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hast du für einen Hund?“ Ihre Stimme balanciert auf einem schmalen Stück Mut.

      „Schäferhund-Collie-Mix. Schlauer Kerl. Vielleicht ist er schon nach Hause gelaufen.“

      Er bleibt stehen. „Glaubst du mir? Oder denkst du, ich bin so ein Irrer, der Jagd auf Frauen macht?“

      Er sieht sie an, mit hochgezogenen Augenbrauen und schiefem Lächeln.

      „Lass mich überlegen“, fährt er fort. „Was könnte man so machen, im Dunkeln, hier in der Pampa? Vielleicht Beute von nem Banküberfall verbuddeln? Oder die vergiftete reiche Omi? Oder abhauen, weil man seinen Vater gekillt hat und die Polizei hinter einem her ist?“

      Er kichert.

      Dann erstirbt sein Lachen. Er tritt näher an sie heran.

      „Aber … man muss schon aufpassen. Du glaubst, du packst das nicht. Jemanden umzubringen. Dass da eine Mauer ist zwischen Gut-Sein und Böse-Sein, die dich stoppt. Aber das stimmt nicht. Du machst einen Schritt: und bist drüber.“

      Sonja schnappt nach Luft. Sie will ihre Hand aus seiner ziehen, aber sein Griff ist zu stark.

      Von irgendwo nähert sich ein Geräusch. Ein Auto.

      Erik?

      Blitzschnell presst Tino seine Hand auf ihren Mund.

      „Charlotte.“ Zärtlich spricht er ihren falschen Namen aus.

      „Wir nehmen ne Abkürzung. Du willst doch nach Hause.

      Oder?“

      Er zerrt sie von der Straße in den Wald hinein. Die Bäume scheinen auseinander zu weichen, als wären sie seine Komplizen.

      Das Motorengeräusch ist ganz nah.

      Sonja hält den Atem an. Ein Röhren und Knattern. Wie bei alten Autos mit kaputtem Auspuff.

      Eriks neuer Kleinwagen klingt ganz anders.

      Er kommt sie nicht holen.

      Tino reißt an ihrer Hand. Ihre Beine folgen ihm, als hätte ihr Körper auf Autopilot geschaltet. Dornengestrüpp zerreißt ihre Haut.

      Wo bringt er sie hin? Wie soll man sie finden, wenn er sie hier …

      Tino stoppt.

      Jetzt, denkt sie, jetzt. Tränen fließen über ihre Wangen.

      Er streckt die Hand aus. Seine Finger streichen über ihren Mund. Ihr Kinn. Den Hals. Gleiten tiefer.

      Sonja steht still. Sieht ihn an. Und er sie.

      Der Moment gefriert.

      Nach einer Sekunde oder einer Ewigkeit taut er wieder auf.

      Und vergeht.

      Tino senkt den Blick. „Komm“, sagt er leise und zieht sie weiter, durch Dickicht und Dunkelheit.

      Nach einer Weile lichtet sich der Wald. Tino bleibt stehen.

      „Guck mal da.“

      Sie blickt in die Richtung, in die seine Lampe leuchtet. In der Ferne ein paar Lichter. Ein Dorf.

      Gleich sind sie über der Grenze. Noch ein bisschen durchhalten.

      Er schweigt, bis sie die ersten Häuser erreichen. Sein Daumen streicht über ihre Finger.

      „Da vorn ist ne Telefonzelle.“ Er kramt ein zerknitterte Scheine aus der Hosentasche.

      „Reicht hoffentlich für ein Taxi.“

      Zögernd nimmt sie das Geld.

      „Okay. Machs gut.“

      Er hebt die Hand, als wollte er sie berühren. Seine Lippen zucken.

      Jäh wendet er sich um. Sie starrt ihm hinterher, bis ihn die Nacht verschlungen hat.

      Sonja stolpert zur Telefonzelle, ruft ein Taxi. Dann packt sie Schwindel. Ihre Beine sacken weg. Schluchzend kauert sie sich auf den Boden.

      So findet sie der Taxifahrer. Glücklicherweise stellt er keine Fragen, auch nicht, als sie Tinos Jacke auszieht und neben die Telefonzelle wirft.

      Erst zu Hause, als das Taxi abgefahren ist, fällt ihr heiß ein, dass sie keine Schlüssel hat.

      Doch vor der Tür sitzt Erik, ihre Tasche auf dem Schoß. Er blinzelt sie an. Sein Gesicht glänzt fiebrig.

      „Warum bist du nicht zurückgekommen?“, stößt sie hervor.

      Er hält eine Wodkaflasche hoch. „Sorry, ich … nach unserem Streit …“

      „Hau ab und komm nie wieder!“ Sie packt ihre Tasche, zittert den Schlüssel heraus, schließt auf und taumelt in die Wohnung.

      In der Küche sackt sie auf einen Stuhl.

      Auf dem Tisch vor ihr liegt die ungelesene Zeitung vom Morgen. Grellrot erzwingt die Schlagzeile ihre Aufmerksamkeit: „Nach Mord an Stiefvater auf der Flucht“.

      Darunter ein Foto.

      Tino grinst ihr entgegen.

      Das Bild verschwimmt vor ihren Augen. Und wird schwarz.

      Boss

      Boss hat gar keinen schlechten Geschmack. Hätte ich ihm nicht zugetraut, den Edward Hopper hinter seinem Schreibtisch. Eher ein düsteres Ölgemälde von ihm selbst in Herrscherpose, mit protzigem Goldrahmen.

      Seit zwanzig Minuten lässt er mich warten. Wenn ich mir das erlauben würde …

      Keine Ahnung, was er will. Vielleicht bekomme ich die längst überfällige Gehaltserhöhung? Muss sich doch mal auszahlen, die Schufterei, sechzig Stunden die Woche. Und für die Hochzeit könnten wir zusätzliches Geld gut gebrauchen. Was das alles kostet.

      Endlich öffnet sich die Tür. Boss starrt im Gehen auf eine aufgeschlagene Mappe. Er legt sie auf den Schreibtisch neben das Foto seiner Frau, die auf dem Bild noch blonder ist als in Wirklichkeit. Der weiße Lederstuhl knurrt, als er sich setzt.

      „Guten Tag“, grüße ich hastig.

      Kalter Zigarrengeruch weht mir als Antwort entgegen.

      Schließlich räuspert er sich. „Herr Holm, wie Sie unserer letzten Pressemeldung entnehmen konnten, wird sich unser Unternehmen auf weniger, dafür vielversprechende Kunden konzentrieren. Fokussierter arbeiten. Sie verstehen?“

      Was soll das? Ich hab das Ding geschrieben!

      Während Boss weiterredet, betrachte ich seine Krawatte. Sie ist rot und bedruckt mit ovalen schwarzen Dingern.

      Böse glotzen sie mich an.

      „Das führt natürlich auch zu Verschlankungen“, redet Boss weiter.

      Netter Euphemismus. Nur nicht für die Mitarbeiter, die gehen müssen, weil man ihre Arbeit anderen aufbürdet.

      Er räuspert sich erneut. „Herr Holm, es tut mir leid, aber wir müssen uns von Ihnen trennen.“

      Was? Ich starre ihn an.

      Boss erwidert meinen Blick mit einer Gleichgültigkeit, als wäre ich eine Fliege, die in einem Saftglas gegen das Ertrinken anstrampelt. Er schiebt das Papier, das vor ihm liegt, unter einen Stapel. Abgehakt.

      Nein. Noch paddle ich an der Oberfläche.

      „Herr Stein-Roland, Sie wissen, dass ich meine Arbeit verdammt gut mache.“

      „Ihre Freisetzung hat nichts mit Ihrer Leistung zu tun – wenn auch der Tonfall Ihrer Texte manchmal ein wenig zu salopp war für ein Unternehmen wie unseres. Hie und da musste schon einiges abgemildert werden.“

      Jetzt lügt er auch noch.

      „Sie werden sicher in Kürze eine andere Anstellung finden. Versuchen Sie es doch bei einer Agentur.“

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