ТОП просматриваемых книг сайта:
Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel. Iris Weitkamp
Читать онлайн.Название Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel
Год выпуска 0
isbn 9783738055764
Автор произведения Iris Weitkamp
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Junge, reiß dich bloß zusammen, mahnte er sich und stellte den Hebel der Duscharmatur auf ‚kalt’.
Am Morgen ihres zweiten Krankenhaustages wachte Inga davon auf, dass jemand einen Strauß Moosröschen und Statice auf ihrem Nachttisch arrangierte. Rosa-pink-blau leuchteten die Blumen im Sonnenlicht.
„Hallo, du kleine Schlafmütze.“ Sabije stupste die Freundin an, damit sie ihr Platz machte, und hockte sich auf die Bettkante. „Wie geht es dir? Du siehst furchtbar aus.“
„Ich fühl mich wie etwas, das die Katze ins Haus geschleppt hat. Aber ich glaub, mir geht’s ganz gut. Musst du nicht arbeiten? Was für ein Tag ist heute?“
„Es ist zwanzig vor neun am Mittwochmorgen, und ich bin schon so gut wie weg. Ich war gestern kurz hier und habe dir diese Blumen gebracht, aber du hast geschlafen wie ein Murmeltier.“
„Sie sind wunderschön. Danke, Sabe.“
Sabije verabschiedete sich mit einer herzlichen Umarmung und stöckelte hinaus. Wenn sie so aufgebrezelt auftrat, musste es sich um einen wichtigen Termin handeln. Inga überprüfte ihre eigene Aufmachung und stöhnte. Sie trug immer noch das lächerliche, hinten offene Hemdchen und den schrecklichen Einwegslip. Die grüne Kopfbedeckung hatte ihr eine barmherzige Seele abgenommen, doch ihr Haar hing ungepflegt herunter. Was von ihrer linken Hand aus dem Verband herausschaute, war jodverschmiert, auch die Vorderseite ihres Nachthemdes wies orangefarbene Schlieren auf. ‚Furchtbar’ schien noch stark untertrieben. Inga schwang ihre Beine aus dem Bett und bemerkte die Tasche. Darin fand sie ihr Waschzeug, Kleidung zum Wechseln, Bücher und einen Zettel:
‚Gute Besserung und alles Liebe,
Hilke + Ralf’
Lächelnd tappte sie unter die Dusche. Was für eine Erleichterung! Den linken Arm hoch über ihren Kopf gereckt schaffte sie es, sich die Haare zu waschen und ihre eigene Kleidung anzuziehen. Hilke hatte nicht zusammen passende Unterwäsche herausgesucht, ein langärmeliges Ringelshirt und eine bequeme Cordjeans. Inga fühlte sich wie neu geboren als sie wieder auf ihrem Bett saß, die langen hellblonden Haare frisch gekämmt, und nach einem Buch griff.
So fand Robson sie vor, als er wenig später mit dem üblichen Tross zur Visite herein platzte. Hellwach, gut gelaunt und leicht nach einem blumigen Duschgel duftend. Wäre der Verband nicht gewesen, hätte man sie für kerngesund halten können. Vergnügt lächelte sie ihn an.
„Sie sind doch die Dame mit der Hand ...?“ Er konnte kaum die Augen von ihr lassen. Rasch brachte er sich hinter geschäftsmäßigen Themen in Sicherheit. Operationsverlauf, Nachuntersuchungen, Krankengymnastik ... Während Rob mit seinen Kollegen von einer Patientin zur anderen ging, schielte er unauffällig zu ihr herüber. Doch sie, in ihre Lektüre vertieft, schaute nicht hoch. Im Hinausgehen warf er einen Blick auf die Bücher auf ihrem Nachttisch. ‚The Audacity of Hope’ von Barack Obama und eine Gandhi-Biografie.
„Mann, die ist echt Wahnsinn”, kam es von einem der Medizinstudenten, als sie wieder auf dem Flur standen.
„Wen meinen Sie?“ fragte Robson betont gleichgültig und wandte sich dem nächsten Raum zu.
Da schlenderte ihnen Dr. Rettig entgegen. Rob behielt seinen Weg und das Tempo unverändert bei, so dass Rettig gezwungen war, ihm auszuweichen. Statt jedoch empört oder zumindest irritiert zu wirken, grinste Rettig ihn höhnisch an. Fast so, als ob er etwas wusste, was Robson erst noch erfahren - und nicht mögen würde.
Mit einem großen Pott heissem Kakao saß Inga im alten Lehnsessel vor dem Ofen. Draussen peitschten Sturm und Regen um das Haus, drehten die Pferde ihre Hinterteile gegen den Wind. Die Katzen staksten mit hochgezogenen Pfoten und missbilligenden Gesichtern durch die nassen Wiesen, bemüht, so schnell ins Trockene zu gelangen, wie eine würdevolle Haltung es zuließ. Umso gemütlicher war es im warmem Haus. Nach den Tagen im Krankenhaus fühlte es sich wie das Paradies an.
Dem armen Muttchen neben Inga war es furchtbar schlecht gegangen. Da die Krankenbetten nur durch einen vierzig Zentimeter breiten Nachttisch voneinander getrennt gestanden hatten, war es Inga vorgekommen, als habe die Benutzung der Bettpfanne oder das Erbrechen in ihrem eigenen Bett stattgefunden. Das kleine Zimmer war stickig, weil die Russin bei offenem Fenster umgehend anfing zu frieren. Herrschten nicht in Russland Temperaturen von minus vierzig Grad? Inga machte sich immer wieder bewusst, wie vergleichsweise gut es ihr selbst ging: Kaum Schmerzen, die Möglichkeit, aufzustehen und ins Bad zu gehen ... Dennoch zählte sie die Stunden bis zu ihrer Entlassung.
Jetzt reckte sie sich wohlig und zog ihr Laptop auf den Schoß. Einen Vorteil hatte die Operation gehabt, das musste sie zugeben: Sie konnte ihre Hand benutzen und wenigstens ein paar Stunden täglich am Computer arbeiten, versuchen, den Unmut der Werbeagentur in Grenzen zu halten.
Der Bruch heilte gut. Zwei Kontrolltermine, nach einer und nach zwei Wochen, waren zufriedenstellend verlaufen. Die Bürokratie in der Klinik bedeutete jedoch immer wieder eine harte Geduldsprobe. Zwei verschiedene Röntgenbereiche, die Unfallambulanz, die Chirurgie um den Chefarzt und ein auswärtiger Chirurg bildeten ein undurchschaubares Geflecht aus teils einseitigen, teils rivalisierenden Verbindungen. Inga hasste es, an immer neue Ärzte zu geraten, die sie nie zuvor gesehen hatte. Ihr Auto brachte sie stets zum selben Mechaniker ihres Vertrauens, aber was ihre eigene Gesundheit anging, reichte man sie nun durch wie ein Maschinenteil. Und jeder erzählte ihr etwas anderes: Sie solle auf jeden Fall einen Chirurgen konsultieren. Sie solle sich lieber an einen Radiologen wenden. Sie könne in die Sprechstunde der Chefarztabteilung kommen. Sie müsse zum externen Chirurgen gehen ...
Schließlich begegnete Inga am Zeitungskiosk im Erdgeschoss ihrem rettenden Engel. Sie griff nach demselben Schokoriegel, nach dem gleichzeitig eine Frau mit zerzausten, rotblonden Locken die Hand ausstreckte. Die beiden Frauen sahen sich an und lachten.
„Ich brauche unbedingt was für meine Nerven“, schimpfte die Rotgelockte fröhlich.
„Haben Sie auch Ärger mit der Radiologie?“ Das konnte Inga nun wahrhaftig nachfühlen.
„Nein, mit den Chirurgen. Genauer gesagt, mit einem von ihnen ...“
Es stellte sich heraus, dass die Rothaarige Sekretärin und Mädchen für alles des Chefarztes der Chirurgischen Abteilung war. Außerdem unglücklich verliebt in einen der Ärzte, der für sie unerreichbar schien. Die Frauen schütteten einander ihr Herz aus wie es manchmal passiert, wenn zwei fremde Menschen im seelischen Ausnahmezustand einander sympathisch finden. Zum Abschied bot sie an: „Melden Sie sich das nächste Mal direkt bei mir, und ich schleuse sie durch. Fragen Sie nach Bärbel Lohmann.“
Das Telefon klingelte. Inga stellte ihren Kakao vorsichtig auf den Fußschemel.
„Hallo, Inga. Ich wollte nur mal hören, wie es dir so geht.“
„Hallo, Sandra. Hier ist alles in Ordnung - und bei dir?“ Inga bemühte sich um einen freundlichen Ton, während sie innerlich mit den Zähnen knirschte. Ihre Schwester Sandra, drei Jahre älter und in Frankfurt mit einem Zöllner verheiratet, befand sich auf telefonischer Patroille. Inga ahnte, was gleich kommen würde, und wappnete sich.
„In Ordnung nennst du das, wenn du mit gebrochenem Arm ganz allein in der Pampa sitzt? Mutter hat mir alles erzählt. Du hättest mit dem armen Detlef nicht so hart sein sollen, dann wäre das alles nicht passiert.“
Wenn