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hinunter, um zu sehen, ob ein Schiff aus Mempi mit einem Brief für mich angekommen war. Nach vier Monden traf die ersehnte Antwort ein.

      Ungeduldig riss ich das Siegel ab und entfaltete den Papyrus:

      »Sethi, Priester des Ptah, an Nefrit von Tis, Tochter des Kamose. Ich bedaure sehr, dass der Tempel dich erst im zehnten Regierungsjahr des Königs Seneferu ausbilden kann. Das liegt nicht an deinen Kenntnissen und Fähigkeiten, sondern daran, dass der Tempel jedes Jahr nur hundertzwanzig Schüler aufnehmen kann. Es liegen fast vierhundert Anmeldungen vor, die zuvor berücksichtigt werden müssen. Ich habe dich für das zehnte Jahr in die Liste der Auszubildenden aufgenommen. Gruß, Sethi, Priester des Ptah.«

      Ich saß am Ufer des Hapi und konnte mich nicht rühren. Noch vier Jahre! Zwei Jahre waren mir schon wie die Ewigkeit vorgekommen, aber doppelt so lange warten? Ich war verzweifelt und brach in Tränen aus.

      Mein Vater bemerkte meine roten Augen nicht, als ich nach Hause kam. Den Brief versteckte ich monatelang unter meinem Bett.

      »In den Tempel? Was willst du dort, Nefrit?«, fragte mein Vater mich fast zwei Jahre später beim gemeinsamen Abendessen zwischen Bauplänen, Tintenfässern und Winkelmessern.

      »Ich will Priesterin werden«, antwortete ich und reichte ihm eine Papyrusrolle, die er während des Essens betrachtete. In diesem Jahr hatten wir so viele Steinbrucharbeiter, dass nicht alle gleichzeitig in den Steinbrüchen arbeiten konnten. Einige mussten zeitweise Steinschlitten ziehen.

      »Das würde bedeuten, dass du in die Tempelschule gehen wirst«, vermutete er ohne aufzusehen. Die Organisation der Steinbrüche schien interessanter zu sein als meine Zukunft.

      »In Mempi gibt es eine sehr gute Tempelschule. Ich will dort lernen.«

      »Mhm.«

      »Vater, hörst du mir überhaupt zu?«

      Endlich blickte er auf. »Nefrit, du kannst bereits lesen und schreiben, du kannst exakte Bauzeichnungen anfertigen und die Stabilität einer Pyramide berechnen. Ich beteilige dich an organisatorischen Entscheidungen auf der Baustelle, und du nimmst mittlerweile an den Besprechungen mit den verantwortlichen Bauleitern teil. Was, bei Imhotep, willst du in der Tempelschule?«

      »Ich will die Tempelriten erlernen, Mathematik und Philosophie, Kunst und Geschichte. Ich will Sistrum und Harfe spielen lernen und Tanzen. Ja, ich würde gern Tanzen lernen.«

      »Das brauchst du alles auf der Baustelle nicht, Nefrit.«

      »Ich will nicht mehr auf der Baustelle leben, Vater. Dies ist nicht mein Leben. Ich will ein anderes Leben leben. Mein eigenes Leben.«

      »Dein eigenes Leben?«

      »Vater, ich bin fast zwölf Jahre alt und will nicht mehr der Schatten des Kamose sein. Ich bin Nefrit.«

      »Die Ausbildung kostet Gold.«

      »Ich weiß, wie viel du verdienst, und ich weiß, wie viel wir gespart haben. Der Königliche Bauleiter Kamose zahlt seiner Gehilfin ein bescheidenes Gehalt von einem halben Kupfer-Deben.«

      »Ich kann dich nicht allein nach Mempi lassen.«

      »Das ist kein Argument«, begehrte ich auf.

      »Es ist das beste, das ich habe: Ich verbiete es dir!«

      In jener Nacht schlief ich nicht in meinem Bett. Nach unserem Streit hatte ich das Zelt verlassen und saß stundenlang am Ufer des Hapi.

      Der Mond stand hoch am Himmel, als Satamun sich still neben mich setzte. Ich wartete eine Weile, was sie mir sagen würde, doch sie schwieg.

      »Schickt dich mein Vater, um mich zur Vernunft zu bringen?«

      »Er hat mir von eurer Auseinandersetzung erzählt, und ich habe selbst entschieden zu kommen. Er ist wütend und enttäuscht.«

      »Er ist wütend und enttäuscht?«, fragte ich ungläubig.

      »Ich kann dich verstehen, Nefrit. Ich würde auch gern fortgehen«, gestand sie.

      Ich versuchte, im Mondlicht ihr Gesicht zu sehen. »Warum tust du es nicht?«

      »Weil dein Vater mich hier braucht. Und dich braucht er noch mehr: Er kann und will nicht auf dich verzichten. Du bist seine rechte Hand auf der Baustelle. Ohne dich wäre er nicht Königlicher Bauleiter.«

      »Ein Grund mehr, mir seine Dankbarkeit zu zeigen und mich nach Mempi gehen zu lassen«, konterte ich.

      »Dein Vater glaubt, dass er hier mehr für dich tun kann. Er hat dir verantwortungsvolle Aufgaben übertragen. Kamose ist der unbeschränkte Herr der Pyramidenbaustelle: Seine einzigen Vorgesetzten sind Prinz Nefermaat und der König. Was willst du mehr?«

      Verstand Satamun, warum ich gehen wollte? »Ich will lernen.«

      »Du hast doch schon so viel gelernt, Nefrit.«

      »Ich will Wissen erwerben, das mir die Macht über mein eigenes Schicksal gibt. Ich will meinen eigenen Weg gehen. Und nicht in Kamoses Spuren laufen.»

      Vier Monde später bat die Bäckerin Satamun um ein Gespräch beim Bauleiter Kamose. Sie sah traurig aus.

      »Was ist denn, Satamun?«

      »Ich will es deinem Vater zuerst sagen.«

      »Was willst du ihm sagen?«

      »Dass ich fortgehe.«

      Satamun teilte meinem Vater mit, dass sie sich entschieden habe, fortan ihre Brote für den König zu backen. Sie könnte in der Bäckerei der Residenz in Pihuni arbeiten. Ich konnte nicht hören, ob mein Vater überhaupt etwas dazu sagte. Die Unterredung im Zelt dauerte nicht lange. Schon bald erschien Satamun und ging mit Tränen in den Augen zurück zur Bäckerei.

      Ich betrat das Zelt, in dem mein Vater mit versteinerter Miene in Schreiberposition auf seinem Kissen saß. Mit leerem Blick starrte er auf den Tisch vor sich.

      »Vater, die Abordnung der Steinbrucharbeiter kommt gleich wegen der Erhöhung der Bezahlung. Soll ich ihnen sagen, dass sie später wiederkommen sollen?«

      Er besann sich und sah mich an. »Nein, nein. Ich werde sie empfangen.«

      »Geht es dir gut, Vater?«, fragte ich besorgt.

      »Ich bin ... müde, sehr müde.«

      »Das hat nicht zufällig mit dem Besuch von Satamun eben zu tun?«

      Es dauerte lange, bis mein Vater die richtigen Worte gefunden hatte. »Satamun hat mir erklärt, dass sie … mich verlassen wird.«

      »Dich oder die Baustelle?«, fragte ich.

      »Sie hat Arbeit im Palast gefunden.«

      »Liebst du sie?«

      »Nach dem Tod deiner Mutter … Vielleicht habe ich mich zu sehr an Satamun gewöhnt. Deshalb fällt es mir jetzt so schwer, sie gehen zu lassen.«

      Ich beschloss, ihm noch nicht zu sagen, dass ich ihn in wenigen Monden verlassen würde, um meinen Platz in der Tempelschule in Mempi anzutreten. Ich hatte noch Zeit, um die unvermeidliche Diskussion über meine persönlichen Lebensziele wieder aufzunehmen.

      Obwohl mein Vater erst vierunddreißig Jahre alt war, sah er aus wie ein alter Mann: Tiefe Falten hatten sich in sein Gesicht eingegraben. Satamuns Aufbruch hatte ihn verbittert. In den Monden nach ihrem Weggang gönnte keiner von uns dem anderen ein freundliches Wort oder eine liebevolle Geste.

      Mein Vater nannte mich undankbar. Er war der Meinung, dass er mir als Königlicher Bauleiter das Leben bieten konnte, das für mich erstrebenswert sein musste. Ich wollte selbst entscheiden, was gut für mich war und was nicht. Er konnte nicht verstehen, dass die Verwirklichung seines Lebenszieles – die Vollendung des Grabmals – mir nichts bedeutete.

      Wir sprachen nur noch selten miteinander. Wir hatten uns wenig zu sagen, was über den Bau der Pyramide oder die Organisation der Baustelle hinausging.

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