Скачать книгу

versuche wenigstens mit ihnen auszukommen. Du dagegen bist Leuten gegenüber feindlich eingestellt und stößt ihnen dauernd vor den Kopf. Außerdem bist du unsicher. Das merken die Leute“, motzte er weiter.

      „Und du bist perfekt, oder was? ‚Carnegie‘, das ist doch Schund!“ blaffte ich zurück. D. Carnegie: ‚Wie man Freunde gewinnt‘, war Tobias‘ ‚Bibel‘. Er hatte das Buch irgendwann mal im Kaufhaus auf dem Grabbeltisch gefunden und schon drei Mal gelesen.

      „Jedenfalls perfekter als du“, sagte er, „und ich arbeite weiter daran.“ Dazu sagte ich nichts.

      Weil wir uns so langweilten, trampten wir zwei Tage später einfach los: Deutschland angucken.

      Zuerst nach Kassel. Dort lief die Kunstshow: Documenta 6. Ganz dufte. Auf Wiesen gesessen und Persiko getrunken. Kritzelbilder gemacht und an die Wände zwischen die anderen Bilder gehängt und die Reaktionen der Leute beobachtet. Nachts auf einer Schaukel in einem Park Bier gebechert. Dabei wild geschaukelt. Tobias verlor sein Geld und den Pass. Lange krochen wir mit einem Einwegfeuerzeug rum, bis wir alles wiederfanden. Dann war es aber schon nach elf und wir mussten in die Jugendherberge einbrechen, um in unsere Betten zu gelangen.

      Am nächsten Tag ging's nach München. Die ganze Strecke mit nur einer Hippieschleuder: ‚Ford Transit‘. Bergauf verreckte er fast immer.

      In München stiefelten wir als erstes in einen 'Wienerwald', lasen Zeitungen, die wir vorher aus so Kästen geklaut hatten und schlugen uns die Bäuche voll.

      Einen ganzen Tag lungerten wir im Deutschen Museum rum. Kostete nur eine Mark Eintritt. Dafür gab es eine Menge knorker Vorführungen.

      Nürnberg war doof: Studenten in Sandalen.

      In Würzburg waren wir im Kino: ‚die Welt in zehn Millionen Jahren‘, ein Zeichentrickfilm. Recht dufte. Das Weizenbier später turnte auch gut - in der ‚Hühnerdiele‘. Höhö.

      Von Würzburg aus latschten wir die Landstraße entlang nach Estenfeld, weil da erst die Autobahn war. Wir waren angekotzt, weil es ewig weit war. Nach der letzten Tanke hatte die Landstraße außerdem keinen Weg mehr an der Seite. So stolperten wir also im Graben lang. Plötzlich lag vor uns ein Geldschein. Ich bückte mich und hob ihn auf. Dann bückte sich Tobias. Wir steckten das Geld weg und sahen uns um. Die Autos rauschten an uns vorbei, die Fahrer beäugten uns. Wir suchten noch etwas den Graben ab, aber nicht lange.

      Auf der Autobahnauffahrt sahen wir vorsichtig in unsere Taschen: ein Tausender und einen Hunderter. Wow!

      Bis nach Göttingen brauchten wir drei Karren. Dort stiegen wir in einem Hotel ab. 34 Mark, ganz schön happig. Aber wir hatten es ja.

      Vor der Glotze tranken wir eine Flasche Schlehenfeuer (Wildfruchtlikör). Davon waren wir schnell breit und gingen Steak mampfen. Hinterher zogen wir durch ein paar Kneipen.

      Die Flasche Portwein, die wir auch noch gekauft hatten, entkorkten wir erst am nächsten Morgen im Zug nach Hannover.

      Am darauffolgenden Samstag trafen wir uns auf dem Flohmarkt. Tobias kaufte sich ein Mainzelmännchen aus Gummi, die er neuerdings sammelte. Lene sahen wir auch. Sie hatte schon wieder einen neuen Freund im Arm. Diesmal ein älterer.

      „Wie kann man nur so mit seinen Gefühlen rumschmeißen“, kommentierte Tobias das. Aber wir waren natürlich nur voll eifersüchtig.

      In der Stadt gönnten wir uns, in Erinnerung an die dufte Reise, ein Bier und ein Heringsbrötchen von ‚Nordsee‘. Dann zuckten wir zu ‚Brinkmann‘ (Elektrokaufhaus) und ich kaufte mir einen neuen Verstärker. 598 Mark mit Boxen. Reichlich teuer, aber ein echt gutes Teil. Wir fuhren zu mir, schlossen alles an und hörten Platten.

      Elfte Klasse. Kurssystem. Das ich mal so weit käme, das hatte niemand erwartet, ich sowieso nicht. Eigentlich auch nur weil ich in das Caesarbuch: ‚De Bello Gallico‘ eine kleine Übersetzung geklebt hatte. Ich hatte schön viele Fehler eingebaut und schüchtern gestottert. Nicht so Lex, der mit der selben Methode aufgeflogen war und abgehen musste. Er hatte heftig protestiert und gesagt, dass ich auch geschummelt hätte. Aber die Lateinlehrerin hatte gesagt, es wäre immer noch ihre Sache, das zu beurteilen, und wenn sie etwas nicht ausstehen könnte, so wäre das petzen. Rache ist Blutwurst.

      Aufgeregt stellte ich mich in eine der Schlangen, um mich in Kurse einzutragen. Begeistert begaffte ich die supervielen neuen Millies. Die Schule war jetzt richtig voll damit.

      „Hallo“, sagte jemand hinter mir.

      Ich drehte mich um und überlegte, wer sie war.

      „Kennst du mich noch?“, fragte sie und lächelte frech. „Es ist schon ein paar Jahre her, bei ‚Arminia‘.“

      „Ach ja, Stella, die Freundin von Shorty“, rief ich.

      „Mit Shorty bin ich schon längst nicht mehr zusammen.“

      Hätte ich auch gewusst, wenn. Ich musterte sie. Sie sah jetzt völlig anders aus, trug ein Hippie-Outfit, wie ich. Die albernen Stiefel und den Minirock konnte man sich an ihr nicht mehr vorstellen.

      „Gehst du jetzt hier zur Schule?“ fragte ich sie.

      „Ja, Sabine und ich kommen von der Realschule. Jetzt wollen wir Abitur machen“, sagte sie und die pummelige Sabine neben ihr nickte.

      Wir hatten viel Spaß. Ich erklärte den beiden, wo alles war und wie alles funktionierte. Sie ließen das gerne mit sich machen.

      Stella trug sich in einen Mathematik-Leistungskurs ein. Ich hatte mir felsenfest vorgenommen, die leichtere Variante mit Biologie zu wählen. Aber da ich schon hoffnungslos verliebt war, trug mich ebenfalls für Mathe ein.

      Der Alte jubelte begeistert.

      In der nächsten Woche war die erste Mathestunde. Ich wartete vor der Klasse auf Stella. Als sie kam, tat ich so, als wäre ich auch gerade gekommen. Wir betraten zusammen die Klasse, nein, sie schwebte mit ihrem grazilen Körperchen, kleinem Po und kleinen aber bestimmt prima Busen, und wir setzten uns so 'ganz automatisch' nebeneinander. Ich war nun schon in jede Winzigkeit verliebt: wie sie roch, aß, trank, ging, den Stift hielt, den Anorak auszog – einfach in alles. Vor Herzklopfen kriegte ich kaum mit was Lehrer Weindorf alles vom Stapel ließ. Nämlich, dass ein Matheleistungskurs richtig harte Arbeit sei. Ich grinste nur und Stella lächelte zurück und sah mir volle Pulle in die Augen. Ein tolles Lächeln, besonders durch den kleinen Leberfleck über ihrer Lippe - aber: nicht ganz so süß, wie das von Lene.

      In der Pause verabredeten wir gemeinsames Hausaufgabenmachen. Hurra!

      Tobias kam und wir hörten ‚Still Life‘ von ‚Van der Graaf Generator‘. Dazu leerten wir etliche Halbe und ne halbe Flasche Persiko.

      Dann wollten wir zu Uwe (von meiner Schule) zucken. Die Tee-Treffen bei Uwe hießen neuerdings ‚Meetings‘. Es goss in Strömen. Ich also aufs Rad gesprungen. Aber Tobias stellte sich erst mal an die Hauswand und pullerte. Das kriegte natürlich der Hausdrachen mit, riss das Fenster auf und schrie rum. Ich verdünnisierte mich und hoffte, dass sie mich nicht gesehen hatte. Am Ende der Rimsockstraße wartete ich. Aber Tobias kam nicht nach. Also gaste ich wieder zurück. Auch nichts. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Ich durchforstete noch eine Weile die Seitenstraßen, dann fuhr ich alleine zu Uwe. Komischerweise war er da auch nicht. Aber dafür Sabine und Stella. Durchnässt setzte ich mich zu ihnen. Uwe schenkte mir in einem übertriebenen Schneidersitz Tee ein. Das wirkte yogamäßig gelenkig, aber auch nach Käsefüßen. Er hatte einen monströsen Eiterpickel auf der Stirn.

      Eine Stunde später kam Tobias doch noch. Er sagte, er habe sich verfahren, sei schnell nach Hause gerast, habe auf den Stadtplan geguckt, wo Uwe wohne und sei wieder los. Banane!

      Als der Regen nachließ, brachen wir auf zu einer ‚Meditationsveranstaltung‘. Darunter konnte ich mir überhaupt nichts vorstellen. Aber weil Stella hinwollte, wollte ich selbstverständlich auch hin. So simpel war das!

      Unterwegs knallte ich mit dem Rad gegen eine

Скачать книгу