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geglaubt, die Rechte an einer der wohl wichtigsten und bedeutsamsten Publikation unsere Zeit, innerhalb von fünf Minuten zu erwerben? Sofort gibt mir Frau Rosenberg zu verstehen, wenn auch ohne Worte, dass sie sehr wohl noch bei Verstand ist und die Bedeutung ihrer Tagebücher kennt.

      »Dazu kommen wir später. Sie haben meine Tagebücher gelesen, nicht wahr«, entgegnet sie mir. Obwohl sie bestimmt und distanziert wirkt, merke ich wie ihr Innerstes, bei dem Gedanken an den Inhalt ihrer Memoiren, ins Wanken gerät. Ihre innere Zerrissenheit ist jetzt kaum noch zu übersehen.

      »Ja, habe ich.« In ihrer Gegenwart höre ich mich an, wie ein kleines Mäuschen. Einerseits flößt sie mir Angst ein, und andererseits scheint sie so zerbrechlich wie eine Porzellanfigur zu sein. Was würde ich geben, um in diesem Moment ihre Gedanken und Erinnerungen lesen zu können.

      »Sie möchten nun wissen, ob es auch wirklich so passiert ist«, fragt sie und ihre Augen füllen sich mit Tränen.

      »Frau Rosenberg, es ist nicht meine Absicht alte Wunden aufzureißen. Wenn sie das nicht möchten, gehe ich wieder.« Plötzlich fühle ich mich wie ein Eindringling, der versucht in ihrer Vergangenheit herumzustochern und ihr erneut das Herz brechen zu wollen.

      »Wo ist ihre anfängliche Entschlossenheit hin, Frau Schwarz? Wollen sie die Geschichte nun hören oder nicht?« Sie scheint verärgert zu sein, obwohl ich nur versucht habe, ihr nicht zu nahe zu treten und sie zu bedrängen. »Ist es für sie in Ordnung, wenn ich mir Notizen mache«, frage ich zögerlich. »Wie sie wollen.«

      Ihr Blick schweift nun wieder zu der alten Eiche vor dem Fenster. Anna greift nach ihrer Hand und streichelt ihr sanft über die Schulter. Die Ähnlichkeit zwischen der alten, so zerbrechlich wirkenden Dame und ihrer jungen, lebendigen Enkelin verblüfft mich ungemein. Wie kann etwas so offensichtlich unterschiedliches, sich bei genauerem Hinsehen so offensichtlich ähneln. Meine Gedanken tragen mich weiter fort und bevor ich mich in ihnen verliere, erinnert mich meine unbändige Neugier daran, warum ich hier bin.

      Schnell krame ich aus meiner Aktentasche meinen Notizblock und einen Bleistift hervor und mache es mir bequem. Nach einigen Sekunden der Stille fängt die alte, zerbrechliche Frau mir gegenüber an zu erzählen, während meine Gedanken mich in eine längst vergangene Zeit fort tragen.

      Es war Sommer. Um genau zu sein war es der 22. Juni 1938. Der Sommer, in dem ich meinen Onkel und meine Tante in Paris besuchen sollte. Meine Eltern hatten es so entschieden und um ehrlich zu sein, war ich sehr froh darüber. Die letzten Jahre hatten mein geliebtes Vaterland unter dem Regime von Hitler in seinem ganzen Wesen gezeichnet. Seine Weltanschauung sowie der gegenwertige Antisemitismus wurde uns Deutschen von klein auf eingeimpft und förmlich aufgezwungen. Man hatte uns mundtot gemacht.

      Die in Deutschland lebenden Juden waren für unseren Führer eine Art Parasit, den es zu vertreiben und auszulöschen galt. Die, die sich zu widersetzen versuchten, wurden verfolgt und verhaftet. Eine Verbindung zwischen Juden und uns sogenannten deutschen Ariern war verboten. Sie wurden Schritt für Schritt aus der Gesellschaft verbannt.

      Aber damals war ich erst siebzehn Jahre jung und hätte nicht im Entferntesten einschätzen können, wie schlimm es um unser Land bestellt war. Wie auch? Ich war wohl behütet in einer der besten Wohngegenden Frankfurts, dem Lerchensberg, aufgewachsen. Dort im Süden Frankfurts versuchte mich mein Vater vor dem Nationalsozialismus und dessen Grausamkeit zu beschützen.

      Mein Vater war Anwalt und unterrichtete an der Goethe Universität in Frankfurt. Um unsere Familie zu schützen und entgegen seiner eigenen Wertvorstellungen, fügte auch er sich den ideologischen Ansichten unseres Führers. Er sah Hitler als einen Betrüger an, der nicht nur geübt darin war sein Volk zu täuschen, sondern auch bereit war sein Volk in einen Krieg zu führen, dessen Ausmaße unvorstellbar sein würden.

      Wir hatten das Glück gehabt von meinem Großvater, der zu seinen Lebzeiten ein gut verdienender Geschäftsmann war, ein nennenswertes Vermögen zu erben. Deshalb konnte mein Vater es sich leisten mir Privatunterricht zu geben. Er wollte nicht, dass ich Verbindungen wie der Hitlerjugend beitrete, in der bereits Kinder zu gewaltbereiten und rassistischen Persönlichkeiten erzogen worden. Er wollte unbedingt verhindern, dass diese verdrehte Weltanschauung der Nazis für mich eine Selbstverständlichkeit werden würde.

      Für ihn gab es keine bessere oder schlechtere Rasse. Für ihn waren wir alle gleich gestellt. Doch zu der Zeit war es unmöglich diese Meinung auch nach außen hin zu vertreten, besonders nicht, wenn man eine Familie hatte. Er hatte zu viele junge Männer und Frauen gesehen, die aufgrund ihres Widerstandes gegen den Nationalsozialismus verhaftet wurden und nie wieder auftauchten. Jeder wusste, was hinter der Fassade geschah und doch waren alle still. Sich gegen den Führer und seine Anhänger erheben? Das wäre Selbstmord gewesen. Also passten wir uns an.

      Meine Mutter besuchte einmal in der Woche einen sogenannten Frauenschaftsabend. Dort wurde gesungen, gelesen und Gedichte vorgetragen. Aber vordergründig wurden weltanschauliche Themen besprochen. Für meine Mutter eine Qual. Sie sagte oft zu mir: »Um das Liebste in meinem Leben zu beschützen, ist das nur ein kleiner Preis, den ich zu zahlen habe.« Doch ich sah in ihren Augen, dass dieses Schauspiel, was sie für mich betreiben musste mehr in ihr zerstörte, als sie zugeben wollte.

      Zu diesem Zeitpunkt ahnten nicht einmal, die in Europa lebenden Juden, was sie in den nächsten Jahren noch zu durchleben hatten. Niemand konnte es ahnen, denn Hitlers Maske fing erst langsam an zu fallen.

      »Emilia! Dein Zug fährt in einer Stunde. Kommst du bitte in den Salon? Dein Vater und ich möchten vor deiner Abfahrt kurz etwas mit dir besprechen.« Die lieblich klingende Stimme meiner Mutter reißt mich aus meinen tiefen Gedanken. Um der Realität ab und an zu entfliehen, habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht mich auf der Bank in dem halbrunden Erker meines Zimmers niederzulassen und für einige, viel zu kurze Momente in eine andere Welt zu entfliehen. Wie oft habe ich mir gewünscht, diese mir fremden Welten zumindest zu einem Teil mit in meine eigene zu nehmen? Wie oft habe ich davon geträumt meinem eigenen Willen zu folgen, mich der Welt zu stellen und nach so vielen Jahren das echte Leben kennen zu lernen? Wie oft war dieser Traum mir verwehrt wurden und blieb für lange Zeit ein solcher? Doch jetzt, da meine Zeit gekommen ist und der Drang danach, eine echte Frau zu werden immer stärker wird, verliere ich mich erneut in meinen Gedanken und schiebe die Realität immer weiter von mir fort. Als ich mich umdrehe, ist meine Mutter bereits verschwunden. Langsam wende ich mich wieder der Aussicht zu, die mich in den letzten Jahren, Tag für Tag in fremde Welten geführt hat.

      Vor meinem Fenster erhebt sich eine etwa zweihundert Jahre alte Eiche, die sich so gewaltig, wie ein schützender Wall vor dem Haus postiert. In diesem Sommer ist die Krone besonders dicht bewachsen und sogar ein paar Eichhörnchen haben sich auf ihr niedergelassen, die ihr Leben verleihen und das dunkle Monstrum, weniger dunkel erscheinen lassen. Manchmal sitze ich stundenlang dort, nur um zu beobachten, wie sie miteinander spielen und langsam ihre kleinen Nüsse, Stück für Stück aufknabbern. Es ist ein friedlicher Ort, an dem alle Sorgen und düstere Gedanken verschwunden sind und nur noch die Schönheit dieses einen Baumes von Bedeutung ist.

      Ich nehme mir Zeit, um mich von meinem Zimmer und dem Leben hier zu verabschieden, zumindest für eine Weile. Ich versuche in den letzten Momenten, die mir bleiben, diese wunderschönen Eindrücke aufzusaugen und in meinem Kopf abzuspeichern. Denn bereits in einer Stunde werde ich im Zug nach Paris sitzen, und das für genau vier Monate.

      Mein Onkel, Pierre Dupont, bei dem ich den Sommer verbringen werde, ist ein angesehener Hotelier in Paris. In diesem Jahr feierte er das zwanzigjährige Bestehen seines Hotels. Sein Gespür für das Geschäft und die Bedürfnisse der wohlbetuchten Gesellschaft aus aller Welt, haben ihm in den letzten Jahren zu einem beträchtlichen Vermögen verholfen. Obwohl solche Dinge für mich nicht von großer Bedeutung sind, freue ich mich für ihn und seinen Mut, den er so oft bewiesen hat.

      Als ein armer Angestellter hat er vor vielen Jahren in diesem Hotel angefangen und nach dem Tod der ursprünglichen Inhaber den Schritt gewagt, selbst das Hotel zu leiten und es zu einem der ersten Anlaufstellen in Paris zu machen. Seine Frau Joselin ist die Schwester meiner Mutter Carolin und hatte ihn vor achtzehn Jahren während eines Urlaubes in Paris kennengelernt. Es dauerte

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