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Dogmatik: „Beginnen wir“, so erstere, „mit dem anfangslosen Beginn. Die Vorstellung von einer Schöpfung, wie die Bibel sie schildert, ist nämlich das Erzeugnis einer beschränkten Denkart, die nicht fähig ist, das zu begreifen, was nur eine unbegrenzte Denkart begreift“. Sie, Hildegard und Theresia, hätten dagegen „ein uneingeschränktes Erfassen und eine im wahren Sinne des Wortes unbegrenzte Übersicht und Bewusstwerdung eines Alls“ gewonnen, „das in seinem ureigenen Licht erstrahlt.“ Was sie damit sagen wollen, ist offenbar: Das All selbst ist Gott. Die ganze Wirklichkeit, alles, was ist, ist vom Seinsgrund durchdrungen und durchstrahlt, ihm zugehörig, auch wenn die Erscheinungsweisen dieser Gesamtwirklichkeit (im buddhistisch-hinduistischen Sinn: die Maya) so ungöttlich, ja oft so grausam sind.

      Dieses ewige Sein, von dem man nach Hildegard und Theresia genauer und lieber als von Gott sprechen sollte, ist aber kein statisches. Vielmehr „setzt sich das Sein jeweils erneut in Gang. Wir wissen nur, dass sich ein unveräußerlicher Rhythmus, eine allen Dingen innewohnende Ordnung manifestiert, ihr eigener Herr, Meister-Mechaniker, Schöpfer – falls etwas Anfangsloses als Schöpfung bezeichnet werden kann. Und ebenso unveräußerlich sind andere Eigenschaften: Gerechtigkeit und Vollkommenheit.“ „Wir“, Hildegard und Theresia, „sahen auf einmal die Vergangenheit bis dorthin zurückgehen, wo unsere Erde nichts war als ein bloßer Gedanke, dem allmählich Eigenschaften zuwuchsen, aus denen dann Materie entstand und wir begriffen: eines Tages wird diese Materie zerfallen und in anderen Gegenden unseres Universums werden neue Verdichtungen entstehen. Es war ein Weltall, das zu atmen, sich zu wandeln und sich schließlich aufzulösen schien, dessen Auflösung aber die Gewissheit einer Wiedergeburt in sich schloss – allerdings erst nach so endlos langen Zeitläufen, dass keinerlei Vergleich ihre Dauer auch nur anzudeuten vermöchte.“ Fast ist man, wenn man die beiden hl. Frauen so reden hört, an Nietzsches Idee der ewigen Wiederkehr erinnert. Tatsächlich sprechen die beiden Heiligen in aller Form auch vom „Reich der freudigen Immerwiederkehr“.

      Der Betrachtung der Diesseitigen erscheint das All fremd, ja feindselig, ein sinnloses Tohuwabohu entstehender und vergehender Sterne und ganzer Sternsysteme. Dieser Eindruck täuscht, der tiefste, aber auf alles ausstrahlende Kern des Universums ist Liebe. O-Ton Theresia: „Es gibt eine Eigenschaft … die dem Wesen des Universums … unabdingbar [ist], etwas Unaussprechliches und doch mit dem abgegriffensten aller Namen ausgestattet: die Liebe. Was die meisten darunter verstehen, ist dem, was wir beschreiben möchten, kaum oder überhaupt nicht ähnlich. Die erste Erschütterung nämlich ist Erstaunen, dass dir so Köstliches und Lebenspendendes, etwas so jedes Bedürfnis Übersteigendes gewährt werden könnte. Liebe ist ewig neu. Jedes Gran Liebe ist ein neues Erlebnis, ständig wachsend, beschenkend, sich nie wiederholend, stetig sich steigernd, welches dich mit so viel Licht umfließt, dass es dich dein Ich vergessen macht, dessen Grenzen es auslöscht und dich in der Liebe eigenste Süße verwandelt, die in dir zunimmt, ein sanftes ständiges Übermaß.“

      Den Diesseitigen, ge- und befangen in ihrer kleinen irdischen Welt, erscheine ein solches Universum, das noch dazu von unendlicher Liebe durchstrahlt sein soll, völlig abwegig. Aber das sei nur unsere enge terrestrische Perspektive: „Eure Welt steckt noch in ihren Anfängen. Sie ist primitiv, gebärdet sich ungeschlacht, sie ist unreif und lernfaul. Ihr habt also einen sehr langen Weg vor euch. Eure technischen Leistungen waren in – heute dem Gedächtnis der Menschheit wieder entfallenen – Epochen bereits überholt. Ihr seid lediglich im Begriff, sie zurückzugewinnen und seid unmäßig stolz auf sie. Wir hier erinnern uns ungleich fortgeschrittenerer Zivilisationen, fortgeschrittener besonders im Hinblick auf die Wissenschaft vom höchsten Wissen … In eurem gegenwärtigen Stadium (wir nannten es >primitiv<) könnt und sollt ihr Verbesserungen erwarten … Deshalb seid ihr ja auch, wo ihr seid, sozusagen in der Schule, womöglich sogar in der Reformschule“. (Man ist hier erinnert an Goethes Aussage, die Erde sei eine „Pflanzschule des Geistes“). Jedenfalls, so Theresia weiter: „Wo ihr jetzt seid, das ist nicht eure wahre Heimat. Ihr habt eine bestimmte Sendung, die ihr erfüllt oder verfehlt. Das liegt ganz an euch. Begreift bitte das Wesen eurer Heimat, in die ihr immer wieder zurückkehrt: sie ist nicht Ort, sondern Zustand.“ Die Probleme eurer Welt sind „Kindergarten-Probleme, ernst zu nehmen freilich, weil ihr ja in diesem Kindergarten lebt – immerhin aber nur Kindergarten-Probleme“. Befreit euch „von den Theorien und Dogmen, die euch von allen Seiten einengen; von der Froschperspektive eurer Anschauungen; von der Hörigkeit alles Verlangens, das euch nur tiefer in das verstrickt, was euch die Sicht ohnehin schon verstellt. Doch rufen wir nur die ganz wenigen dazu bereiten Menschen zur Askese auf – aber wie viele sind das schon? Was wir euch aber mitgeben möchten, ist ein gleichsam vorweggenommener Blick auf eine sehr große Wirklichkeit, eine größere, als sich die meisten von euch träumen lassen“.

      Der Blick auf diese größere, das ganze All umfassende wahre Wirklichkeit wird auch von falschen Theorien und Dogmen verstellt, wie wir hörten. Zu diesen falschen Dogmen gehört nach den beiden Frauen die kirchliche Sicht Jesu. Auch sie selbst seien ja in dieser Sicht eingesperrt gewesen. Deshalb seien sie so erstaunt gewesen, dass nach dem Tod „alles anders war, als wir es erwartet hatten. In welch einer seltsamen Welt befanden wir uns eigentlich und weshalb empfing uns Jesus nicht? Wer war das strahlende Wesen, das uns beide bei unserer Heimkehr willkommen hieß? Warum glich es von Angesicht nicht ihm, den wir zu sehen gehofft hatten? All dies war sehr verwirrend, wenn auch nicht wirklich beunruhigend. Es war eher erstaunlich als erschreckend, und wir, der Bande noch nicht ledig, in denen unser Gemüt so lange gefangen gelegen hatte, ließen uns treiben, immer in der Hoffnung, den versprochenen Himmel noch zu finden. Zunächst einmal gab es keine Engel, nur herrliche flügellose Wesen, die von innen her leuchteten. Und wir begriffen sehr bald, dass uns keinerlei Gericht bevorstand. Wir waren bereits gerichtet und befanden uns in Sphären von unbeschreiblicher Schönheit. Da gab es Wesenheiten … die nicht unserem Glauben angehörten, der unseres Wissens doch der alleinseligmachende war. Sie waren offensichtlich keine Christen, strahlten aber dennoch etwas aus, das viel tröstlicher war, als was von jenen ausging, die sich noch immer und mit Mühe einer überwältigenden neuen Realität anpassen mussten“.

      Überhaupt „entspricht der Christus, den sich das Christentum angeeignet hat, keinerlei Realität, eine Heilige Dreifaltigkeit z.B. gibt es nicht; das ist eine der vielen Erfindungen des Christentums“. Zwar gebe es ein „höchstes Individuum“, das aus dem universalen Zentralsein emaniert sei, dieses Individuum könne man natürlich auch Jesus, Krishna oder sonst wie nennen, aber in Wirklichkeit „gehört es keiner Religion ausschließlich an“. Was den historischen Jesus betreffe, so ist nach Theresia von Avila „die Substanz seiner Lehren schon so entstellt, dass sie in den Händen einer Clique zu einem starken Druckmittel geworden ist, womit man die Wenigen, die tapfer genug waren, selbstständig zu denken, und zugleich die Vielen, die zu ihrer Verteidigung weder Witz noch Waffen besaßen, erfolgreich terrorisierte.“

      Auch der Gott, den die Kirche verkünde, ist tot. Der „tote Gott“ der Kirche habe „sich in eine Dreifaltigkeit verwandelt und eine Welt beherrscht, der alles abging, was man im Namen von Barmherzigkeit, Logik und gesundem Menschenverstand hätte erwarten dürfen“. Die Kirche verkünde eine Lehre, „die Mensch und Universum zu einer Art Episode reduziert hatte, die zwar plötzlich beginnt, sich dann aber in alle Ewigkeit fortsetzen sollte“. Einem „reiferen Denken“ ist der „Gedanke eines plötzlichen Beginns recht fremd“.

      Soweit die Botschaften der beiden Heiligen aus dem Jenseits.105 Sie bestätigen im Großen und Ganzen die Grundaussagen dieses Kapitels und die Verfehltheit aller Gottesbilder.

      Kann dieses Gottes- und Weltbild, wie es sich hier aufgrund der Aussagen Jenseitiger oder von Menschen mit Nah-Tod-Erfahrung herauskristallisiert hat, vor dem Forum kritisch-philosophischer Vernunft Bestand haben? Ich versuche im Folgenden anzuskizzieren, was den Kriterien dieser Vernunft zumindest nicht zuwiderläuft:

      Am Anfang war nicht Gott, am Anfang war auch nicht das Wort (wie es das Johannesevangelium behauptet), am Anfang war aber auch nicht das Nichts. Vielmehr war am Anfang, genauer: seit Ewigkeit das anfangslose Sein, ein unentfaltetes, unentwíckeltes Etwas, das aber potentiell alles enthielt, was entstehen und werden sollte: Geist und Materie, Intelligenz und Schönheit, Güte und Würde, jedoch auch alle Möglichkeiten zum Bösen, zu Hochmut und Aggression, Rivalität und brutalem Existenzkampf, zu Zerstörungswut

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