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Wie im Paradies. Klaus Melcher
Читать онлайн.Название Wie im Paradies
Год выпуска 0
isbn 9783742708748
Автор произведения Klaus Melcher
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Und wo wohnen Sie jetzt?“
Noch einmal setzte Fromm ihm auseinander, dass er inzwischen in einer Seniorenresidenz lebte, dass ihm erst gestern aufgefallen wäre, dass seine Karte gesperrt wäre, und wollte gerade weiter ausholen, als ihn eine junge Frau unterbrach.
„Verzeihen Sie, ich habe alles mitgehört. Mein Kollege wird gerade an einem anderen Platz gebraucht. Kann ich Ihnen weiterhelfen?“
Inzwischen war Fromm so genervt, dass er jedes Hilfsangebot angenommen hätte.
Die junge Dame wiederholte, was er ihrem Kollegen gesagt hatte.
„Ist das richtig? Nun, dann schlage ich Ihnen folgendes Verfahren vor. Das ist am schnellsten und am sichersten. Und Sie bekommen sofort Geld für den Übergang.“
Sie machte eine Pause, in der sie wohl auf eine Antwort wartete.
„Sind Sie noch dran?“, fragte sie.
Dumme Frage!
„Am besten fahren Sie noch heute zu unserer Filiale in Hameln. Nehmen Sie Ihre EC-Karte und Ihren Personalausweis mit. Dort erhalten Sie eine vorläufige Karte, mit der Sie zahlen können, bis Sie Ihre neue Karte bekommen haben. Die wird Ihnen dann automatisch an Ihre neue Adresse zugestellt. Die PIN kommt ein, zwei Tage später.
Wenn Sie auch die haben, gilt die neue Karte.“
„Und meine Daueraufträge und Abbuchungen? Sind die auch alle futsch?“
Sein Gegenüber gluckste. Einen derartigen Jargon war sie von einem Achtzigjährigen wohl nicht gewohnt.
Nachdem sie ihn beruhigt hatte, legte er dankbar und erleichtert auf. Jetzt musste er sich noch fünf Euro leihen und dann zur Sparkasse fahren.
Fromm muss wohl einen ziemlich hilflosen, vielleicht sogar etwas verwirrten Eindruck gemacht haben, als er in der Filiale eintraf und der Angestellten sein Anliegen vortrug, jedenfalls dirigierte sie ihn in eine ruhige und nicht einsehbare Ecke.
„Wir haben schon alles vorbereitet“, sagte sie und bat ihn, Platz zu nehmen.
„Möchten Sie einen Kaffee?“, und als er sie nur noch etwas verwirrt ansah, „mit Milch und Zucker?“
Und schon stand sie hinter dem Kaffeeautomaten, ließ das heiße dampfende Getränk zischend in zwei Tassen laufen und kehrte mit einem kleinen Tablett zurück.
„So“, sagte sie und stellte die Tassen auf den Rand des Tisches, betrachtete seinen Ausweis und übertrug die Daten in ein Formular, griff nach einem weiteren Formular für die vorläufige Karte, wie sie sagte, und ließ ihn alles unterschreiben.
„Mit dieser Karte bekommen Sie sofort Geld, bis Sie die EC-Karte bekommen. Dann verliert sie automatisch ihre Gültigkeit, und Sie können sie vernichten.“
Für die Rückfahrt gönnte er sich ein Taxi.
6. Alles ist weg
Stolz wie ein Spanier betrat er den Kiosk, gerade rechtzeitig, dass die grässlichen Weiber von gestern noch dort waren.
Ihre hervorquellenden Putenaugen konnten kaum verbergen, wie sie sich auf seinen neuerlichen Misserfolg freuten, wie sie seine Blamage herbeisehnten. Wispernd und hechelnd wuselten sie durch die Regale. Unerträglich lang schien ihnen die Zeit des Wartens.
Fromm ließ sich Zeit beim Betrachten der Auslage.
Das war natürlich Quatsch, denn er wusste genau, was er wollte und wo es stand. Schließlich hatte er es gestern schon ausgewählt und nur wieder zurückgestellt, als er es nicht bezahlen konnte. Er brauchte es nur zu greifen, doch er wog jede Flasche in der Hand, betrachtete das Etikett, als hätte er es zum ersten Mal gesehen, nahm die Brille ab, als wäre er weitsichtig – oder kurzsichtig? - zögerte noch einen Augenblick und nahm die Flasche schließlich doch.
Die Weiber verharrten in ihrer Ecke, beobachteten ihn, tuschelten.
Ekelhaft!
Betont langsam, wie es eigentlich gar nicht seine Art war, zog er seine Karte hervor.
„Die richtige kommt in den nächsten Tagen. Ich denke, die tut es im Augenblick auch.“
„Natürlich, selbstverständlich“, beeilte sich die Kioske zu versichern.
Gerne hätte er seinen Triumph voll ausgekostet, doch das hätte zu viel Aufmerksamkeit für die Schnepfen bedeutet.
Sie konnte man nur übergehen. Mit so einem nachlässigen Blick voller Verachtung streifen, wie er ihn fast perfekt beherrschte.
Seitdem er seine Notfallkarte hatte - nicht früher, denn da war er noch sehr, sehr klein und fühlte sich entsetzlich elend, so ohne Geld -, hatte er diesen Gesichtsausdruck geübt. Schon auf der Rückfahrt im Taxi.
Der Fahrer beobachtete ihn im Rückspiegel, konnte sich kaum auf die Straße konzentrieren. Aber das kümmerte Fromm nicht. Sollte er sich doch denken, was er wollte! Er musste jedenfalls mit seinem Programm fertig sein bis zu seinem Einkauf.
Als er, beladen mit der Einkaufstüte, auf seinen Flur trat, hörte er schon von weitem weibliches Gejammer.
Inmitten einer Gruppe von etwa drei oder vier Frauen stand Frau Evers, eine achtzigjährige ehemalige Lehrerin, die ihr Zimmer auf der gegenüber liegenden Seite des Ganges hatte.
Fromm hatte sich bisher wenig um sie gekümmert, „guten Tag“ war eigentlich alles, was er zu ihr in all der Zeit gesagt hatte.
Warum er sie nicht mochte, konnte er nicht sagen, sie war ihm einfach unangenehm mit ihrer weichen, fast schleimigen Art zu sprechen und sich zu bewegen.
Heute war sie anders. Alles Weiche und Weinerliche war verschwunden.
Emma Evers war böse.
Wie eine Furie zeterte sie, rief nach der Hausleitung, schimpfte, weil sie nicht sofort kam, versperrte dem Pfleger den Weg in ihr Zimmer, als er sie beruhigen und wieder hineinbringen wollte.
Fromms Bedarf an Aufregungen war für heute gedeckt, und er verließ die Ansammlung, die sich immer noch nicht beruhigt hatte, und verschwand in seinem Zimmer.
Endlich!
Endlich Ruhe!
Zwar drang die eine oder andere Stimme immer noch zu ihm, doch sie war weit entfernt, wie in Watte eingepackt.
Ein wenig Beschäftigung, das Knistern der Tüte, und er nahm sie nicht einmal mehr wahr.
Umso erstaunter war er, als er wieder auf den Flur trat, um zum Speisesaal zu gehen.
Jetzt stand Frau Evers nicht mehr inmitten ihrer Freundinnen, lamentierte auch nicht mehr, sie saß, an die Wand gelehnt, auf einem Hocker. Ihr zur Seite stand Anneliese Hohenstedt, die noch um einiges unangenehmer war als die Evers, und tupfte deren Gesicht mit einem feuchten Tuch ab und redete beruhigend auf sie ein.
„Bist du denn ganz sicher, dass was fehlt?“, fragte sie, und schon wieder bekam die Evers einen hysterischen Anfall. Ihr Gesicht verkrampfte sich zu einer Maske, wie man sie von der Hexe im Kasperletheater kennt, dick traten die Adern hervor, die Falten auf ihrer Stirn wurden so weit zusammen gezogen, dass schon zu befürchten stand, sie würden erstarren.
„Was denkst du denn? Meinst du ich bin verrückt?“, zeterte die Evers wieder los.
Es musste etwas wirklich Ernsthaftes passiert sein.
Oder dieser Weiberhaufen war tatsächlich verrückt geworden. Die klebten sowieso ständig zusammen, die Hohenstedt und die Evers, betüddelten und umsorgten sich ohne Unterlass, horchten, ob der anderen irgendetwas fehlen könnte, schleppten Tabletten und Wässerchen herbei, wuchsen über sich hinaus in ihrer aufopfernden Pflege.
Plötzlich, wie auf ein geheimes Kommando, drehten sich die Köpfe der