ТОП просматриваемых книг сайта:
Feindliche Sektoren. Hartmut Höhne
Читать онлайн.Название Feindliche Sektoren
Год выпуска 0
isbn 9783847668206
Автор произведения Hartmut Höhne
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Vertrauen = Illusion = gar nix.
Trittst du vor die Haustür, stehst du mitten im Kampfgebiet.
Da heißt es, Arschbacken zusammengekniffen und durch. Gehässiger sein als die Gehässigen, übler sein als die Üblen, wehrhafter sein als die Stinkstiebel da draußen. Vor allem: Schlau musste man sein, seine Feinde kennen musste man, ihre verschlagene Art, ihre Gewohnheiten, ihre Standorte und Schützengräben.
Genau damit beschäftigte sich Arno systematisch.
Er hatte die beiden Nahverkehrstarifzonen, innerhalb derer sich sein Leben vollzog, in acht feindliche Sektoren (FS) untergliedert, eine Kartierung des gemeinsamen Sozialraums angelegt. Dafür hatte er sich viel Zeit genommen, damals, vor mehr als zehn Jahren. Sorgfältig hatte er die Straßenzüge festgelegt, die als Sektorengrenzen die Quartiere und Stadtteile voneinander trennten und sie als innerhalb oder außerhalb in Beziehung setzten.
Beginnend mit seinem unmittelbaren Wohnquartier hatte Arno Ottensen in vier feindliche Sektoren, FS I – IV, unterteilt. Östlich daran schlossen mit FS V und FS VI zwei Altonaer Zonen an. Altona-Nord blieb dabei gänzlich unberücksichtigt, denn nördlich der Stresemannstraße begann für ihn bereits Terra incognita. FS VII war St. Pauli vorbehalten, im Süden zwischen St. Pauli Fischmarkt und den Landungsbrücken, im Norden bis zur Sternbrücke hoch. Schließlich wurden unter FS VIII das Schanzenviertel, die Neustadt und die Hamburger Innenstadt zusammengefasst, es war mit Abstand der größte Sektor. Er lag am weitesten von seinem Hinterhof entfernt und musste deshalb nicht so differenziert aufgegliedert werden. Er war hier auch nicht täglich unterwegs.
Für jeden der Sektoren hatte Arno einen Ordner angelegt, in dem er alle Beleidigungen, Anfeindungen, Demütigungen und asozialen Verhaltensweisen per Gedächtnisprotokoll niederlegte, sein Archiv menschlicher Unzulänglichkeiten (AmU). Da war schon einiges zusammen gekommen in all den Jahren, oh ja.
Sein Heimatsektor FS I war am häufigsten vertreten. Klar, dicht besiedeltes Wohngebiet, viele Menschen auf engstem Raum, da entstand eben Zoff. Zudem hielt Arno sich hier auch am meisten auf, sodass die Wahrscheinlichkeit in unangenehme Situationen verwickelt zu werden, hier besonders hoch war.
Der Ordner FS I war also gut gefüllt. Von der ewig pöbelnden Supermarktkassiererin bis zum pathologischen Taubenfütterer, vom, bis zum Anschlag aufgedrehten Autoradio hormonell verseuchter Halbstarker, bis zum, vor sich hingammelnden ALDI-Einkaufswagen auf dem Gehweg, umfunktioniert zur rollenden Müllkippe. Es stank zum Himmel, aber keiner fühlte sich zuständig. Man war liberal. Wer den Mund aufmachte, war der Spießer des Monats. Jeder durfte hier alles und Viele machten davon Gebrauch.
Arno fühlte sich alt. Er konnte sich nicht erklären, dass er noch kein einziges graues Haar gefunden hatte, so oft er auch nachsah. Er hatte einmal gelesen, dass es Menschen gab, die morgens aufwachten und ihr Haar hatte sich über Nacht grau verfärbt. Auf einen solchen Morgen wartete er täglich, aber er kam nicht. Arno konnte nicht so aussehen, wie er sich fühlte, und das irritierte und erboste ihn in gewisser Weise auch. Er wollte der Welt zeigen, was für einen Graukopf sie aus ihm gemacht hatte, wollte gerne als wandelnder Vorwurf durch das Viertel gehen. Es wäre ihm eine Genugtuung gewesen, auch, wenn es außer ihm vielleicht keiner verstanden hätte.
Über eine hagere Gestalt verfügte er schon, aber sein Kopf wirkte einfach nicht alt genug, die Falten zerfurchten das Gesicht nicht tief genug, der Bartansatz war nicht stachelig genug, die Zähne nicht verfärbt genug. Alles war einfach nicht genug. Er sah aus wie vierzig. Andere würden sich freuen, vermutete Arno, ich nicht. Man ist so alt, wie man sich fühlt, hieß es. Welcher Homo Schwachmaticus denkt sich solche Sprüche aus?! Ich sehe aus wie vierzig, fühle mich wie siebzig, tatsächlich bin ich zweiundfünfzig. Nicht mal auf die Zeit kann man sich noch verlassen. Vielleicht vertickt sie für jeden anders, wer weiß? Wie soll ich mich erst mit siebzig fühlen? Wie eine Schildkröte? Wahrscheinlich erlebe ich den Siebzigsten sowieso nicht. Zwar ist das Herz noch tadellos in Ordnung, auch der Kreislauf läuft normal im Kreis, und auch von Magengeschwüren bin ich unverständlicherweise verschont geblieben, aber so was kann sich schnell ändern.
Als führte der Körper ein Eigenleben, als hätte er sich nicht dem Geist unterzuordnen. So sollte es sein: der Körper als Spiegel des Geistes, nicht andersrum. Dieses gnostische Element sollte allgemein anerkannt werden, fand er, auch durch den Körper.
Apropos Körper, dachte Arno, langsam gehts wieder.
Er zog vorsichtig den Waschlappen von der Stirn und drehte den Kopf hin und her. Jaceks Wodka hatte es in sich, aber man konnte sich relativ schnell von dem Zeug erholen. Das sprach für Qualität. Also gut.
Die nächste halbe Stunde widmete er sich seiner Falldokumentation. Mit geübter Hand beschrieb er zwei DINA 4 Seiten, achtete dabei sorgfältig auf das Schriftbild. Schließlich sollten die Ordner einmal in fremde Hände gehen, da sollte man sich nicht durch Krakeleien in ein schlechtes Licht setzen. Er lochte die beiden Blätter und heftete sie in den Leitzordner. Die aktuellsten Dokumente befanden sich immer obenauf, das hatte sich bewährt.
Jetzt knurrte ihn sein Magen an, der Frühstückshunger meldete sich. Kein Wunder, hatte Arno doch seit gestern Mittag nichts mehr gegessen.
Also machte er sich auf den Weg zum Bäcker, oder sollte man eher von einer Brötchenaufbackstation sprechen? Wahrscheinlich würde ein richtiger Bäcker nie einen Fuß in diese immer gleichen Filialläden setzen, in der nur noch vorgefertigte Rohlinge aufgeheizt werden. Auch egal, dachte er, Hauptsache billig.
Am Straßenrand stapelten sich Zeitungspacken, also musste Dienstag sein. Nur dienstags wurde das Altpapier abgeholt.
Und typisch! Da waren wieder jede Menge Stapel zu sehen, die durch ausgediente Nylonstrumpfhosen zusammengehalten wurden. Es sah unmöglich aus, ein echter Abtörner.
An sich ein überaus erotisches Accessoire an schlanken Frauenbeinen, wirkte sie in ihrer neuen Funktion als Paketschnur einfach nur albern und scheußlich. Scheußlich unsexy. Wahrscheinlich war das die Rache alter Frauen für ihren eigenen lust- und ereignislosen Alltag. Den Anderen sollte gefälligst auch die Lust vergehen! Wer weiß, vielleicht huschten zahnlose Alte gerade hinter vergilbten Gardinen hin und her, vielleicht warteten sie gespannt auf die Papiereinsammler und deren Reaktion. Die würden sich natürlich nichts anmerken lassen, schließlich kannten sie schon alles.
Frischer Brötchenduft waberte jetzt durch die Friedensallee und Arnos Heißhunger steigerte sich minütlich.
Endlich das überdimensionierte Schild über der schmalen Eingangstür: Fietes Backteam.
Die Verkäuferin hatte er hier noch nie gesehen, musste wohl Meister Fietes Neuerwerbung sein.
„Moggääään“, krähte sie, als er eintrat.
Mein Gott, was ist denn das, durchfuhr es ihn. Stimme wie ein Klingelton und tatsächlich griffen einige Kunden reflexartig nach ihrem Handy.
Als Arno an der Reihe war, fragte sie:
„Bitte, der Herr?“
„Zwei Brötchen bitte.“
„Normale?“
„Ja, ganz normale.“
„Wie viel insgesamt?“
„Na zwei.“
„Also zwei. Schrippen oder Rundstücke?“
„Wo ist der Unterschied?“
„Schrippen sind, äh, Schrippen und Rundstücke sehen rund aus.“
„Aha. Nehme ich Rundstücke.“
„Mehr helle oder dunkle, knusprige?“
Arno fixierte die Verkäuferin ein paar Sekunden lang, wobei seine Augen sich sukzessive in Sehschlitze verwandelten. Das Namensschild auf ihrer voluminösen Brust wies sie als Frau Zippel aus.
„Ein helles und ein dunkles, knuspriges, liebe Frau Zippel“, flötete Arno angestrengt.
„Gemehlt oder ungemehlt?“