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Zum Reinschnuppern. Martin Johannes Christians
Читать онлайн.Название Zum Reinschnuppern
Год выпуска 0
isbn 9783738030051
Автор произведения Martin Johannes Christians
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Artig bedankte er sich beim Tod. Die Tür der Hütte öffnete sich und gab Dankmar den Weg frei. Tod winkte zum Abschied und sagte: »Man sieht sich.«
*Ende*
Die Schneekugel
Spät dran! Wieder einmal. In letzter Zeit passierte ihm das immer öfter. Ob das an seinem Alter lag? Immerhin wurde er nächsten Monat dreiundvierzig. Damit gehörte man in der IT Branche zum alten Eisen. In der auf Jugend getrimmten Welt erst recht. Was taten seine Lebensabschnittsgefährtin Insa und er nicht alles um hip zu bleiben.
Mark nahm den Weg durch den Park, obwohl er dabei schmutzige Schuhe riskierte. Bei einem Nerd hätte das nicht gestört. Früher! Viele Firmen verlangten heute nach angepassten Leuten. Genies waren gut, aber sie hielten sich selten ans Drehbuch. Gingen lieber ihre eigenen Wege. Lieber sah man Leute wie ihn, nicht ganz das Zeug zum Genie, aber immer noch gut und dafür fleißig. Jederzeit bereit Überstunden zu machen, ohne auf Abfeiern oder Bezahlen zu drängen. Die zweite Wahl eben.
Sein Smartphone vibrierte. Er blieb stehen und sah auf das Display. Insa. Sie sagte das gemeinsame Abendessen ab. Ihre Präsentation war vorverlegt worden. Es würde spät werden, also kein warmes Essen heute. Oder er holte sich was im Imbiss. Jedes Silvester versprachen sie sich auf ihre Ernährung zu achten. Und schon nach einem Monat waren die guten Vorsätze dahin. Die Arbeit eben.
Er checkte noch schnell die Wetter App. Es war ein warmer Herbsttag. Das war schön. Mark ging weiter. Wegen der Unterbrechung musste er sich noch mehr beeilen, also einmal quer durch den Busch. Das ging doch gut. Der Boden war trocken. Er duckte sich unter einem Ast durch, als ein kurzes Blitzen seine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Da lag eine Schneekugel. Verblüfft blieb es stehen. Wann hatte er das denn zum letzten Mal gesehen? Bei seiner Oma, oder bei Wanda seiner ersten Lebensabschnittsgefährtin? Er bückte sich und hob die Kugel auf. Sie war klein. In ihrem Inneren hatte gerade ein Schiff Platz und ein Dalben mit einer Möwe darauf.
Er schüttelte die Kugel. Die Schneeflocken tanzten um das Schiff und die Möwe und sanken viel zu schnell auf den Boden zurück. Mark schüttelte sie erneut. Diesmal entfachte er einen wahren Schneesturm. Das ließ sich noch steigern, indem er die Kugel auf den Kopf drehte.
Wieder klingelte sein Smartphone. Beiläufig steckte er die Kugel ein und sah auf das Display. Das war Michelle, oder Madame Avanti, wie er sie bei sich nannte. Seine Chefin. Ob er noch bei Guido vorbeischauen und Cappuccino mitbringen könnte, für die Besprechung. Normalerweise ärgerten ihn solche Ansinnen, aber heute war es eine gute Ausrede für seine nicht mehr abzuwendende Verspätung.
»Kein Problem! Kann nur ein paar Minuten dauern. Sieht voll aus bei G«, log er.
G – so hatte Guido ein Café genannt. Früher hatte er das für cool gehalten, im Moment kam es ihm eher albern vor.
»Das macht nichts. Ich entschuldige dich. Für ihren Cappuccino sind sicher alle zur Nachsicht bereit.« Michelle legte auf und Mark hetzte los.
*
»Cappuccino-man!«, grüßte Andy, der ihn zuerst sah, freudig.
»Hallo, zusammen!«, schmetterte Mark in die Runde. Michelle hätte ihm ruhig sagen können, dass sie sich auf der Terrasse trafen. Oder ihm wenigstens eine SMS schicken. Sie fummelten sowieso alle die ganze Zeit an ihren Smartphones herum. Er stellte die Tüte mit den Pappbechern auf den Tisch und zog sein eigenes Smartphone heraus. Nur eben schnell checken, ob er etwas verpasst hatte.
»Danke dir«, flötete Michelle. »Ich fasse noch mal eben für dich zusammen.«
Und das tat sie. Ausschweifend und mit Kunstworten durchsetzt. Hielt sie ihn für blöd? Oder für zu alt, um einer schnellen Ausführung zu folgen? Dieser Gedanke kam ihm in letzter Zeit immer öfter. Aber wahrscheinlich tat er ihr Unrecht; sie hörte sich halt gerne reden.
»Alles klar.« Mark setzte ein begeistertes Gesicht auf und stürzte sich in die Diskussion. Die Beiträge wirbelten durch den Raum, wie der Kunstschnee in der Kugel. Mit einem Mal hatte er diesen Gedanken bildlich vor Augen. Er grinste.
»Siehst du, Mark ist meiner Meinung. Dein Vorschlag ist lachhaft!«, trumpfte Mike auf. Eigentlich hieß er Michael, aber das war ihm zu altbacken, also nannten ihn alle Mike.
»Er ist ja auch ein Dinosaurier«, nörgelte Sue - Susanne – zurück.
»Jupp!«, hörte Mark sich sagen. »Deshalb trampele ich euch jetzt alle nieder und präsentiere meinen Vorschlag.«
Keiner widersprach. Überrascht sahen ihn alle an. Vor seinem inneren Auge sah Mark die Schneeflocken auf den Boden rieseln. Mit neuer Energie packte er seinen Vortrag an. Alles lief perfekt. Der Beamer funktionierte, die automatischen Jalousien arbeiteten und der Kindergarten hörte ihm zu. Immerhin war er tatsächlich fast dreizehn Jahre älter als der nächste in der Runde.
»Also, das ist...« Michelle stocke und runzelte die Stirn.
Mark brach der Schweiß aus. Seit Monaten hatte er sich nicht mehr so engagiert. Meistens saß er nur da und beobachtete, wie sie gleichzeitig SMSs schrieben, sich unterhielten und einem Vortrag folgten oder Codezeilen in fertige Programme schrieben. Natürlich ohne sie zu kommentieren. Dafür war keine Zeit.
»Das ist gut«, gab Michelle das Urteil vor und dann nickten alle. Auf einmal sahen sie ihn mit anderen Augen an.
Mark genoss seinen Moment, während ein Teil seines Cortex zu begreifen versuchte, was gerade passiert war. Für einen Moment hatte er seine frühere Selbstsicherheit wiedergefunden. Den Drang, seine Worte als wirbelnde Schneeflocken in den Raum zu pusten.
*
Er hatte heute früher Feierabend gemacht. Eigentlich war das ein absolutes No Go in der Firma. Sie fochten stets einen inoffiziellen Wettkampf miteinander aus, wer als erster im Büro war und wer als letzter ging. Das war allerdings nichts IT Spezifisches. In Insas Firma war das genauso. Und bei ihren Freunden und Bekannten auch, egal in welcher Branche sie arbeiteten. Sobald jemand einen guten Job hatte, war das eben so.
Mark ging durch den Park zurück und setze sich auf eine Bank am Teich. Das hatte er schon lange nicht mehr gemacht. Früher hatten Insa und er oft hier gesessen und der untergehenden Sonne zugesehen. Das kam jetzt höchsten noch im Urlaub vor. Aber auch da war das eher selten. Schließlich verpflichtete der Urlaub einen auch zu bestimmten Dingen. Möglichst viel Kultur sehen und Fotos machen, mit dem Smartphone. Die Bilder mussten dann hochgeladen und den Freunden Zuhause zugänglich gemacht werden. Dann wurde es oft doch noch kuschelig, wenn Insa und er die Bilder sichteten und Details entdeckten, die sie vor Ort gar nicht bemerkt hatten.
Er nahm die Schneekugel aus der Tasche und drehte sie in den Händen. Er verschwendete Zeit, wenn er hier müßig herumsaß und nichts anderes tat, als frische Luft einzuatmen und den Enten zuzusehen, die in der Hoffnung auf ein paar Brotkrümel vor ihm auf und ab schwammen. Dumme Tiere, die sich für ein paar Krumen abstrampelten.
Hinter ihm hasteten Männer in Anzügen, den Aktenkoffer unter dem Arm, vorbei; Frauen in Hosenanzügen oder Kostümen, alle auf Pumps und natürlich die allgegenwärtigen Jogger, die gemeinsam mit Rennradfahrern Leute mit Kindern oder Hunden beschimpften.
Er schüttelte die Kugel, hielt sie sich vors Gesicht und betrachtete den See, die Wege und die Menschen durch das Wasser und den künstlichen Schneesturm. Jetzt fiel es ihm wieder ein: Seine Oma hatte so eine Kugel gehabt. Größer! Oder vielleicht erinnerte er sie größer, weil seine Hände damals kleiner gewesen waren. Sie hatten oft beieinander gesessen und über seine Zukunft spekuliert, als er noch ein kleines Kind war. Sie hatten sich nahe gestanden. Trotzdem hatte er sie in den beiden Jahren vor ihrem Tod nicht mehr gesehen. Zu viel zu tun. Erneut schüttelte er die Schneekugel.
Genau das war mit seinen Träumen passiert. Sein Leben auf der Überholspur hatte sie durcheinander gewirbelt, bis sie sich auf dem Boden abgelagert hatten, wo er auf ihnen herumtrampelte.