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Lazarus. Christian Otte
Читать онлайн.Название Lazarus
Год выпуска 0
isbn 9783742741233
Автор произведения Christian Otte
Жанр Языкознание
Серия Die Zentrale
Издательство Bookwire
„Entschuldige, mir ist bei deiner Aufzählung nur der Gedanke gekommen, dass das eine typische Beschreibung ist, wie man sie in einem Onlineprofil findet. Möglichst viele Allgemeinplätze und möglichst wenig Informationen.“
„Was willst du damit sagen?“
„Sagen will ich nichts. Ich habe nur etwas festgestellt. Du hättest mir etwas darüber sagen können, dass du in deiner Freizeit Tennis spielst. Dass du klassische Musik nicht nur liebst, sondern auch selber Geige spielst. Du hättest auch eure Katze erwähnen können. All das hast du nicht getan. Ich schließe daher ...“
„Moment“, unterbrach ihn Anna, „woher weißt du das? Das steht nicht mal bei Facebook?“ Sie war sich gerade nicht sicher, ob sie schockiert oder verwirrt war. Woher konnte er das wissen? Unweigerlich tauchte das Wort „Stalker“ vor ihrem inneren Auge auf.
„Entschuldige bitte, wenn du so freundlich wärst dich wieder zu setzen, werde ich es dir erklären.“ Anna hatte sich bereits erhoben und nach ihrer Tasche gegriffen um unter Protest das Restaurant zu verlassen, doch jetzt setzte sie sich wieder hin. Sie wollte es wohl genauer wissen.
„Als wir von der Bahn hier her gegangen sind hast du dein Gewicht hauptsächlich auf den linken Fuß gelagert. Als du die Jacke ausgezogen hast konnte ich erkennen, dass dein linker Arm beweglicher ist als dein rechter. Das deutet auf die typische Tennismuskulatur und eine kürzlich verheilte Sportverletzung hin. Alternativ hätten es auch Verletzungen vom Kampfsporttraining sein können, aber ich hielt Tennis für wahrscheinlicher. Dass du Geige spielst sehe ich an dem Striemen an deinem Kinn. Die kleine Schramme an der rechten Augenbraue, die Tierhaare an deinem Ärmel und Kratzer an deiner Handkante deuten auf eine Katze.“
„Wow, das... war... erstaunlich“, stotterte Anna, die nun zusammengesunken in ihrem Stuhl saß.
Noch bevor sie wieder Worte fand stelle die Kellnerin einen Korb mit frittiertem Brot und einen mit Besteck auf den Tisch.
„Erstaunlich höre ich da nicht allzu oft“, sagte Alex und deutete der Kellnerin ihm eine weitere Flasche Wasser zu bringen. Anne nippte kurz an ihrem Bier und fragte: „Was hörst du sonst?“
„Normalerweise eine Beleidigung oder das Klatschen einer Ohrfeige.“
Anna prustete in ihr Glas.
„Du hast nicht wirklich viel Erfahrung mit Gesprächen mit Frauen, oder?“
Anna hatte Recht, aber das könnte er ihr auch später noch genauer erklären.
„Lag ich mit irgendwas falsch?“, wollte Alex wissen.
„Ja, wir haben 2 Katzen“, korrigierte Anna.
„So nah dran“, fluchte Alex leise.
Während sie sich trocken tupfte stellte sie eine der Fragen, die Alex eigentlich umgehen wollte: „Netter Trick. Du hörst das bestimmt ständig, aber bist du verwandt mit dem Schriftsteller Doyle, der Sherlock Holmes erfunden hat?“
Alex druckste etwas herum, nickte dann aber.
„Wirklich? Dass überrascht mich doch.“
„Ja, ist ein entfernter Verwandter. Bedauerlicherweise fand mein Vater, dass er irgendwie diese Verbindung deutlich machen müsse.“
„Und wie?“, fragte Anna, die endlich die Flecken getrocknet und für nicht so schwerwiegend befunden hatte.
Alex seufzte. „Mein voller Name lautet Alexander Conan Doyle.“
„Warum nicht gleich Arthur?“
„Weil meine Mutter ihn davon überzeugen konnte, dass ein Kind in Deutschland mit dem Zweitnamen Conan schon genug gestraft sei und stattdessen lieber den Vornamen seines Großvaters tragen sollte.“
„Kluge Frau“, schmunzelte Anna und griff nach dem Brot um es in der Mitte durchzureißen.
Der Abend entwickelte sich besser als beide erwartet hatten. Zur Freude Annas hatte sich Alex in der Zeit, die er wegen seines Herzfehlers in Behandlung war, einen umfangreichen Kenntnisstand zum Thema Literatur angeeignet. Neben den kompletten Werken von Sir Arthur Conan Doyle, die ihm seine Mutter, aus – seiner Überzeugung nach – sadistischen Motiven, mitgebracht hatte auch Klassiker wie Dantes „Göttliche Komödie“, Melvilles „Moby Dick“, Tolkins „Herr der Ringe“ und Dostojewskis „Der Idiot“. Insgesamt hatte er sich in seiner Zeit in Behandlung durch die halbe Weltliteratur gelesen. So hatten sie ein Thema an dem sie sich den Abend entlang hangeln konnten ohne sich zu sehr in persönliche Details zu verlieren. Natürlich hatte er ihr nicht erzählt, warum er so viel Zeit hatte, so viele Bücher zu studieren. Das war ihm dann doch etwas zu privat für den Anfang. Alles in allem war es ein sehr erfolgreiches Nicht-Date, so dass ihr Alex' Frage nach einer baldigen Wiederholung ein spontanes und ehrliches „Gerne doch.“ entlockte.
Als sie das Restaurant verließen, schlenderten beide in Richtung U-Bahn-Station. Sie waren so in das Gespräch vertieft, dass ihnen die beiden jungen Männer zwischen den Passanten nicht auffielen, die ihnen folgten.
Erst als sie in eine ansonsten entvölkerte Straße abbogen erhaschte Alex einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel auf die beiden. Vielleicht war es nur Zufall, dass die beiden in gleichbleibendem Abstand in dieselbe Richtung gingen, aber riskieren wollte er trotzdem nichts, so beschleunigte er seinen Schritt etwas und Anna passte ihre Geschwindigkeit an, jedoch ohne etwas zu sagen. Er überlegte kurz, welches der beste Weg zur Station war. Es waren nur noch etwa 200 Meter bis zu einer S-Bahn-Überführung, danach rechts und noch etwa 500 Meter. Während sie sich in einem Monolog über die Werke Hermann Hesses ausließ sah er noch einmal zurück. Die beiden hatten ihren Abstand verringert. Der eine steckte gerade ein Handy in seine Jacke.
Als er wieder nach vorne sah, wäre er fast in einen kleinen, muskelbepackten Glatzkopf gelaufen, der plötzlich unter der Überführung aufgetaucht war.
„'tschuldigung, habt ihr Feuer?“, fragte der Glatzkopf.
„Leider nein“, sagte der in seiner Vorwärtsbewegung abrupt gestoppte Alex.
„Auch Nichtraucher“, entschuldigte sich Anna und wollte gerade an dem Mann vorbei, als sich dieser wieder in den Weg stellte.
„Dann vielleicht etwas Kleingeld?“, fragte der Fremde, mit deutlich weniger Höflichkeit in der Stimme.
„Auch nicht“, antwortete Anna.
Alex griff an seine Armbanduhr während er sich zwischen Anna und den Mann schob, wobei er darauf achtete, ihr einen möglicherweise notwendigen Fluchtweg nicht zu versperren.
„Dann nehm' ich auch gern größere Scheine“, grinste der Glatzkopf, der wie aus dem nichts ein Butterfly-Messer in der Hand hielt.
Anna unterdrückte einen Schrei, indem sie sich den Mund mit beiden Händen zuhielt.
„Ich bin sicher, wir können das wie vernünftige Menschen regeln. In dem Portemonnaie in meiner Hose habe ich etwa 200 Euro. In meiner Jackentasche habe ich mein Handy, das ist so gut wie neu und noch etwa 500 Euro wert. Ich werde euch beides geben, wenn ihr uns ziehen lasst“, bot Alex an.
„Na her damit“, sagte der Räuber und hielt die andere Hand auf.
„Nette Handtasche“, hörte Alex eine Stimme hinter sich. Die beiden Männer hatten sich dazugestellt und versperrten ihm und Anna den Rückzug. Während der eine Anna, mittlerweile starr vor Schreck, die Handtasche von der Schulter nahm, hielt der andere ebenfalls ein Messer in der Hand. Alex zog, betont langsam, sein Portemonnaie aus der Hose und mit der anderen sein Handy aus der Jackentasche. Dabei behielt er den Mann mit dem Messer, der Anna bedrohte, stets im Blick. Der andere schüttelte den Inhalt ihrer Tasche auf den Bordstein, griff sich das herausgefallene Handy und schien ihre Geldbörse, die in einem Seitenfach noch immer in der Tasche hing, zu suchen. Alex reichte dem Räuber vor ihm sein Handy auf der offenen Handfläche und hielt mit der anderen seine Geldbörse so auf, dass dieser die Scheine einfach