aus Wachstuch, das wegen der befohlenen Verdunkelung hinter dem Fenster angebracht war. Von draußen drang unerwartetes Licht in die Stube. Vater zog das Rouleau ganz hoch, und alle vier schauten wir in die Nascht hinaus, die keine Nacht mehr war. Große leuchtende Kugeln hingen über dem Hagenbuchwald, über der Eggersrieter Höhe. Es war, als fiele der Sternenhimmel ganz langsam auf die Erde nieder. Alles war taghell erleuchtet.
Und wieder ein Zittern in der Luft und im Gemäuer.
„Rasch in den Keller!“, befahl der Vater. Wir schlüpften schnell in unsere Kleider, zogen Hemd und Hosen über die Pyjamas und eilten über die Treppe in den Keller hinunter. Es war kein ausgebauter Luftschutzkeller. Er war nur halb unter dem Boden und diente zum Lagern von Obst und Kartoffeln und im Winter für die Briketts, mit denen der einzige Kachelofen in unserer Wohnung geheizt wurde.
Von draußen drang das unheimliche Dröhnen der Flugzeuge herein.
Irgendwo fielen schwere Bomben. Es hörte sich an wie nicht allzu fernes Donnerrollen. Die Erschütterung löste