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das Schulgeld erarbeiten musstest, deinen Abschluss, das Baccalauréat, an einer Abendschule nachgeholt hast –“

      „Trotzdem –“, unterbrach ihn Tisson und verstummte, als er seine Unhöflichkeit bemerkte.

      Der Doktor schmunzelte. „Das Kalb und der Ochs. Weißt du noch?“

      Tisson nickte. So wurden der Doktor und er auf der Dahomé genannt. Er, das Kalb, dem nichts schnell genug ging, und der Doktor, der stur wie ein Ochse Kurs hielt.

      Lantier nippte an seinem Weinglas. „Du machst das schon.“

      „Es scheint einfach kein Ende zu nehmen“, sagte Tisson. „Noch ein Jahr als Assistent, der Nachweis selbstständigen wissenschaftlichen Arbeitens, eine Dissertation. Ich will endlich meine Approbation, will endlich die Erlaubnis, als Arzt praktizieren zu dürfen.“

      Er starrte ins Feuer. Er sah seine Mutter vor sich, wie sie nach dem Tod des Vaters die Arztrechnungen verbrannte. Sie hatte die Papiere gegen die Brust gepresst, eins nach dem anderen herausgezogen und einzeln ins Feuer geworfen. Er war klein gewesen, höchstens sieben, und für einen Moment hatte er geglaubt, sie reiße sich das Herz heraus. Stück für Stück.

      Er blickte auf. Der Doktor hatte die Augen geschlossen. Tiefe Schatten hatten sich in seinem Gesicht eingenistet.

      „Geht es Ihnen nicht gut?“, fragte Tisson.

      Lantier zuckte zusammen. „Was? Doch, doch. Ich habe nur darüber nachgedacht, was du gesagt hast.“

      „Ich weiß, ich bin zu ungeduldig.“ Tisson nahm einen Blasebalg und fachte die Glut an. „Aber ich möchte das, was ich gelernt habe, endlich in die Tat umsetzen und Menschen helfen.“

      „Nicht jedem kann man helfen, nicht alles kann man heilen“, sagte Lantier.

      „Die Fallsucht meines Vaters vielleicht nicht. Aber die Leiden meiner Mutter hätte man kurieren können. Diese Landärzte sind doch nur bessere Quacksalber.“

      „Ein hartes Urteil, mein Freund.“

      „Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit.“ Tisson ging zum Fenster, sprach in die Dunkelheit hinaus: „Die Wissenschaft schreitet mit Siebenmeilenstiefeln voran und diese Alchemisten verschreiben Wässerchen und schicken einen in die Kirche, weil ihnen nichts Besseres einfällt.“

      „Für viele ein Trost.“

      „Für meine Mutter nicht ausreichend.“ Sie war über den Verlust des Vaters nie hinweggekommen und war zwei Jahre darauf an einer Lungenentzündung gestorben. „Ich glaube einfach, meine Mutter hätte gerettet werden können.“

      „Manchmal versucht ein Arzt sein Bestes und es reicht trotzdem nicht“, sagte der alte Schiffsarzt.

      „Lieber Doktor, was wollen Sie mir damit sagen?“

      „Mein Herz macht nicht mehr lange mit.“

      Tisson fiel vor dem alten Mann auf die Knie. „Das darf nicht sein. Dagegen gibt es Mittel. Ich werde das nicht zulassen.“

      Lantier schüttelte langsam den Kopf. „Kümmere dich lieber, um die, denen du wirklich helfen kannst.“

      Am nächsten Morgen betrat Eugène Tisson die Abteilung für Nervenheilkunde des Hôpital Saint-André in Bordeaux. Er wurde dort bereits von einer Schwester erwartet. Sie führte ihn sofort wieder aus dem Gebäude heraus, quer durch den parkähnlichen Garten auf die andere Seite des Hospitals, wo sich die Männer befanden. Der Professor sei dort gerade auf Visite.

      Tisson stieß die Tür zum Krankensaal auf. Etwa vierzig Betten waren paarweise vor den Fenstern angeordnet. Auf jeder Seite stand ein Nachttisch, am Fußende des Bettes ein Stuhl. In der Mitte des Saals befanden sich Rollwagen mit Spucknäpfen, Lappen und Schröpfköpfen.

      Professor Aupy, ein schmächtiger, nach der neuesten Mode gekleideter Mann, ließ sich von einer Schwester Bericht erstatten.

      Tisson trat auf ihn zu. „Eugène Tisson“, sagte er und streckte seine Hand aus.

      „Wer?“

      „Der neue Assistent.“

      „Richtig, richtig.“ Aupy schüttelte flüchtig seine Hand. Dann fragte er die Schwester nach einem Patienten. Sie führte ihn zu dessen Bett. Tisson folgte. Der Mann lag auf dem Rücken und rührte sich nicht. Lediglich die Augen rollte er hin und her. Als er Tisson bemerkte, hob er die Hand, ließ sie kurz darauf wieder fallen und begann zu wimmern.

      „Tabes dorsalis – fortschreitende Lähmungen kombiniert mit Wahnanfällen“, sagte Aupy und fragte die Schwester, wann der Patient das letzte Mal seine Medizin eingenommen habe.

      Die Schwester legte die Fingerspitzen aneinander und senkte den Kopf.

      „Hab ich mir doch gedacht. Der Kerl ist stur“, erklärte Aupy. „Ich experimentiere mit verschiedenen Zusammensetzungen. Was nicht zuckersüß ist, spuckt er sofort wieder aus.“ Er wies die Schwester an, den Sirup zu holen.

      Plötzlich geriet der Mann in Bewegung. Er wedelte mit den Händen, schlug um sich, schien einen unsichtbaren Gegner abzuwehren. Aupy bekam ihn am Arm zu fassen, zog einen Ledergurt unter der Matratze hervor und schnallte den Mann am Bettgestell fest. Tisson wies er an, die Beine festzugurten. Der Mann bäumte sich noch einmal auf, dann lag er still. Nur die Augen rollte er hin und her.

      Aupy richtete sich auf. „Auch eine Neuerung von mir“, sagte er. So könne man, wenn nötig, mehrere Patienten gleichzeitig ruhig stellen und müsse nicht warten, bis die Arrestzelle zur Verfügung stehe.

      „Arrestzelle?“ Tisson konnte sich in diesen hell getünchten Räumen keine Kammern mit Ketten und Eisenhaken vorstellen.

      „Hinter der Tür. Neben der Wäschekammer“, sagte Aupy.

      In dem Moment kam die Schwester mit einem dunklen Glasfläschchen zurück. Der Patient stöhnte auf und presste die Lippen aufeinander. Die Schwester zählte dreißig Tropfen eines zähflüssigen, schwarzen Saftes ab. Tisson fragte sich, wie sie den Patienten zu überreden gedachte, den Sirup hinunterzuschlucken, als Aupys Hand nach vorne schnellte. Mit geübtem Griff bohrte er Zeigefinger und Daumen in die Wangenmulde des Mannes, so dass dieser den Mund aufsperren musste. Die Schwester schob den Löffel hinein, Aupy den Arm unter dem Nacken des Mannes durch. Mit einer Hand hielt er dessen Nase zu, mit dem Handballen der anderen drückte er gegen den Unterkiefer. Der Mann wurde rot, burgunderrot, violett. Dann schluckte er.

      „Braver Junge“, sagte Aupy und wischte sich die Hände an einem Handtuch ab, das ihm die Schwester reichte.

      Sie solle ihn noch eine Weile angeschnallt lassen und die verabreichte Dosis notieren. Aupy zog einen Spiegel aus der Tasche und zog sich den Scheitel nach. Dann eilte zum nächsten Bett, Tisson hinterher.

      „Passiert das häufiger?“, fragte er.

      „Wenn ihm der Sirup nicht süß genug ist“, meinte Aupy, während er das Krankenblatt des nächsten Patienten überflog.

      Tisson bemerkte einen Mann, Mitte zwanzig, der auf dem Stuhl neben seinem Bett saß. Er trug Straßenkleidung, in seinen Händen drehte er eine Mütze.

      „Wer ist das?“, fragte er.

      „Henri Debra. Er wurde in der Nähe von Konstantinopel aufgelesen und hat keine Ahnung, wie er dorthin kam“, erklärte Aupy und hastete zum Ausgang. „Lassen Sie uns lieber zu den Frauen gehen, das ist wesentlich interessanter. Hier gibt es sonst nur noch ein paar Kopfverletzungen und Schwachsinnige.“

      Tisson folgte ihm, als der Mann mit der Mütze auf sie zukam. Er griff nach Aupys Hand. Der wich einen Schritt zurück.

      „Herr Professor“, rief der Mann, „bitte helfen Sie mir. Ich bin nicht wie die anderen hier.“ Er deutete mit dem Kopf in Richtung des Tabes-Patienten.

      „Schon gut, schon gut“, sagte Aupy. „Schwester Pauline wird sich um Sie kümmern.“

      Sofort eilte die Schwester herbei, legte

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