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„Da hat Griselbart ganze Arbeit geleistet. Danke, Raephas, du kannst gehen.“

      Der Junge verbeugte sich und zog sich durch den Vorhang zurück. Bald waren seine leisen Schritte verklungen.

      Als er allein war, schickte Skelardo einen Wutschrei zur Decke und zertrümmerte eine gläserne Kristallkugel. Wie konnte Griselbart es wagen, einen unterbrochenen Kreislauf zum Leben zu erwecken und dabei einen Reiter zu kreieren? Besaß er kein Schamgefühl? Jedes anständige Magiewesen würde sich lieber aufhängen, als so etwas zu tun.

      Schwer atmend stützte er sich auf das Fenstersims. Er hatte gute Lust, zum Spaß ein paar der Bürger hinzurichten oder einer Wache öffentlich den Kopf abzuschlagen. Dann fiel ihm etwas ein. Der Junge war noch nicht lange Teil der Anderswelt, erst eine Nacht, seine Schutzzauber konnten sich noch nicht voll entfaltet haben. Und Skelardo wäre kein Vampir, wenn er die Gelegenheit nicht nutzen würde. Er wandte sich einer spiegelnden Glasfläche an der mit schwarzen Kacheln ausgelegten Wand zu. Natürlich konnte der Vampir sein eigenes Spiegelbild nicht sehen, als er sich ihr näherte. Er hatte keine Seele. Er berührte das Glas mit seinen Fingerspitzen, die kälter waren als der Untergrund.

      „Tom Winter, Reiter“, murmelte er. Fast augenblicklich erschienen Bilder auf der Oberfläche, leuchteten für den Bruchteil von Sekunden auf, bevor sie verschwanden; ein schwarzhaariger Junge mit gefälligem Gesicht stand in der Mitte eines Raums und war umringt von mehreren Gestalten, deren Anblick gezwungenermaßen verschwommen war. Der Junge durfte ein Gluthien wählen, eine Musterungsmethode, die Skelardo seit jeher verachtete, aber im Hinblick auf die Ergebnisse zugegebenermaßen sehr effektiv war. Das Gluthien der List wählte Tom Winter, es erhellte seine erstaunte Miene für einen kurzen Augenblick, dann entschied sich der prächtige weiße Hirsch aus den hinteren Reihen für ihn. Der Hirsch war in der Anderswelt kein Unbekannter, Astos der Weiße, hatte schon oft gegen die dritte Pforte gekämpft und dabei mehr Siege als Niederlagen davongetragen. Das war ein herber Rückschlag. Astos würde den Jungen alles lehren, was er wissen musste. Graf Skelardo sah sich das Geschehen bis zum Schluss an und sein Unmut über Griselbarts Dreistigkeit wuchs. Was ihm besonders auffiel, war die Tatsache, dass Tom Winter kein einziges Mal lächelte – er nahm sein Schicksal todernst. So als hätte er sein ganzes Leben darauf gewartet oder als wäre er im Vorfeld dazu bestimmt worden. Dann verlor die Oberfläche des Spiegels an Tiefe, wurde wieder glatt und leer. Tom Winter, so schloss der Vampir, während er mit hinter dem Rücken verschränkten Armen zum Fenster wanderte, könnte zu einer Gefahr werden.

      *

      Griselbart, der Meister der Magie

      Nur noch wenige Stunden bis zum Morgengrauen. Es klopfte an der Tür, als Peer mit dem Gegenstand zurückkehrte, den er für seinen Zauberstab auserkoren hatte. Es handelte sich um einen toten Schmetterling, was keine Überraschung darstellte, genauer gesagt um eine Hyphoraia aulica, eine Hofdame, die in Deutschland als ausgerottet galt. Tom wusste, Peer würde diesen Schmetterling nie leichtfertig für Experimente zur Verfügung stellen, er selbst hatte das Exemplar von seinem Großvater vererbt bekommen und war kein Sammler, der Naturbestände gefährdete.

      „Je ausgefallener, desto besser“, sagte Griselbart vergnügt, während er ihn hereinließ.

      Peer war begeistert von Toms Zauberstab. Er musterte ihn von allen Seiten und fuhr andächtig mit den Fingern über die feinen Maserungen. „Den hast du selber gemacht? Cool. Wann kann ich einen machen?“

      Tom wartete im Wohnzimmer, während die anderen in die Kellerräume gingen, um Peers Zauberstab zu fertigen. Irgendwie hatte er das Gefühl, sein Freund musste das alleine machen. Die Couch, auf die er sich setzte, war mottenzerfressen und roch nach Pfeifentabak, Kaffee und nassem Hund. Der Junge sah sich eine Weile um und entdeckte interessante Bücher mit Titeln wie Ein magisches Kochbuch - Rezepte für Gestaltwandlungen und Tiererscheinungen, Nixen im Bayern des 19. Jahrhunderts und Adastia, das Land der Vampire - eine Erlebniserzählung. Auf der hinteren Wand des Wohnzimmers war ein Stammbaum der Griselbarts aufgemalt, der mit Leowulf Griselbart im fünfzehnten Jahrhundert begann. Tom verfolgte die Abzweigungen und Vermählungen mit den Augen, wobei ihn zunehmende Müdigkeit überkam. Immerhin dämmerte es jetzt fast und er hatte noch keine Sekunde geschlafen. Er machte sich einen Spaß daraus, mit dem Zauberstab wahllos auf Dinge zu zeigen, irgendwas zu murmeln und zu warten, was passierte. Insgesamt geschah nicht viel, einmal fügte er dem Bild einer Blumenvase ein Brandloch zu, obwohl er vorgehabt hatte, es drauf regnen zu lassen und er vermutete, dass es an den falschen Wörtern lag.

      „Das würde ich an deiner Stelle unterlassen“, sagte eine knarzige Stimme hinter ihm.

      Der Junge fuhr herum und ließ vor Schreck fast seinen Zauberstab fallen. Er glaubte, Griselbart wäre ins Zimmer zurückgekehrt. „Tut mir leid, ich - wollte nur ein bisschen ausprobieren …“

      „Meister Griselbart bewahrt einige sehr wertvolle Gegenstände in diesem Raum auf. Außerdem könnten sich manche der Dinge zur Wehr setzen und dir größeren Schaden zufügen, als du ihnen.“

      Nervös blickte Tom um sich. Er konnte den Ursprung der Stimme nicht ausmachen, sie schien vom Boden zu kommen. Vorsichtig lugte er über den Beistelltisch. Eine windfarbene Katze mit gelben Augen saß auf dem Teppich und blickte ihn an, erstaunliche Intelligenz sprach aus ihnen.

      „Hast du das gesagt?“, flüsterte Tom.

      „Der Tisch war es sicher nicht.“

      Tom atmete tief durch. Er kannte die Katze, sie gehörte Griselbart, seitdem er denken konnte, doch er hatte sie stets als sehr altes, sehr launisches Tier betrachtet und sich nicht die Mühe gemacht, sie näher in Augenschein zu nehmen.

      „Ich wusste nicht, dass du sprechen kannst“, sagte er schließlich.

      „Es gibt viel, was du nicht weißt.“ Die Katze, eigentlich war es ein Kater, bewegte beim Sprechen nicht die Lippen, eher schien sie die Gedanken in seinen Kopf zu übertragen. Überhaupt bewegte sie sich nicht viel, sondern saß reglos da wie eine Statue.

      „Und was zum Beispiel?“

      Jetzt zuckte der Schwanz des Katers, als hätte er mit einer solch direkten Frage nicht gerechnet. Er musterte Tom ganz genau, ehe er sagte: „Zum Beispiel, dass Meister Griselbart dich nicht aus Sympathie ein Gluthien wählen ließ. Die Sterne sagten für dieses Jahr voraus, dass ein Sterblicher uns helfen würde und dass seine Hilfe bitter benötigt sein würde.“

      Tom blinzelte. Das war ihm tatsächlich neu. „Steht in ihnen auch, ob Skelardo besiegt wird?“

      Die gelben Augen waren unleserlich. „Das steht nicht in ihnen. Eines jedoch ist sicher: jemand wird auf der Reise verloren gehen und nicht zurückkommen.“

      Tom runzelte die Stirn. „Auf welcher Reise? Wen meinst du?“

      Der Kater gab keine direkte Antwort. „Für die Wissenden ist es keine große Überraschung.“

      „Wen meinst du, Kater?“, fragte Tom drängender und beugte sich vor.

      Ein Geräusch aus der Diele ertönte, dann das Schlurfen von zwei Paar Füßen. Die Ohren des Katers zuckten, dann war das Tier verschwunden, schneller, als Tom es für möglich gehalten hätte.

      „Viel Glück, Tom Winter“, erklang es in seinem Kopf.

      „Mist“, fluchte er.

      Griselbart kam ins Zimmer, den müde wirkenden Peer im Schlepptau.

      „Mit wem hast du gesprochen?“, fragte der Meister stirnrunzelnd.

      „Mit Ihrem Kater.“ Tom blickte sich immer noch nach ihm um. „Er hat mich gewarnt, dass … die Sterne irgendwas vorausgesagt haben … und dass auf unserer Reise jemand verloren gehen könnte.“

      „Ach, hat er das?“ Griselbart warf einen giftigen Blick aus dem Fenster. „Das ist das Kreuz mit den magischen Katzen der Elfen, sie wissen nie, wann sie sprechen oder schweigen sollten! Oder nicht, Finwa?“

      Doch

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