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Mord und andere Scherereien. Sylvia Giesecke
Читать онлайн.Название Mord und andere Scherereien
Год выпуска 0
isbn 9783847654186
Автор произведения Sylvia Giesecke
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Seit vorgestern wird ein zehnjähriges Mädchen aus Deutschland vermisst. Die Kleine wurde zuletzt auf dem Wochenmarkt in der Altstadt gesehen.“
„Mein Gott, das ist ja schrecklich. Hoffentlich ist sie nicht ertrunken.“
Der Polizist zog die Stirn kraus, „Wie kommen sie denn da drauf?“
„Na ja, der Markt ist schließlich nicht allzu weit vom Wasser entfernt und Kinder spielen doch bekanntlich gerne am Wasser.“
„Da wir bis jetzt noch nichts gefunden haben, gehen wir davon aus, dass das Kind noch lebt. Haben sie vielleicht ein verdächtiges Boot bemerkt oder war irgendjemand hier auf der Insel?“
„Nein, ich habe nichts und niemanden gesehen.“
„Falls hier doch noch jemand auftaucht oder sie etwas Ungewöhnliches sehen, dann geben sie bitte über Funk bescheid.“
„Das werde ich selbstverständlich tun.“
„Dann auf Wiedersehen und noch einen schönen Tag“, der groß gewachsene Mann kehrte ihm den Rücken und war gerade im Begriff zu gehen, doch plötzlich hielt er inne. „Dürfte ich wohl noch einen kurzen Blick in den Leuchtturm werfen?“
Genau das hatte Valentin befürchtet, „Äh, … ich weiß zwar nicht, was sie dort zu finden hoffen, aber bitte, tun sie sich keinen Zwang an. Sie glauben doch nicht etwa, dass ich dieses Mädchen entführt habe, … oder?“
Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung, „Ich glaube gar nichts, ich möchte einfach nur einmal in diesen Leuchtturm schauen.“
„Ganz wie sie meinen“, Valentin ging voran und hielt ihm die Tür auf. Der Polizist trat ein und richtete seinen Blick zunächst nach oben. „Wenn sie mögen, dürfen sie gerne hinaufsteigen. Von da aus haben sie eine ausgezeichnete Aussicht auf die ganze Insel.“
„Das ist nicht nötig, vielen Dank.“ Erst jetzt bemerkte er die hölzerne Klappe am Boden, „Was ist dort unten?“
„Nur Kisten und ein paar überflüssige Möbel.“
Er kam nicht umhin sie zu öffnen, „Gibt es dort unten kein Licht?“
„Natürlich gibt es dort Licht“, Valentin betätigte einen der Schalter neben der Tür und der Polizist verschwand in der Tiefe. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam er wieder nach oben. „Und, … ist alles zu ihrer Zufriedenheit?“
Er klopfte sich den Staub von der Uniform, „Alles ist bestens. Bitte entschuldigen sie die Störung, aber wir dürfen nun mal keine Möglichkeit außer Acht lassen. Nochmals einen schönen Tag, Herr Fröhlich, und nichts für ungut.“
Als das kleine Boot endlich ablegte, spürte er, wie die Spannung von ihm abfiel. Doch er wollte sichergehen, dass sie nicht wieder kehrt machten, deshalb schaute er ihnen noch ein ganzes Weilchen nach. Erst als das Boot auf Punktgröße geschrumpft war, ging er zum Grab des unbekannten Haustieres und räumte die Steine beiseite. Vor knapp einem halben Jahr hatte ihn die Langeweile dazu überredet, die Ruhestätte einmal genauer zu untersuchen. Damals stieß er auf eine lackierte Holzkiste und hoffte zunächst auf einen wertvollen Schatz. Bedauerlicherweise fand er lediglich die in Tücher eingewickelten Gebeine eines größeren Hundes, die er anschließend im Meer entsorgte. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, wozu er sie mal gebrauchen könnte, reinigte er das gute Stück, beließ es an Ort und Stelle und versetzte alles wieder in seinen Urzustand. So brauchte er jetzt nur noch ein paar Löcher in den Deckel zu bohren, das Kind ein wenig zu verschnüren und mit einem Knebel zu versehen. Er öffnete den Deckel, hob sie heraus und befreite sie vom Klebeband. Zwar wirkte sie ein bisschen mitgenommen, schien aber sonst in Ordnung zu sein. „Na los, ab zum Haus. Du kannst noch eine Kleinigkeit essen, danach ist es an der Zeit, dass du dich endlich nützlich machst.“
Sie stemmte ihre kleinen Hände in die Hüften und kniff die Augen zusammen, „Du bist ein ganz gemeiner, blöder Mann und ich hasse dich total.“
Valentin kam nicht umhin laut loszulachen, „Na und, … weißt du, wie egal mir das ist? Wenn man liebt, wird man eh nur beschissen. Und jetzt lauf zu, wir haben schließlich nicht ewig Zeit.“
Während sie sich über das Spiegelei hermachte, wollte Valentin ein paar Regeln aufstellen, „Hör zu, Mädchen, …“
Sie schnaufte vor Wut, „Ich heiße Maja, verstehst du, … Maajaa.“
„Es ist mir völlig wurscht, wie du heißt. Halt gefälligst die Klappe, iss dein verdammtes Ei und hör mir zu. Wenn du mich noch einmal unterbrichst oder mir nicht absolut gehorchst, dann sperre ich dich nämlich sofort wieder in diese Kiste. Hast du das verstanden?“
Die Kleine nickte eingeschüchtert, „Ja.“
„Also gut, du wirst dich ab sofort um das Haus und den Garten kümmern. Putzen, waschen, kochen, Unkraut jäten. Ich will, dass hier alles picobello ist. Wenn du etwas nicht kannst, dann werde ich dir eben zeigen, wie es geht. Kannst du schwimmen?“
Sie nickte erneut, „Ich habe erst kurz vor dem Urlaub meinen Freischwimmer gemacht.“
„Schön für dich. Falls du auf die glorreiche Idee kommen solltest, von der Insel abzuhauen, dann kann ich dir jetzt schon verraten, dass es nicht funktionieren wird. Das Wasser ist eiskalt, die Strömungen sind unberechenbar und außerdem gibt es hier unzählige Haie, deren Leibspeise kleine Kinder sind. Du würdest es also garantiert niemals bis ans Festland schaffen. Ist das soweit angekommen?“
Maja verdrehte die Augen, „Ich bin zwar ein Kind, aber deshalb noch lange nicht blöd.“
„Zügel dein Mundwerk, Mädchen, sonst liegst du schneller wieder in der Kiste, als du gucken kannst.“ Valentin lief kreuz und quer durch die Küche und überlegte. Hatte er möglicherweise irgendetwas vergessen? Das Funkgerät und die scharfen Messer waren unter Verschluss, alle Gefahrenquellen schienen beseitigt. Doch dann durchfuhr es ihn siedend heiß. In einer Schublade des Küchenschranks lag noch immer die Waffe, die ihm sein Vater unmittelbar vor seinem Auszug überreicht hatte. Valentin kramte sie heraus, öffnete das Säckchen und starrte auf das totbringende Stückchen Metall. Niemals würde er die Worte seines gefühlskalten Erzeugers vergessen: Ich habe hier noch ein Abschiedsgeschenk für dich. Falls du deinem jämmerlichen Dasein mal spontan ein Ende bereiten willst, sollte das auf gar keinen Fall an der Umsetzung scheitern. Nimm sie, dann kannst du dir zu gegebenem Anlass eine Kugel in den Kopf jagen. Zunächst hatte er sie wütend in die Mülltonne geschmissen, um sie zwei Stunden später dann doch wieder herauszufischen. Obwohl er sich fest vorgenommen hatte sie niemals zu benutzen, wurde sie trotzdem zu einem ständigen Begleiter. Valentin packte sie zu den anderen Dingen, verschloss den Schrank und steckte den Schlüssel in seine Tasche.
***
In der ersten Zeit weinte das Mädchen sehr viel, war störrisch wie ein Esel und lehnte sich ständig gegen ihn auf. Valentin kam nicht umhin, sie wieder und wieder mit Einzelhaft in dieser Kiste zu bestrafen. Erst nach einem knappen halben Jahr schien sie sich endlich mit ihrem Schicksal arrangiert zu haben und Valentin konnte die Zügel etwas lockerer lassen. Sie durfte sich frei auf der Insel bewegen, nur wenn das Postschiff kam, musste sie nach wie vor in den Keller.
Maja hatte das Geschirr vom Abendessen fertig gespült und wischte den Tisch ab, „Ich möchte ein Kleid.“
Valentin schaute sie verdutzt an, „Ein Kleid? Wozu brauchst du denn ein Kleid?“
„Ich will nicht immer nur deine Sachen tragen, die sind mir viel zu groß. Ich bin ein Mädchen und Mädchen tragen nun mal Kleider.“
„Was glaubst du was passiert, wenn ich auf dem Festland ein Kleid bestelle? Ich bin doch nicht irre. Du brauchst kein Kleid und du bekommst auch kein Kleid. Basta.“
Doch sie ließ nicht locker, „Du könntest mich in die Kiste sperren und selber aufs Festland fahren, dann würde niemand etwas merken.“
„Nein.“