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DIE GABE. Michael Stuhr
Читать онлайн.Название DIE GABE
Год выпуска 0
isbn 9783847627234
Автор произведения Michael Stuhr
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Draußen senkte sich die Dunkelheit über das Land und die Manhattan stoppte. Das musste jetzt die erste Schleuse sein. Diego riss sich mit einem tiefen Seufzer aus seinen Wunschträumen und wandte sich wieder dem Buch über Planktonunterarten im nördlichen Golfstrom zu. Das hatte zwar nichts mit seinem Studiengang zu tun, aber er hatte Meeresbiologie als Interessengebiet genannt, und da konnte es durchaus sein, dass die Aufnahmekommission ausloten wollte, wie ernsthaft sein Interesse denn nun wirklich war.
Nach einer unruhigen Nacht wurde Diego am nächsten Morgen durch ein deutliches Hungergefühl geweckt. Er bestellte beim Koch eine Kleinigkeit und ging in den unteren Salon. Das musste heute als Frühsport reichen. Nach dem Essen überkam ihn dann aber doch die Lust, eine Runde zu Schwimmen, also ging er zu dem mit Salzwasser gefüllten zehn mal fünf Meter großen Pool auf dem ersten Oberdeck. Seine Eltern waren schon da und ließen sich mit geschlossenen Augen dicht unter der Oberfläche treiben.
Diego schlüpfte aus seiner Kleidung, ließ sich ins Wasser gleiten und stand sofort mit ihnen in Verbindung. Ein Gefühl der Wärme und Zuneigung umfing ihn, wie er es sonst nur ein einziges Mal erlebt hatte: Das war zusammen mit Lana in der einsamen Badebucht gewesen. Dort, wo sie sich so nahe gekommen waren, wie nie zuvor und nie danach.
Diegos Körper stellte sich um, und nach kurzer Zeit war die Atemluft für ihn verzichtbar geworden. Genau wie seine Eltern ließ er sich ein Stückchen weit unter den Wasserspiegel absacken. Genüsslich spürte er das herrliche Gefühl des Salzwassers auf der Haut und schloss die Augen.
Dummerweise drängte sich ausgerechnet in diesem Moment des höchsten körperlichen Wohlbefindens wieder Lana in seine Gedanken, und natürlich bekamen seine Eltern das mit. Ein Impuls der Heiterkeit ging von ihnen aus, aber auch Verständnis und Sympathie waren spürbar. Diego ließ es gut sein. Es war ja schließlich kein Geheimnis, wie sehr er Lana mochte, und dass auch seine Eltern sich liebten, konnte er spüren, wann immer er mit ihnen zusammen war.
Schließlich drängte das wohlige Gefühl, völlig von Meerwasser umgeben zu sein, alle anderen Gedanken zurück. Nur ein paar Traumfetzen tauchten hier und da auf, aber sie waren zusammenhanglos und allesamt angenehm. Nach einigen Minuten der Selbstvergessenheit schwamm Diego ein paar Runden im Pool, wobei er darauf achtete, seine Eltern nicht zu stören, die immer noch völlig entspannt im Wasser trieben und es sich gut gehen ließen.
Die Manhattan zog ruhig durch das glatte Wasser des Kanals; nur wenn sie die Bugwellen entgegenkommender Frachter kreuzte, reagierte die gewaltige Motoryacht mit einer leichten Verneigung.
Diego hatte sich wieder angekleidet und war auf dem Weg zu seiner Kabine. Er warf der in bedrohlicher Nähe vorbeiziehenden Uferböschung einen kurzen Blick zu und ging weiter. Sie waren bis auf ein paar Ausweichstopps die ganze Nacht durchgefahren und mussten die Passage fast geschafft haben. Die erste Schleusung auf der Pazifikseite lag jedenfalls schon eine Weile hinter ihnen.
Diego sah über die Reling hinweg auf die anderen Yachten hinab, die sich um die Manhattan scharten, wie Küken um die Glucke. Anschluss zu halten war ihre einzige Chance, schnell und kostengünstig den Pazifik zu erreichen.
Die Manhattan verlor an Geschwindigkeit. Voraus mussten die Schleusen von Miraflores sein. Danach würde es dann endlich wieder zügig weitergehen.
Frisch ausgeruht setzte sich Diego an die Arbeit. Die Schleusung interessierte ihn nicht, aber als die Manhattan Pazifikniveau erreicht hatte, hielt er es nicht mehr lange aus. Unruhig ging er an Deck und hielt Ausschau.
Auf der linken Seite waren die Hafenanlagen von Panama-City zu sehen. Puerto Balboa befand sich schon auf normaler Meereshöhe und von hier aus war bereits die Bogenbrücke zu erkennen, die noch vor der Stadt den Kanal überspannte. Für Diego war die elegante Stahlkonstruktion immer so etwas wie ein Symbol der Freiheit gewesen, denn wenig später zog dann schon auf der Backbordseite die Skyline von Panama-City vorbei. Die Durchfahrt war geschafft, und vor ihnen lag endlich der offene Pazifik.
Vor die endgültige Freiheit auf den Weiten des Ozeans hatten die Götter des Meeres allerdings die King Caetan VII gesetzt, die ein Stück weit vor Panama-City auf Reede lag. Der luxuriöse Großsegler gehörte dem König des Pazifischen Raums, und der lud die Montenaux´ natürlich über Funk für den Abend ein. Also wurde wieder gestoppt und Diego setzte sich verdrießlich hinter seine Bücher. - Erst die Fahrt im Schneckentempo durch den Kanal und jetzt würden sie noch einen ganzen Tag verlieren. Diese Vereinnahmung unter dem Deckmantel der Gastfreundschaft behagte ihm überhaupt nicht.
Gegen Abend zog Diego sich für die Party um und stellte fest, dass er vor lauter Ärger zum ersten Mal seit seiner Abreise aus Marseille richtig gelernt hatte.
Die Höflichkeit gebot es, etwas vor der Zeit an Bord der King Caetan VII zu erscheinen, damit man sich noch ein wenig unterhalten konnte, bevor die Party begann. Das wurde einfach erwartet, und so war das Beiboot der Manhattan das erste, das längsseits des Großseglers ging.
„Was für ein seltener Besuch!“ Caetan, der König des Pazifischen Raums kam den Montenaux´ mit weit ausgebreiteten Armen auf dem Deck entgegen. Er sah aus wie ein gestandener Mann in mittleren Jahren, aber man sagte von ihm, dass er schon zur Zeit der Kreuzzüge gelebt hatte. Er musste im Lauf seines Lebens hunderte von Jahren an Lebenskraft gestohlen haben. „Schön, dass ihr mal wieder den Weg zu mir gefunden habt.“
„Weg gefunden?“, raunte Diego und handelte sich dafür einen warnenden Blick seiner Mutter ein. Ganz so, wie Caetan es darzustellen versuchte, war es ja nun wirklich nicht. Er hatte mit seinem prächtigen Viermaster förmlich auf der Lauer gelegen, und für die Manhattan hatte es nicht die geringste Chance gegeben, sich unbemerkt vorbeizumogeln.
Caetan hatte einen völlig anderen Charakter als Sochon, der König des Atlantischen Raums. So wie Sochon das einfache Leben schätzte, liebte Caetan den Prunk.
War Sochon eher bescheiden in seinen persönlichen Ansprüchen, so neigte sein Amtskollege aus dem Westen zur Unmäßigkeit in jeder Beziehung. Er liebte gutes, reichliches Essen, die Feste in seinem Palast waren legendär, und vor allem anderen liebte er Neuigkeiten. Er war regelrecht klatschsüchtig. Nur deswegen ankerte er so oft in diesen Gewässern, in denen eine Darksideryacht nach der anderen auftauchte. Es war fast so, als sei das Nadelöhr Panamakanal extra für den König des Pazifiks gebaut worden, um ihn zu erfreuen.
Das war natürlich nicht so, aber trotzdem hatte Caetan seinerzeit beim Bau ein hübsches Bündel Kanalaktien erworben. Eine gute Investition, denn der Kanal war von Beginn an zu einem Lebensnerv der Schifffahrt geworden und die Wertpapiere hatten jedes Jahr eine enorme Rendite abgeworfen.
Nachdem der etwas füllige Caetan Diegos Mutter fest umarmt, dem Vater die Hand geschüttelt und Diego selbst auf die Schulter geklopft hatte, fragte er sofort: „Wie geht es euch denn so? Was gibt es Neues im guten, alten Europa? Man hört ja so einige seltsame Dinge von der Gemeinde in Oostende.“
Diegos Vater lachte und begann zu erzählen, während sie Caetans Wohnbereich ansteuerten. Offenbar wusste er wirklich etwas über die angesprochenen Vorkommnisse in Belgien.
Diego hatte keine Lust daneben zu hocken, während seine Eltern Caetan mit irgendwelchen Klatschgeschichten aus Europa fütterten, also blieb er zurück, stellte sich an die Reling und schaute sehnsüchtig auf den Pazifik hinaus. Die Sonne stand schon dicht über dem Horizont und die ersten Motorboote mit Partygästen kamen an.
Caetan hatte ein eigenes Team, das darauf spezialisiert war, mit einem kleinen Boot an die Yachten heranzufahren und die Leute einzuladen. Eine Gratisparty mit Livemusik bekannter Gruppen bekam man auch als Yachtbesitzer nicht alle Tage geboten und so konnte Caetan sicher sein, dass an jedem Abend reichlich Besucher auf das Deck seines Schiffs kamen. – Nachschub für den ewigen Hunger auf Lebenskraft.
Immer mehr Leute kamen an Bord, aber die meisten der Gäste verschwanden nach der Kontrolle auf Waffen sofort unter Deck; wohl um herauszubekommen,