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bedächtig und würdevoll.«

      »Ich werde mich bemühen«, versprach ich.

      »Regel fünf: Gehorsam gegenüber den Priestern.«

      Das war wohl die Regel, die mir am meisten Ärger bereiten würde.

      »Regel sechs: du verhältst dich den Priestern gegenüber so, wie du wünschst, dass sie dir begegnen: mit Respekt und Würde. Du wirst den Priestern keine schönen Augen machen und sie nicht zu Handlungen verführen, die nicht in ihrem Aufgabengebiet liegen. Hast du mich verstanden?«

      »Klar und deutlich«, sagte ich.

      »Regel sieben: Deine Ausbildung ist umfassend und teuer. Du wirst dir Mühe geben, das übermittelte Wissen aufzunehmen und anzuwenden. Du wirst dich bemühen, keine Frage zweimal zu stellen. Du wirst deinen Mitschülern helfen, wenn sie Probleme haben.«

      Der Gottesdiener Sethi zählte zweiundzwanzig Regeln auf, die das Leben im Tempel in geordnete Bahnen lenken sollte. Mehr als zweihundert Priester und hundertzwanzig Tempelschüler lebten in den Mauern des Ptah-Tempels. Der Tempel war eine Stadt in der Stadt.

      Wir erreichten den Großen Sonnenhof, in dem das Volk nach Bezahlung der erforderlichen Gebühr an die Priester seine Opfer bringen durfte. Links und rechts begrenzten Säulen den Hof, der auf einen Pylon, einen riesigen Torbau, mündete. Der Pylon war mit bunt bemalten Reliefs geschmückt, die den Gott Ptah und seine Gemahlin Sekhmet zeigten. Vor ihnen stand der König mit Opferschalen in der Hand.

      Hinter dem Pylon durchquerten wir einen großen Hof mit Statuen und Säulenhallen, dann eine kleinere Vorhalle und einen großen Säulensaal vor dem zentralen Tempelbezirk.

      Wir betraten die Heilige Halle mit den angrenzenden Kulträumen. In der Halle war es beinahe dunkel, nachdem sich Re auf den Horizont gesenkt hatte. Während der Fußboden von Raum zu Raum ständig anstieg, verringerte sich die Deckenhöhe, die längs der Tempelachse symmetrisch angeordneten Innenräume wurden niedriger, schmaler und dunkler.

      Die Tempelwände in diesem Gebäude waren mit Bronze- und Weißgoldblechen verkleidet, der Tempelboden mit Silber, das den Urozean darstellen sollte, die Decken als Himmel mit Lapislazuli und Gold. Auch die Götter- und Königsfiguren waren in diesem Teil des Tempels aus edleren Steinen als im Säulenvorhof, zu dem auch das Volk Zutritt hatte. Die Statuen waren aus Granit oder Basalt farblich wie Menschen gestaltet. Besonders die Augen dieser Statuen, die aus Bergkristall aus dem Sinai bestanden, faszinierten mich. Im Licht von Fackeln und Kohlebecken sah ich etliche Schritte vor mir Priester und Tempeldiener die Abendriten für Ptah und Sekhmet im steinernen Götterschrein durchführen. Von Nebenräumen, Magazinen, Sakristeien, Archiven, Kapellen für kleinere Götter umgeben, lag zentral und irgendwie zu klein geraten die Kapelle des Allerheiligsten mit dem Granitschrein für das Götterbild des Ptah, und auf einem Sockel in einem Nebenraum die tragbare Barke für Prozessionen des Gottes. Diese Kapelle war der Sitz der Gottheit inmitten des Tempels, der verkleinert dem Kosmos entsprach. Obwohl ich noch nie einen Tempel betreten hatte, erkannte ich sofort die Bedeutung der verschiedenen Räume und Bauelemente. Es hatte sich gelohnt, Imhoteps Schriften über Architektur mit meinem Vater zusammen zu lesen.

      »Morgen Früh wirst du zum ersten Mal an den heiligen Morgenriten teilnehmen, Nefrit!«, erklärte Sethi. »Der Tag beginnt sehr früh bei uns im Tempel, bereits lange vor Erscheinen des Re. Du erhebst dich von deinem Lager, sobald du den Weckruf vom Tempeldach vernimmst. Dann gehst du mit den anderen Schülern hinunter zum Heiligen See und reinigst deinen Körper. Sobald Re den Horizont überschritten hat, wartest du mit den anderen, bis ein Priester euch abholt.«

      Die Wohnräume für die Schüler und Schülerinnen der Tempelschule befanden sich im hinteren Teil des Tempels direkt am Heiligen See. Ich teilte meine Kammer mit Iya.

      Iya war kaum älter als ich. Unter ihrem durchscheinenden Gewand zeichneten sich die Umrisse ihres Körpers ab. Sie war das anmutigste Wesen, das ich je gesehen hatte. Jedes ihrer Worte wurde von einer Bewegung ihrer Hände begleitet.

      »Ich stamme aus der Residenz Pihuni«, sagte Iya. »Mein Vater ist General Horemhab vom Amun-Regiment. Er ist ein Cousin von Huni.« Iya kniff die Augen zusammen und beobachtete, ob ich angemessen auf ihre Verwandtschaft mit der königlichen Familie reagierte.

      »Dann ist dein Vater ein wichtiger Mann!« Ich beschloss, erst einmal Freundschaft zu schließen. Das ging am einfachsten mit einem Lächeln. »Seit wann bist du hier, Iya?«

      »Seit vier Tagen und sieben Stunden.«

      »Du zählst die Stunden, seit du hier bist?«, fragte ich erstaunt.

      »Ich werde die Stunden zählen, bis ich hier wieder herauskomme.« Iya seufzte. »Vielleicht mache ich nur das erste Jahr und lasse mich zur Tempeldienerin ausbilden. Dann höre ich auf und heirate.«

      Iyas Augen waren in ständiger Bewegung. Sie sah mich nicht an, während sie mit mir sprach, sondern schien die Welt nach Dingen abzusuchen, die sie noch nicht kannte oder noch nicht genossen hatte. Die Welt durfte ihr nichts vorenthalten.

      »Hast du schon einen Versprochenen?«, fragte ich.

      »Mein Vater hat einen Offizier gefunden, den ich heiraten werde. Er glaubt, dass mein Verlobter eines Tages General sein wird. Er ist sehr ehrgeizig: Das gefällt meinem Vater.«

      Die Morgenriten begannen mit der rituellen Reinigung am Heiligen See. Danach öffnete ein Priester, der einen Schurz aus plissiertem Goldstoff und ein Pantherfell über den Schultern trug, das Tor zur Großen Halle. Tempeldiener brachten die Götternahrung in goldenen und bronzenen Schüsseln und Gefäßen in die Nebenräume der Heiligen Halle, wo sie die Opferträger abholten und in die Säulenhalle vor dem Allerheiligsten brachten.

      Nach dem Öffnen des Götterschreins weckten die Gottesdiener Ptah mit Morgengesängen und Sistrenmusik, stellten die Opfergaben vor ihn hin und zogen sich zurück, um den Gott nicht beim Göttermahl zu stören. Die goldene Statue wurde gewaschen und neu eingekleidet, die von der symbolischen Mahlzeit übrig gebliebenen Speisen entfernt.

      Dann wurde ihm die Maat geopfert. Die Maat ist der im Schöpfungsakt gesetzte richtige Zustand in der Natur und der Gesellschaft von Kemet. Maat ist Recht, Ordnung, Gerechtigkeit und Wahrheit. Indem die Maat rituell geopfert wurde, wurde der Kosmos in Gang gehalten. Die Welt bedurfte einer unablässigen Inganghaltung durch die Riten.

      Was Ptah an diesem Morgen nicht zu sich genommen hatte, wurde unter den Priestern verteilt. Ich war hungrig und wartete sehnsüchtig auf das Ende der Zeremonie. Die Speisen waren dann zwar bereits kalt, aber sie schmeckten sehr gut.

      Nach den Riten begann der Schulunterricht im hinteren Teil des Tempelbezirks. Nur die Priester des Amun in Weset, die des Osiris in Abodu, die des Sonnengottes Re von Iunu und die des Ptah in Mempi waren befugt, den höheren Unterricht zu erteilen, der über den der Erzieher hinausging. Der Tempel des Ptah beinhaltete neben den Kulträumen für den Gott auch eine Tempelschule für die jährlich hundertzwanzig Schüler, die sich zum Tempeldiener, zum Priester, und in einem weiterführenden Kurs zum Schreiber ausbilden ließen.

      Der Schulraum war aus Schlammziegeln erbaut und wies keinerlei Verzierungen auf. Die Schüler saßen in Schreiberposition auf Schilfmatten. Vor uns hatten wir einen niedrigen Tisch, den sich jeweils zwei Schüler oder Schülerinnen teilten.

      Acht Gottesdiener, die sich auf verschiedene Unterrichtsfächer spezialisiert hatten, unterrichteten uns. So hatten wir einen Lehrer für Ritenkunde und Liturgie, der uns auch die Göttermythen näherbrachte, einen anderen Lehrer für Lesen und Schreiben, was die meisten meiner Mitschüler noch nicht beherrschten. Ein Priester lehrte uns Mathematik, ein weiterer die Grundzüge der Architektur sowie der bildenden Künste wie Malerei, Reliefkunst, plastische Kunst und noch ein anderer versuchte selbst den Unbegabtesten das Musizieren mit Trompeten, Sistren, Schellen und Trommeln beizubringen. Die Mädchen hatten zusätzlich noch Übungsstunden in Tempeltanz, während die Jungen sich handwerklich als Steinmetze betätigten. Die Unterrichtsstunden bestanden jeweils aus einer Fachrichtung am Vormittag und einer anderen am Nachmittag.

      Während der Mittagszeit, der Zeit des Gebetes im Tempel, saßen wir

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