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des notwendigen menschlichen Reifungsprozesses scheint also auch durch Sterbeerfahrungen und den sogenannten Lebensfilm bestätigt zu werden. Es gibt eine große Anzahl von Aussagen und Berichten Sterbender oder klinisch Totgewesener. Sie unterscheiden sich, wie nicht anders zu erwarten, natürlich in vielen Hinsichten. Trotzdem gibt es unabhängig von Geschlecht, Altersstufe, nationaler, rassischer, weltanschaulicher oder religiöser Zugehörigkeit einige erstaunliche Gemeinsamkeiten, die in allen Aussagen wiederkehren. Ein solcher gemeinsamer Grundzug ist die ethische Komponente. Bei Todesgefahr oder im Vorgang des Sterbens scheint das ganze Leben in dichtester, konzentriertester Form und trotzdem in allen wichtigen Einzelheiten wie in einem Film vor dem geistigen Auge des Gefährdeten oder Sterbenden abzulaufen. Noch erstaunlicher ist, dass der Sterbende bzw. in Todesgefahr Schwebende alle diese Einzelheiten in ihrem sittlichen Wert erkennt und beurteilt.

      Zur Illustration sei hier die Erfahrung des Züricher Architekten Stefan von Jankovich angeführt. Jankovich war nach einem schweren Autounfall etwa fünf Minuten klinisch tot. In dieser Zeit hatte er ein Sterbeerlebnis, das mit einer großartigen Bewusstseinserweiterung verbunden war. Es kam auch bei ihm zu dem für Sterbende offenbar typischen Ablaufen des Lebensfilmes. Er berichtet: „Der Lebensfilm war bisher mein großartigstes Erlebnis. Ich konnte als Beobachter ganz deutlich sehen, wer ich bin und wie ich bin! Eine dramatische Vorführung des eigenen Charakters mit allen in mir vorhandenen guten und schlechten Eigenschaften. Eine Selbsterkenntnis, wie sie sonst nie möglich ist, wurde dargeboten. Ein schmerzliches Erwachen: bin ich wirklich so? … Der Lebensfilm zeigte mir, dass wir für alle Taten und auch Gedanken die Verantwortung zu tragen haben … Bei der Beurteilung spürte ich, dass das ganze Leben eine Probe war, voll mit Problemen … Wichtig war, wie man diese Probleme, diese Situationen, im Sinne der Harmonie löste … Ich betrachtete mich von allen Seiten und hörte zu, was ich selber sagte. Ich registrierte mit allen meinen Sinnesorganen, was ich sah, hörte, spürte, und auch was ich gedacht hatte. Auch die Gedanken wurden irgendwie Wirklichkeit.“ Etwa 2000 Szenen seines Lebens seien auf dem Lebensfilm gewesen, jede Szene sei in sich abgeschlossen gewesen, habe einen regelrechten Anfang und ein logisches Ende gehabt, er selbst habe sich bei all diesen Szenen immer zugleich als Hauptdarsteller und Beobachter gesehen. Jankovich war von seinem Sterbeerlebnis derart erfasst, dass er versuchte, selbst den Papst mit dem Inhalt dieses Erlebnisses bekanntzumachen. Während des Schweiz-Besuches von Johannes Paul II. am 16. Juni 1984 bekam er in Luzern Gelegenheit, sein diesbezügliches Buch und einen Brief dem Papst mit ein paar kurzen Erklärungen persönlich zu überreichen. In diesem Brief heißt es u.a.: „Als mein Geist aus meinem Körper herausgetreten war, erfuhr ich mit unbeschreiblicher Intensität und Klarheit sehr vieles, was einem Menschen im Erdenleben verhüllt ist. Der ablaufende Lebensfilm, welcher mit einer kosmischen Beurteilung verbunden war, zeigte mir den ursprünglichen Sinn des Lebens und dessen Ziel: die geistige Entwicklung. Merkwürdigerweise ist mir auch der Sinn meiner früheren Inkarnationen, die als Lehrgang, als Teilstrecke zu Gott gewertet wurden, klargeworden. Der Inhalt der Begriffe wie Liebe, Gnade, Gut, Böse, Vergebung, Erlösung, Leben, Tod, Leiden, Glaube, Wahrheit usw., ist mir in einem anderen, viel klareren Licht als früher beleuchtet worden Ich bin mir bewusst, dass meine Erlebnisse vom ewig-göttlichen Standort her gesehen ganz bescheiden sind, doch glaube ich fest daran, dass die daraus gezogenen Folgegedanken nützliche Denkanstöße für alle Menschen abgeben können. Ich kann meine Erlebnisse sehr gut in meinen christlichen Glauben integrieren. Für mich bedeuten sie nützliche Ergänzungen, die die Menschen auch von der Kirche erwarten.“73

      Rein wissenschaftlich ist selbstverständlich auch das, was Stefan von Jankovich widerfahren ist, keine echte, endgültige Todeserfahrung (diese ist ja auch, anders als bei Reanimierten, d. h. klinisch Totgewesenen und dann Wiederbelebten, nicht umkehrbar, nicht kommunizierbar, und sie überschreitet klinisch unwiderruflich die Todesschwelle). Es handelt sich also um ein naturgemäß subjektives Sterbeerlebnis. Aber auf unsere Subjektivität, auf ihre tiefsten Erlebnisse sind wir, wie bereits gesagt, ganz entscheidend für unseren Reifeprozess und unsere Bewusstseinserweiterungen angewiesen. Und es ist doch erstaunlich und beachtenswert, dass alle Berichte Sterbender oder in Todesgefahr Befindlicher einige wesentliche Übereinstimmungen aufweisen und vor allem die ethische Beurteilung des eigenen Lebens in diesen Aussagen und Berichten stets eine so wichtige Rolle spielt. Der Mensch hat seinem Lebensplan gemäß eine in seinem tiefsten Sein verwurzelte Berufung zur ethischen Höherentwicklung und Vervollkommnung. Kein Wunder, dass dieser Lebensplan und die Art, wie man ihn realisiert oder verfehlt hat, in einem so entscheidenden Augenblick wie dem des Todes oder der Todesgefahr noch einmal ganz virulent und intensiv im Bewusstsein gegenwärtig werden. Selbsterkenntnis, Selbstarbeit, Selbstvervollkommnung und Selbstveredelung sind jedenfalls der Sinn des menschlichen Lebens auf der Erde, gleichgültig, ob wir nur einmal auf ihr sind (und dann entsprechend in irgendeiner Art von jenseitigem Purgatorium oder Fegefeuer weiterreifen müssen) oder mehrmals wiederkehren.

      Auch der berühmte Tiefenpsychologe Carl Gustav Jung, dem 1944 ein Sterbeerlebnis nach einem Herzinfarkt widerfuhr, schildert den Vorgang des menschlichen Selbstgerichts: „Es war, als ob ich alles, was ich je gelebt oder getan hatte, alles, was um mich geschehen war, nun bei mir hätte. Ich könnte auch sagen: Es war bei mir, und das war ich. Ich bestand sozusagen daraus. Ich bestand aus meiner Geschichte und hatte durchaus das Gefühl, das sei nun Ich.“74

      Ähnlich hatte ja auch Jankovich behauptet: „Meine Seele war ein ganz sensibles Gerät, mein Gewissen wertete mein Handeln sofort aus und beurteilte mich selbst und meine Taten.“ Jankovich geht sogar so weit, dass er aufgrund seines Todeserlebnisses meint, unsere herkömmlichen Moralbegriffe hätten „im Jenseits keine Gültigkeit. Seit jener Zeit bin ich allen menschlichen Moralbegriffen gegenüber kritisch eingestellt.“75 Kommentar des Magazins „Der Spiegel“ dazu und zu einer ganzen Reihe weiterer Nahtoderlebnisse: „Sterbende nehmen ihr Lebenspamorama also nicht passiv entgegen wie einen Film, sondern sie sind zugleich Zuschauer, Hauptdarsteller und Kritiker. Sie sind Richter in eigener Sache.“76

      Auch die Ärztin und Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross, die um die tausend Fälle wiederbelebter Patienten untersucht hat (vornehmlich in der Psychiatrischen Abteilung der Universität von Chicago) und die wohl die berühmteste Sterbeforscherin (Thanatologin) ist, vor allem seit ihrem Aufsehen erregenden Buch „Interviews mit Sterbenden“, betont, sie sei vor der Konfrontation mit den mannigfachen Erfahrungen Sterbender in religiösen Dingen recht gleichgültig gewesen, ein „Wischi-Waschi-Protestant“. Erst das habe sie „eigentlich religiös gemacht: dass es offenbar keinen strafenden, verurteilenden Gott gibt“, aber jeder die „großartige … Chance“ habe, „sein eigener Richter zu sein … Was wir Himmel und Hölle nennen, existiert dann also gar nicht.“ Allerdings könne es „sehr wohl die Hölle sein“77, wenn sich jemand in allen Details seiner Lebensgeschichte überprüfen müsse und dann merke, wie sehr er seinem Lebensprogramm, seiner Lebensbestimmung zuwidergehandelt und dabei auch anderen schwer geschadet habe.78

      Ein anderer berühmter Sterbe- und Todesforscher, wie Frau Kübler-Ross ein Pionier der Thanatologie, ist Raymond A. Moody. Er promovierte nach dem Studium der Philosophie (Spezialgebiete: Logik, Linguistik, Ethik) zum Dr. phil., begann dann ein Studium der Medizin, promovierte auch da zum Dr. med. und ergänzte dieses Studium noch durch eine Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Nervenheilkunde. Dr. Moody hat, vor allem als Psychiater an der Universitätsklinik von Virginia, insgesamt 300 Fälle von Menschen untersucht, die klinisch tot gewesen waren, dann aber doch reanimiert werden konnten und ihm über ihre Erfahrungen an der Todesgrenze berichteten. Über diese Erfahrungen und deren Deutungsmöglichkeiten hat Moody zwei klassische Bücher publiziert, die in deutscher Übersetzung im Rowohlt-Verlag erschienen sind. Es sind dies die Bücher: „Leben nach dem Tod“ und „Nachgedanken über das Leben nach dem Tod.“79

      In beiden Büchern betont der Autor, dass die Mehrheit der wiederbelebten Patienten das Modell eines Jenseits mit Lohn und Strafe, mit Gottesgericht, Himmel und Hölle als mit ihren Erfahrungen nicht übereinstimmend abgelehnt habe. In den meisten Fällen hätten das auch jene gemacht, die mit diesem Modell aufgewachsen waren und vorher die entsprechende dogmatische Denkweise pflegten. Kein Patient, so Moody, sprach von Himmelstoren, goldenen Wegen, geflügelten Engeln oder von einer Flammenhölle mit furchterregenden, womöglich noch gabelschwingenden

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