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Die vom Tod verschmähte Katze. Matthias M. Rauh
Читать онлайн.Название Die vom Tod verschmähte Katze
Год выпуска 0
isbn 9783738091663
Автор произведения Matthias M. Rauh
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der Mann blieb stehen und starrte mit einem Grinsen auf Pappke und Engels, die mit weit aufgerissenen Augen durch das Fenster blickten.
"...ist da gar niemand!"
In diesem Augenblick brach direkt hinter der Schaufensterscheibe ein fürchterliches Unwetter los. Ein tobender Sturm peitschte gegen die Ladentür, die laut schepperte und sich wand wie ein dünner Bogen Papier. Der prasselnde Regen verschluckte die Straße und färbte die Außenwelt in ein dunkles Grau. Der Wolkenturm über dem Laden war offenbar in gewaltige Rotation geraten. Engels war mit samt seiner Nickelbrille gegen das kleine Fenster in der Tür gedrückt worden und rüttelte nun panisch an der Klinke. Von Pappke fehlte längst jede Spur. Dann fauchte ein wilder Hagelsturm herab und riss zuerst Engels, dann seine tanzende Brille in ein tobendes Hagelmeer. Schließlich ließ ein infernalischer Blitz das angestaubte Interieur des Ladens erzittern und die spiegelverkehrten Buchstaben der Schaufensterscheibe gespenstisch aufglühen.
JOHANN W. AUGUSTINUS
Dann war es vorbei. Pappke und Engels waren verschwunden. Der Gewittersturm verwandelte sich in einen ganz gewöhnlichen Regenschauer. Valentin konnte es nicht fassen.
"Warum zitterst du?", lachte der Mann. "Noch nie ein Gewitter gesehen?"
"Heißen Sie Augustinus?"
"Steht doch da. Also los, wir haben zu tun. Da hinauf!" Er zeigte auf eine schäbige Wendeltreppe, die sich im hinteren Teil des Ladens befand.
"Sind Sie wahnsinnig?", sträubte sich Valentin und stemmte seine Füße gegen den Boden. "Ich geh da nicht rauf. Wahrscheinlich schmeißen Sie mich runter. Bitte lassen Sie mich gehen. Was haben Sie denn davon, wenn Sie mich umbringen?"
"Das is´n guter Witz", lachte der Landstreicher, riss ihn herum und blickte ihm tief in die Augen. "Die Frage ist vielmehr, ob du dich umbringen willst, Bürschchen."
"Ich? Wieso das denn?", fragte er verwundert.
"Da hinauf, los!", wiederholte sein Gegenüber.
Es machte keinen Sinn, sich zu wehren. Vorsichtig setzte er seinen Fuß auf die unterste Stufe der eisernen Treppe, die daraufhin bedrohlich zu schwanken begann.
"Uaaah!", zeterte er.
"Weiter!", befahl ihm der Mann.
Die schaukelnde Wendeltreppe führte in ein turmartiges Gemäuer, an dessen Ende eine massive und mit schweren Eisenriegeln gesicherte Holztür wartete. Der Landstreicher Augustinus entzündete eine Kerze, zog die Riegel zurück und öffnete die Tür. Augenblicklich schlug Valentin ein Schwall eisigster Kälte ins Gesicht.
Das Zimmer war stockdunkel, und im Kerzenschein konnte er erkennen, dass es mit dem übrigen Laden nicht die geringste Spur gemein hatte. Hier gab es keine Regale, keine Uhren, sondern nur einen einfachen Holztisch, der sich in der Mitte des kleinen Raumes befand. Darauf stand, in Ketten gelegt, eine mittelalterliche Kiste. Sie war kohlrabenschwarz und mit vielen gefrorenen Wassertropfen übersät. Es war jene Kiste, die Valentin aus der Kammer des Antiquitätenhändlers gestohlen hatte.
"Baah, weg damit!", zeterte er panisch. "Bleiben Sie mir bloß mit dem verfluchten Ding vom Leib! Ich schenk´s Ihnen. Werden Sie glücklich damit!"
"Genug gesehen!", rief der Alte, warf die Tür zurück ins Schloss und verriegelte sie. Diesen Moment nützte Valentin, riss sich los und hastete einige Treppenstufen nach unten. Doch die Treppe geriet abermals in eine gefährliche Schräglage, so dass ihm nichts anderes übrigblieb, als sich am Geländer festzuklammern. Da packte ihn der Mann erneut am Kragen.
"Hiergeblieben."
"Ich will damit aber nix zu tun haben."
"Dazu ist es jetzt zu spät", stellte Herr Augustinus unbekümmert fest. "Aber so ist das nunmal im Leben. Das Unglück sucht sich seinen Raben, nicht umgekehrt. Und so manch einer stand plötzlich vor dem eigenen Grab und wunderte sich, wie flink seine Neugier den Spaten zu schwingen vermochte."
"Ich mach das Ding nicht nochmal auf. Vergessen Sie´s. Ich habe es gefunden und wollte es dann nur noch loswerden."
"Wer hat gesagt, dass du sie öffnen sollst?", grinste der Alte. "Nur ein Narr käme auf eine derartige Idee. Ich denke, diese Lektion dürftest du ja inzwischen gelernt haben."
Valentin nickte verschämt. "Was ist denn das jetzt für ein komisches Ding?"
Herr Augustinus blickte ihm tief in die Augen. "Kannst du dir das nicht denken?"
Er schüttelte den Kopf.
"Na gut, dann komm mit." Er löschte die Kerze. Nachdem ihnen die Treppe gestattet hatte, wieder nach unten zu gehen, griff der Alte nach einem Stuhl, der vor einem recht heruntergekommenen Holztisch stand. "Hinsetzen", grummelte er.
Valentin hatte es längst aufgegeben, sich den Befehlen zu widersetzen. So nahm er Platz und bemerkte sogleich, dass der Tisch ebenfalls nach Brombeere roch. Herr Augustinus warf ihm ein völlig verlottertes Buch vor die Nase. Als es auf der Tischplatte landete, stieß es eine riesige Staubwolke aus. "Seite 651. Lesen."
Gedichtverse standen dort geschrieben, mit einer altertümlichen Strichzeichnung, die eine Frau zeigte, welche ganz offensichtlich...
...zu Staub zerfallen und verbrannt,
wollt´ man sie jagen aus dem Land...
...auf einem brennenden Scheiterhaufen stand. Valentin schluckte. "Soll das eine Hexe sein?", stammelte er mit großen Augen. "Aber das sind doch nur Märchengeschichten."
"Aha, Märchengeschichten also. Und wieso schleppst du dann eine durch die Gegend und reißt sie auch noch aus ihrem Schlaf?", donnerte der Alte. Valentin warf das staubschnaubende Lesewerk zu.
"Soll das heißen, dass das dort eine..?"
Herr Augustinus nickte zustimmend mit dem Kopf. "Jaja, richtig geraten. Das ist eine Hexenurne", sagte er und zeigte mit der Hand zum Turmzimmer hinauf. "Und du hattest das Glück, dass es sich hierbei nur um eine relativ harmlose Windsbraut handelt, eine Wetterhexe, sozusagen. Aber relativ harmlos heißt in diesem Fall: Nur je nach Tageslaune absolut tödlich. Du kannst froh sein, dass sie nur sehr langsam aus ihrem Schlaf erwacht ist und du nichts von ihrem Staub eingeatmet hast. Dann hättest du jetzt wirklich ein Problem."
"Aber das ist doch Quatsch. Es gibt doch überhaupt keine..."
"Sooo?", fiel ihm der Alte ins Wort. "Ist bei dir denn alles in Ordnung?"
"Bei mir?", versuchte sich Valentin in kunterbunter Schönfärberei. "Natürlich. Alles bestens. Na ja, außer..."
"Außer, dass die alte Waldhütte am See bei Zeiten mit Glasscherben schießt und ein Gewitter nach dem anderen anlockt, wolltest du sagen."
Valentin schluckte und senkte reumütig den Kopf.
"Mist."
"Also doch", grummelte Augustinus, allerdings in einem viel ruhigeren Tonfall. "Da hast du uns ja eine schöne Bescherung eingebrockt."
"Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass..."
"Was hast du denn erwartet, als du sie gefunden hast? Eine Kiste voller Gold und Diamanten, wie im Märchen?"
"So ähnlich", hielt sich Valentin bedeckt und wagte einen vorsichtigen Blick nach oben. "Aber ich habe die gefrorene Uhr nicht angerührt. Ehrenwort."
"Ach, die Uhr", sagte Augustinus abfällig und rollte mit den Augen. "Die Uhr war nur eine wertlose Spinnerei eines selbstvergessenen Sammlers. Die ist hinüber. Eine Uhr aus Eis, was für ein unglaublicher Schwachsinn. Aber ich muss zugeben, dass es ein cleverer Schachzug von deinem Herrn Zacharias gewesen ist, sie mit Hilfe der eisigen Kiste zu kühlen. Allerdings hat der unbelehrbare Zeitfanatiker nicht daran gedacht, dass die Urne auf diese Art und Weise auch in falsche Hände geraten könnte. Ich habe ihn gewarnt, mehrmals sogar. Aber er wollte nicht auf mich hören."
"Sind Sie ein Hexenjäger?", fragte Valentin.
"Nein",