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und zum Telefonieren hatte. Ich watschelte zur nächsten Bahnstation, immer noch ohne zu wissen, wie spät es eigentlich war. Normalerweise wäre es mir in meinem Zustand auch egal gewesen, allerdings hatte ich gerade heute ein wichtiges Fußballspiel, bei dem es um die Meisterschaft in unserer Jugendliga ging.

      An den Landungsbrücken angekommen, sah ich, dass es schon nach halb eins war. „Ach du Scheiße, das wird knapp! Um zwei treffen wir uns am Geesthachter Sportpark.“ Wieder hatte ich Glück, dass ich Berliner Tor sofort Anschluss hatte und fuhr mit der S21 weiter Richtung Bergedorf. Dort angekommen, rief ich meine Eltern an, die der Meinung waren, ich hätte bei Andy übernachtet. Ich schilderte ihnen kurz, dass wir voll verpennt haben, weil wir bis drei Uhr morgens ein neues Computerspiel ausprobierten und darüber hinaus die Zeit vergaßen. Es war mittlerweile zwanzig nach eins und ich bekam gerade noch den Bus. Ich war gestern, bevor ich zu Ernie fuhr, so umsichtig, dass ich meine Fußballtasche schon fertig gepackt in meinem Zimmer bereitstellte. In Geesthacht angekommen, besuchte ich kurz meinen Kumpel Strauchi, mit dem ich zusammen beim VfL spielte, um meinen temporär erbärmlichen Anblick zu korrigieren, bevor ich mein Elternhaus betrat. Er hieß mit vollem Namen Martin Strauch und war weder verwandt noch verschwägert mit Andys Familie, die ja auch Strauch mit Nachnamen hieß. Er wollte gerade aus der Tür, als ich ihn abpasste.

      „Ach du Scheiße, wie siehst du den aus?“

      „Ich komm gerade direkt aus Hamburg, aber das erzähle ich dir nachher. Ich muss mich mal kurz bei dir waschen, weil so kann ich nicht bei meinen Eltern auflaufen.“

      „Das würde ich auch sagen. Aber, kein Problem!“ Strauchi lachte kurz.

      „Danke! Du hast was gut bei mir!“

      „Ich wollte gerade zum Sportplatz, aber komm schnell rein.“

      „Willst du nicht gleich nach meiner kleinen Ganzkörperrenovierung mit zu mir? Mein Vater wollte mich ohnehin zum Sportplatz fahren“, schlug ich vor.

      „Okay, hier hast du schon mal eine frische Unterhose, Socken und ein T-Shirt. Beeil dich! Ich ruf in der Zwischenzeit deine Eltern an, dass du mich abgeholt hast und wir in einigen Minuten bei ihnen sind.“

      „Prima!“

      Strauchi wohnte in der gleichen Siedlung nur zwei Minuten von mir entfernt. Wir kannten uns schon aus dem Sandkasten und waren sehr gut miteinander befreundet.

      Alles lief wie am Schnürchen. Meine Eltern sahen zwar, dass ich ziemlich müde war, aber schöpften keinen Verdacht. Ich war richtig froh, dass alles so glimpflich ablief, sonst hätte ich wahrscheinlich ordentlich Ärger bekommen. Besonders meine Mutter konnte sehr streng sein, auch wenn sie eine kleine zierliche Person war. Sie hatte Power für zwei und mit ihr war nicht gut Kirschenessen, wenn man etwas ausgefressen hatte. Mein Vater, der uns beiden gerade zum Sportplatz fuhr, war eher der ruhigere Part in meiner Familie und das krasse Gegenteil meiner Mutter. Mein Interesse für Fußball verdanke ich ebenfalls ihm. Er hatte früher in seinen jungen Jahren sogar zeitweise in der Regionalliga gespielt. Leider habe ich nur einen Bruchteil seines Talents mitbekommen, aber diesen Mangel versuchte ich durch Einsatzwillen und einer guten Übersicht auf dem Platz zu kompensieren.

      Als mein Vater uns am Geesthachter Sportpark absetzte, wartete unser Trainer schon etwas ungeduldig auf uns. Er hatte Strauchi und mich ohnehin schon auf dem Kiecker, weil wir des Öfteren gegen seine Art Fußball spielen zu lassen, aufbegehrten.

      „Oh, die Herren Fußball-Intellektuellen lassen sich auch noch blicken“, empfing er uns herzlich. Wir gingen in die Umkleidekabine und begrüßten die anderen. Wir waren heute mit insgesamt 15 Spielern sehr eng besetzt. Einige fehlten krank oder waren verletzt. Daher konnten wir den Unmut unseres Trainers, über die durch mich verursachte Verspätung, durchaus nachvollziehen. Wir zogen uns um und der Trainer gab die Aufstellung bekannt. Strauchi spielte im linken Mittelfeld und ich durfte zunächst auf der Bank Platz nehmen. Was mir aufgrund der durchzechten Nacht überhaupt nichts ausmachte.

      Meine Lieblingsposition war im rechten oder zentralen Mittelfeld, allerdings wurde ich in dieser Saison überwiegend als Innenverteidiger eingesetzt, weil wir in unserer Mannschaft auf der Position nicht so viele geeignete Spielertypen hatten. Meine Stärke bestand darin, als Vorstopper den gegnerischen Stürmern den Ball abzunehmen und schnell mit zielgenauen Pässen eigene Angriffe direkt aus der Abwehr zu starten, um den in der Offensivbewegung befindlichen Gegner zu überrumpeln. Meine Formkurve ging in den letzten Spielen aufgrund der vielen Feierei ziemlich in den Keller. Ich hatte teilweise zu risikoreich agiert und verursachte dadurch einige vermeidbare Gegentreffer. Ursächlich hierfür war sicherlich auch meine schlechter werdende Kondition durch den vermehrten Alkoholgenuss an den Wochenenden. Hier musste ich dringend wieder die Kurve bekommen.

      Vor Spielbeginn machten wir uns alle mit kurzen Intervall-Läufen warm. Ich merkte richtig, wie ich dabei nach und nach den Alkohol und andere Giftstoffe ausschwitzte. Die Bewegung tat richtig gut und die Müdigkeit ließ merklich nach. Gespannt verfolgte ich das Geschehen auf dem Platz in der ersten Halbzeit von der Ersatzbank aus. Das Spiel war sehr ausgeglichen und es gab Chancen auf beiden Seiten. Wir brauchten unbedingt einen Sieg, um die Meisterschaft für uns zu entscheiden. Wir waren momentan Zweiter und hatten einen Punkt weniger als der Tabellenerste, der heute bei uns zu Gast war. Mein Stellvertreter in der Innenverteidigung machte seine Sache wirklich gut. Er verteidigte sehr solide und machte keine Fehler. Allerdings setzte er weniger Impulse nach vorne, als ich es üblicherweise tat. Beide Mannschaften gingen mit einem 0:0 in die Halbzeit. In der Kabine bemängelte Strauchi, dass zu wenig verwertbare Bälle aus der Abwehr kamen, um das Spiel für den Gegner überraschend schnell zu machen. Dieser Einwand passte unserem Trainer natürlich überhaupt nicht. Für ihn war zunächst wichtig, dass die Null stand. Strauchi wollte mit seiner Kritik meine Einwechselung provozieren, was ihn aber nicht gelang.

      So nahm ich auch in der zweiten Halbzeit meinen Platz außerhalb des Spielfeldes ein. Zwanzig Minuten vor Schluss der Partie ging die gegnerische Mannschaft durch ein herrliches Freistoßtor aus etwa zwanzig Metern in Führung. Nun reagierte unser Trainer und schickte mich und einen weiteren Offensivspieler zum Warmmachen. Weitere fünf Minuten vergingen, bevor wir eingewechselt wurden und endlich ins Spiel eingreifen konnten. Überraschend wurde ich nicht in der Innenverteidigung eingesetzt, sondern im zentralen Mittelfeld. Wir hatten jetzt noch knapp eine Viertelstunde Zeit, um zwei Tore zu erzielen. Der Gegner zog sich immer weiter zurück, um seine Führung mit Mann und Maus zu verteidigen. Sie machten geschickt die Räume eng, so dass wir kaum freie Anspielpositionen hatten. Etwa fünf Minuten vor Schluss gelang es mir, einen langen Diagonalball nach links genau in den Lauf von Strauchi zu spielen. Er nahm den Ball geschickt mit und rannte bis zur Grundlinie. Von dort flankte er die Kugel butterweich auf den Elfmeterpunkt, wo unser Mittelstürmer Olly unbedrängt zum Kopfball kam und den Ball in das untere linke Eck des Tores versenkte. Ausgleich!

      Nun begann ein wütender Sturmlauf und wir drängten auf das Führungstor. Ich bekam im Mittelfeld den Ball und sah, dass Olly zentral im Sechzehner in Position lief. Ich schlenzte den Ball direkt vor seine Füße. Er wollte gerade auf das Tor schießen, da grätschte ihn sein Gegenspieler von der Seite um. Wir dachten alle, dass es hier nur eine Entscheidung geben konnte und die musste Elfmeter lauten. Leider bewertete der Schiedsrichter die Situation völlig anders und ließ einfach weiterspielen. Der Verteidiger schlug den Ball weit in unsere Hälfte. Der gegnerische Stürmer nahm das Leder gedankenschnell an und legte das Spielgerät geschickt an unserem Libero vorbei. Unser Torhüter eilte aus seinem Kasten und versuchte den Einschusswinkel geschickt zu verstellen. Leider hatte der Gegenspieler ausreichend Abstand, um den Ball mit einem sehenswerten Lupfer im Tor zu versenken. Der Schiedsrichter gab das Tor und wir hatten das Spiel verloren. Wir rannten alle auf den Unparteiischen zu und fragten ihn verärgert, ob er das vorangegangene Foul im Sechzehnmeterraum nicht gesehen hätte. Er behauptete der Abwehrspieler hätte zuerst den Ball gespielt. Leider lag Olly immer noch verletzt, mit schmerzverzerrtem Gesicht, im gegnerischen Strafraum. Sein Knöchel war ziemlich angeschwollen, stellten wir nach Abpfiff in der Kabine fest. Wir fühlten uns alle um den verdienten Sieg und die Meisterschaft betrogen. Wir waren trotzdem faire Verlierer und gratulierten dem anderen Team zum Gewinn des Titels.

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