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Wie ich meinem Großvater die Angst vor dem Sterben nahm. Johannes Mario Ballweg
Читать онлайн.Название Wie ich meinem Großvater die Angst vor dem Sterben nahm
Год выпуска 0
isbn 9783742727947
Автор произведения Johannes Mario Ballweg
Жанр Языкознание
Серия Das Leben eben
Издательство Bookwire
„Bubi, hast du auch alles, was du brauchst?“, fragte Grandpa ganz aufgeregt. Ich langte mir an die Hosentaschen, links der Geldbeutel, rechts das Mobiltelefon und am Gürtel befestigt eine Taschenlampe. Auf dem Rücken trug ich einen Rucksack mit Alphs alter Acer Falls County Karte von 1967, den sechs Flaschen „Autumn 4.9“, einem Seil und ein paar Notfallkarabinern, einer kleinen Polaroid-Kamera und dem allerwichtigsten aller Utensilien, dem Memories-Buch. Aber auch die „Maplewood-Zigaretten hatte ich dort verstaut, so wie es Alph wollte. Ich antwortete: „Ja hab alles und wie steht’s bei dir?“ Grandpa sagte nur: Ich habe dich, also habe ich alles.“ Er schmunzelte dabei über das ganze Gesicht. Diese Worte empfing ich als sehr wohltuend und musste daraufhin auch herzlichst lachen. Wir packten die Karte aus und leuchteten diese mit der Taschenlampe an. Der Weg war selbst eingezeichnet, ging aber an allen offiziell erlaubten Wegen vorbei, es war ein geheimer, individueller Weg zum Acer Creek. Grandpa zeigte mir wo wir sind und wo wir hinmüssen. Wir machten uns, so schnell es auch nur mit meinen Gehhilfen ging, auf den Weg. Die Beschaffenheit des Bodens war nicht die beste, auf den offiziellen Wegen teils Rollsplit, und ab dem geheimen selbsteingezeichneten Weg nur noch Rindenmulch oder Waldboden. Wir sahen ein paar Hirsche, die frisches Regenwasser von den Blättern wegsaugten. Wir kamen an eine Lichtung und ich hörte einen Bach rauschen. „Hörst du das? Wir müssen jetzt dem Bach folgen, dieser ist ein Zulauf zum Acer Creek, der Bauchlauf der aus dem kleinsten der sechs Acer Falls entsteht. Es war dunkel, aber die Taschenlampe wies uns den Weg. „Und wenn ich auch wanderte, im finsteren Tal…“ – Psalm 23. Alph lief voraus und hob ein paar Äste zur Seite, die uns im Wege standen. Er sagte zu mir, ich solle seine Hand nehmen und die Augen schließen. Ich nahm die eine Krücke in meine andere Hand und gab Alph die freie Hand, ich vertraue ihm zu 100%. Ich stolperte über ein paar Baumwurzeln, doch mein lieber Grandpa half mir wieder auf, meinem Knie ging es bis jetzt echt erstaunlich gut. Daraufhin hörte ich, wie Grandpa wieder ein paar Äste auf Augenhöhe beiseite hob, sodass wir daran passieren konnten. Dann drückte er meine Hand ganz feste zu. Ich war etwas skeptisch, wusste nicht, was passierte doch er klärte mich im nächsten Moment auf: „Also Bubi, du zählst jetzt bis drei und dann holst du tief Luft und öffnest deine Augen. Ich tat wie mir empfohlen wurde und zählte leise „eeeeins, zweeeeei, drei,“ holte tief Luft und öffnete meine Augen. Es war wie im Paradies. So wundervoll und doch so unscheinbar zugleich. Der sechste der Acer Falls, ein sehr kleiner Wasserfall, rieselte so sanft und leise in einen kleinen See an einer Lichtung im Palemo Forest herunter. Der See war nicht größer als unser Red-Lake zu Hause. Aus ihm entsprang der Acer Creek Bachlauf, der am Pavillon in Richtung Wald weiterfloss. Man hört das Geplätscher kaum, es war so beruhigend. Um den See herum waren Holzpfähle aufgestellt, fünf Stück insgesamt. An ihnen war eine kleine Lichterkette befestigt, sie war aus. An der rechten Seite des Sees war eine Feuerstelle zu erkennen, welche aus einfachen Steinen gebaut wurde. Hinter der Feuerstelle befand sich ein kleiner, weißer Pavillon mit etwas verdreckten Glasfenstern und Glastüren. Wir liefen über den kleinen Bachzulauf, der uns den Weg zum Acer Creek gezeigt hatte, hin zu dem See. Grandpa blieb stehen und genoss den Anblick, ich schloss mich ihm an. „Hach, wie schön das hier ist, das hätte ich mir niemals träumen können.“, meinte ich zu meinem Grandpa. Dieser antwortete: „Haha, das glaube ich dir sofort. Ich habe dir nicht zu viel versprochen, einfach so wunderprächtig hier.“ „Au ja“, erwiderte ich und lief mit den Gehhilfen rüber zum Pavillon. Die Tür war zwar verschlossen, jedoch sehr morsch. Ich rüttelte dreimal an der Klinke und das Schloss brach heraus. Die Tür war nun passierbar, naja Einbrecher sind wir ja keine, wir wollen ja nichts klauen, sondern nur dort drinnen unsere Zeit ein wenig verbringen. Rechts neben der Türe entdeckte ich einen kleinen Sicherungskasten. Ich musste lachen, weil wir auf dem Dachboden ja auch heute schon mal die Sicherungen reinmachen mussten und rief: „Hier ist auch wieder so ein alter Sicherungskasten.“ Grandpa lachte und antwortete: „Na Heimatland, das kann ja was werden. Lass es uns wagen! Also, ich glaube du musst zuerst den Hauptschalter anmachen, dann die zwei kleinen Schalter wo drüber steht P und LS. P für Pavillon und LS für Lichterkette am See.“ Ich dachte mir, dass sich Opa hier aber gut auskennt und machte alle Sicherungen rein, in der Hoffnung, dass diese auch drinnen blieben. Zuerst den Hauptschalter dann die beiden kleinen Schalter. Es funktionierte und ich war total begeistert. Die Lichterkette ging nach und nach an, manche Glühbirnen funktionierten nicht, also war die Lichtung nicht gut beleuchtet, das machte es aber umso idyllischer. Eine kleine, weiße Glühbirne beleuchtete den Pavillon von innen. Im Pavillon befanden sich eine kleine weiße Bank, ein runder Tisch, ein kleiner Steinkamin aus roten Backsteinen und ein paar alte Möbelstücke, man konnte den Staub von den Möbeln wegpusten – ich war mir sicher, hier war schon lange niemand mehr gewesen. Ich stellte den Rucksack auf der Bank im Pavillon ab und breitete das Buch, die Karte und die sechs Flaschen „Autumn 4.9“ auf dem runden Tisch unter der Glühbirne aus. Grandpa stand draußen am See, kam nach kurzer Zeit dann zu mir in den Pavillon rein. Mich beschäftigte die ganze Zeit der Aspekt, dass Alph sich eine Stange Maplewood-Zigaretten mitgenommen hatte. Ich traute mich aber nicht, ihn zu fragen, ich wollte nicht unhöflich sein.