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der Zusammenkunft zu eröffnen.

      „Guten Tag allerseits“, begann er in amtlichem, Distanz schaffendem Ton. „Wir haben heute etwas äußerst Wichtiges zu besprechen. Es wird für das weitere gedeihliche Zusammenleben unserer Dorfgemeinschaft entscheidend sein …“

      „Tschuldigung“, unterbrach ihn der Maler. „Ich muss mal eben ganz dringend für kleine Jungs.“

      „Kann das nicht warten?“, schimpfte der pensionierte Kriminalkommissar. „Wir wollen endlich anfangen.“

      „Nein, kann es nicht“, erwiderte Mostacci grinsend und stand auf. Er schlurfte in Richtung Stilles Örtchen, drehte sich aber noch einmal um. „Fangt ruhig schon mal an, ich weiß eh, worum es geht.“

      Adalbert Schittenhelm sah seinen Cousin fragend an. Der zuckte nur leicht mit den Achseln.

      „Also, dann“, hob Adalbert Schittenhelm, etwas verunsichert, erneut an, „zur Sache: Er – kommt – zurück.“

      Betroffenes Schweigen in der Runde. Nur Eberhard Kurz machte ein dümmliches Gesicht. Er wohnte noch nicht lange genug in Waldesruh, um zu wissen, was das bedeutete.

      „Meinst du damit etwa“, unterbrach der Wirt als Erster die Stille ehrlich entrüstet, „dieser verdammte Mordbube will tatsächlich wieder hier leben, mitten unter uns?“

      „Ja, man sollte es nicht glauben, dass er sich das traut“, sagte jetzt Waldemar Schittenhelm.

      „Bist du da ganz sicher?“, wollte Dr. Wollzogen wissen.

      „Ja, als Anwalt habe ich da meine zuverlässigen Quellen“, entgegnete Waldemar.

      „Dann erzähl jetzt allen, was du über unseren Frauenmörder erfahren hast“, forderte sein Cousin ihn auf.

      „Also, das Schwein hat ja jetzt seine zehn Jahre abgesessen. Behauptet aber nach wie vor, er sei unschuldig …“

      „Das nehme ich ihm am meisten übel“, fuhr Brinkmann dazwischen und schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser klirrten. „Wenn er wenigstens zu seiner Tat gestanden hätte! Wie furchtbar muss das für die armen Eltern sein. Sie haben nicht mal ein Grab, wo sie ihre Berit betrauern können. Und mit diesem Halunken sollen wir jetzt wieder zusammenleben? Das geht gar nicht!“

      Mostacci war inzwischen wieder in die Tischrunde zurückgekehrt, hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und mit einem Zug sein Weinglas geleert. Jauerneck sah ganz beiläufig zu ihm hin und bemerkte, wie das Gesicht des Malers während Brinkmanns Statement plötzlich erstarrte. Hatte das mit diesen Ereignissen zu tun? Wusste der Maler etwa Dinge, von denen sie alle keine Ahnung hatten?

      „Natürlich hast du recht“, fuhr Waldemar indessen fort. „Aber hört erst einmal weiter. Am zweiten Januar wird er entlassen. Ich habe mich kundig gemacht. Als Adresse hat er hier sein Elternhaus angegeben.“

      „Unerhört! Was denkt der sich eigentlich?“, riefen die Männer durcheinander.

      „Ich versteh das ja auch nicht“, sagte jetzt Jauerneck in verbindlichem Ton, erkennbar bemüht, die Wogen zu glätten. „Ich habe so oft auf den alten Maurischat eingeredet, es wäre doch für alle Beteiligten …“

      „Das hätten Sie sich schenken können“, platzte Sigismund Mampel dazwischen. „Verlorene Liebesmüh bei diesem Flüchtlingspack, wenn Sie mich fragen.“

      „Das geht aber jetzt wirklich zu weit, Herr Mampel“, entgegnete Jauerneck erbost. „Das kann so nicht …“

      „Nichts da, man wird doch noch die Wahrheit sagen dürfen!“ Mampel war so außer sich, dass einzelne Speicheltröpfchen noch den Wirt trafen, der ihm genau gegenübersaß. „Der ganz alte Maurischat hat sich damals hier einfach breitgemacht. Nichts hatte der hier zu suchen. Hätte sich eben mit den Russen vertragen sollen! Dann reißt der sich auch noch das Haus von Handke einfach unter den Nagel. Damit hat doch alles angefangen!“

      „Was heißt hier ‚unter den Nagel gerissen‘?“ Jauerneck stieg die Zornesröte ins Gesicht und seine Hände zitterten. „Die Amerikaner haben es ihm als Ostpreußenflüchtling zugeteilt.“

      „Ja, nachdem sie Handke einfach so über den Haufen geschossen haben!“

      „Mann, Mampel, Sie sind ja jetzt schon besoffen! …“

      „Schluss jetzt!“, schrie Dr. Wollzogen sie an wie zwei streitende Schuljungen. „Hört endlich mit den ollen Kamellen auf! Das ist alles siebzig Jahre her, das führt doch jetzt nicht weiter. Irgendwann muss doch mal Schluss sein mit dem alten Mist!“

      Einen Moment war es still am Tisch.

      „Also“, fuhr der Doktor dann fort, „versuchen wir’s doch mal ganz ruhig und sachlich. Wir haben jetzt folgendes Problem: Wolfgang Maurischat kommt zurück. Das wollen wir alle nicht. Wie können wir das verhindern? Waldemar, du bist der Anwalt. Haben wir irgendeine rechtliche Handhabe?“

      Waldemar Schittenhelm antwortete nicht sofort, denn er sah, dass der Vorhang am Windfang gerade wieder zur Seite geschoben wurde und ein Mann mittleren Alters, klein, aber kräftig, mit schwarzen, bürstenmäßig geschnittenen Haaren, die Gaststube betrat. Er hängte seine Winterjacke an die Garderobe, nahm die dort liegende Wochenendausgabe des Heidelberger Tagesanzeigers zur Hand und setzte sich in die Ecke des Raumes, die vom Stammtisch am weitesten entfernt war. Die Wirtin brachte ihm, ohne dass er etwas sagen musste, einen Kaffee.

      „Der Alte schickt mal wieder seinen Spion“, murmelte Dr. Wollzogen in seinen Bart.

      Adalbert Schittenhelm machte eine wegwerfende Handbewegung, als wollte er eine lästige Fliege vertreiben, und forderte seinen Cousin auf weiterzumachen.

      „Rechtlich können wir gar nichts machen“, begann Waldemar Schittenhelm sehr viel leiser als vorher. „Wolfgang hat seine Strafe abgesessen, bis auf den letzten Tag. Eine vorzeitige Entlassung hatte er sich selbst verscherzt, da er sich fortgesetzt geweigert hat zu gestehen. Der kann jetzt wohnen, wo er will.“

      „Was sind das denn für Gesetze!“, ereiferte sich Brinkmann wieder lautstark.

      „Nicht so laut“, raunte Dr. Wollzogen ihm zu. Doch Brinkmann hörte nicht auf ihn.

      „Ja, sollen wir denn mit einem Sittlichkeitsverbrecher in der Nachbarschaft leben? So einer macht doch einfach weiter. Ich hab schließlich drei minderjährige Töchter. Wer schützt die dann?“

      „Das interessiert doch keinen von denen da oben“, erklärte Waldemar mit der Attitüde eines Volkstribuns. „Menschenrechte gelten in unserer sogenannten freiheitlichen Demokratie immer nur für die Täter. So ist das hier. Wolfgang ist ja gar nicht als Vergewaltiger verurteilt worden, sondern ‚nur‘ wegen Totschlags. Als guter Demokrat hat man den nach zehn Jahren Freiheitsstrafe einfach wieder in die Gemeinschaft aufzunehmen, als wäre gar nichts gewesen. Wir müssen ja noch froh sein, dass er damals nicht mangels Beweisen freigesprochen wurde. Das haben die exzellenten Ermittlungen von unserm lieben Herrn Mampel ja gottlob verhindert. Ich sag euch: Darüber nachzudenken, wie wir ihn auf legalem Weg loswerden können, ist Zeitverschwendung. Da läuft nichts. Nicht in diesem Staat.“

      „Also, entschuldigen Sie bitte“, meldete sich Eberhard Kurz etwas schüchtern zu Wort. „Vielleicht mache ich die Sache jetzt ja unnötig kompliziert.“

      „Das fürchte ich“, brummte Mampel vor sich hin.

      „Ist es denn nicht denkbar, dass dieser Maurischat tatsächlich unschuldig ist? Ich meine, schließlich …“

      „Nein, nicht noch einmal, damit sind wir schon lange durch!“, fielen die Anderen geradezu über ihn her.

      „Ich mein ja nur, man hat schließlich keine Leiche gefunden, soviel ich weiß.“

      „Junger Mann“, versuchte Dr. Wollzogen die Gemüter wieder zu beruhigen. „Ich versteh Sie ja, Sie waren damals noch nicht in unserem Dorf. Glauben Sie mir, dieses Thema ist erledigt. Polizei und Gericht

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