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hatte mittlerweile zur Tour zurückgeschaltet, die Werbung war zu Ende. Oh, das war steil, verdammt steil. Ein Berg der höchsten Kategorie, und dann auch noch bei dem Dreckswetter. Musste irrsinnig anstrengend sein. Siebzehn hatte einmal versucht, mit einem gefundenen Fahrrad den Sühlberg hochzukommen, aber schon nach halber Strecke stieg er mit hängender Zunge vom Sattel. Die Leistungsapotheker im Fernsehen kannten solche Probleme natürlich nicht. Die fuhren mit Eigenbenzin. Kein Mensch schaffte über Stunden solche Berge ohne Verstärker im Saft. Obwohl jetzt trotzdem einige ins Trudeln gerieten. Da, der erste fiel um, der zweite, da, ein dritter gab auf, wegen Erschöpfung. Dummerweise sah man kaum noch etwas. Der Schlussanstieg nach L’Alp d’Huez führte durch eine geschlossene Nebelwand, die das Peleton komplett einhüllte. Zustände wie am Nanga Parbat. Für die Attraktivität des Rennens war das gut. Für seine persönliche Statistik weniger.

      Er hatte ausgerechnet, dass er in den letzten Tagen 2348 Kilometer Tour de France gesehen hatte, die Kilometer die er verschlafen hatte mitgerechnet. Eine reife Leistung, wie er fand. Da sollte man eigentlich eine bessere Übertragungsqualität verlangen können. In allen Krimis gab es heute Nachtsichtgeräte, die den Mensch als roten Hitzefleck zeigten. Sogar Bomben und Raketen hatten mittlerweile ihre eigenen Bordkameras, die bei noch so schlechtem Wetter aus subjektiver Anflugperspektive zeigten, wie Al-Kaida-Jugendherbergen oder Giftgasarsenale superscharf in die Luft flogen. Und da sollte es nicht möglich sein, saubere Bilder von der Tour de France zu liefern? Wegen der paar Wolken? Jamais, mon President!

      Nein, da steckte etwas ganz anderes dahinter. Siebzehn glaubte nicht an Verschwörungstheorien, aber den Frogs traute er alles zu. Franzosen waren Halsabschneider. Vorhin hatte noch der Neuseeländer geführt, knapp vor den Bauernkreditfahrern. Die Bauernkreditfahrer waren die Frogs, die kannten sich da oben aus. Für die war es ein Leichtes, ortsunkundige Kiwis auf einen Feldweg umzuleiten, der erst 800 Meter tiefer weiter ging. Diesen heimtückischen Froschfressern traute er alles zu.

      Der Bildschirm zeigte weiter grau in grau. Die Regie schaltete zur Talstation um, wo blasse Konturen der Zieleinfahrt zu erkennen waren. Siebzehn steckte sich eine Lulle an, zog tief durch und legte etwas Morgengymnastik ein. Linkes Bein hoch, rechtes Bein hoch, dazu den Nacken kreiseln lassen. Bevor es knackte, stellte er die Übung ein.

      Dabei beschlich ihn das unangenehme Gefühl, dass er beobachtet wurde. Und tatsächlich, Luistrenker, der psychopathische Miesepeter, hatte sich wieder in den Raum geschlichen, wohl auf der Suche nach seinem Fressnapf, der verunglückt zwischen dem Erich-Honecker-Gedächtnisaltar und den vertrockneten Pizzaschachteln vom letzten Samstag lag. Siebzehn warf einen alten Schlappen, der den Kater um Haaresbreite verfehlte. Das Biest fauchte wütend und vollführte mit gestauchtem Buckel einen Zweimetersatz zur Seite.

      „Hau ab, du Scheißvieh“, brüllte Siebzehn, der so früh am Morgen leicht reizbar war und von seinem Asylbewohner Rücksicht erwarten durfte. Sonst setzte es ganz schnell einen Arschtritt.

      Leicht verstimmt konzentrierte er sich wieder auf die Radler, die den Kamm überwunden hatten und im rasenden Tempo auf der Rückseite des Berges die Nebelwände durchschnitten. Der Neuseeländer war nirgends mehr zu sehen. Dafür lag plötzlich der hagere Spanier, den sie Speedy Gonzales nannten, in Front. Von zehn Sprintwertungen der vorherigen Etappen hatte er acht gewonnen, was für saubere Assists der medizinischen Abteilung sprach. Einer von den Franzosen klebte an seinem Hinterrad und ließ sich nicht abschütteln. Nur noch zwei Kilometer bis zum Ziel, und es ging die ganze Zeit bergab. Aber in gefährlichen Serpentinen und auf nassem Pflaster. Wie schnell konnte da etwas passieren. Siebzehn verfolgte gebannt den Spurt von Speedy Gonzales, der sich Meter für Meter absetzte und trotz des peitschenden Regens die Kurven in den gefährlichsten Winkeln schnitt. Das Motorrad mit dem Kameramann auf dem Sozius kam kaum noch nach. Was für ein Wahnsinn. Der Kerl war uneinholbar, zwischen dem Spanier und dem verfolgenden Frog klafften mittlerweile mindestens drei Radlängen. Was auch immer Speedy Gonzales im Tank hatte, Dr. Fuentes und seine Pillendreher hatten sich wieder einmal selbst übertroffen.

      Noch fünfzig, vierzig, dreißig Meter. Dann die Zieleinfahrt. Speedy Gonzales war der Sieger der zwölften Etappe der Tour de Trance. Rotgelbe Fahnen wurden geschwenkt, die Tour hatte einen neuen Träger des gelben Trikots und ein Hubschrauber flog den Neuseeländer ins Krankenhaus von Avoriaz. Am nächsten Tag der nächste Berg, mit etwas Glück sollte das Wetter sogar noch schlechter werden. Très Beaujolais.

      Siebzehn warf den heißen Stummel der Lulle aus dem Fenster und rüstete sich innerlich für einen neuen Tag. Der ganz schön Scheiße angefangen hatte. Pastor, dieser Trottel. Rannte vor ein Auto. Diesen verrückten Polen konnte man auch keine Sekunde aus den Augen lassen. Die letzten drei Wochen war er trocken gewesen, aber Doc Carstensen meinte, um seine Leberwerte aszudrucken, bräuchte er jedesmal eine neue Papierrolle. Dabei war Pastor nicht mal versichert. Sollte die sich im Krankenhaus damit rumschlagen. Siebzehn fühlte sich außerstande, in seinem geschwächten Zustand eine Weltreise nach Eppendorf anzutreten. Und dann noch in ein Krankenhaus. Dicke Weiber in weißen Kitteln bereiteten ihm Bluthochdruck, der amöbenhafte Geruch in den Gängen war schlecht für seine Haut und man hörte immer von diesen giftigen Ebola-Keimen in der Cafeteria und den Raucherzonen. Er hatte eine andere Idee.

      Zehn Minuten später war die Sache geregelt. Dem Taxifahrer sagte er, dass sein Großvater schon leicht dement war, aber für eine Flasche Eierlikör von seinem Enkel bestimmt ein gutes Trinkgeld springen lassen würde. Dann spratzte er Luistrenker eine Thunfischhagebuttenschleim in den ungewaschenen Fressnapf und begab sich auf Patrouille durch das Viertel.

      Auf der Straße roch es nach geplatzen Müllbeuteln und frischem Mutterkuchen.

      *

      Wir lassen uns unser Freiräume nicht klauen. Mehr Geld für offene Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien in Hamburg.“

      Das Transparent hing vor der Motte, einem Kulturzentrum in Hamburg-Ottensen, in dem arbeitslose Theatergruppen gastierten und Dritteweltmusiker Rache für die koloniale Knechtung vergangener Jahrhunderte nahmen. Der Rauch war mittlerweile abgezogen, die Feuerwehr rollte ihre Schläuche ein, bei einem der Immobilienhändler an der Alster schrillte jetzt wahrscheinlich das rote Telefon.

      Siebzehn trottete über die Eulenstraße, vorbei am „Leaf“ (ein Veganer-Restaurant, vor dem sie letztens einen Kübel Schweineblut ausgekippt hatten) und dem Wucher-Gourmet-Schuppen „Große Brunnenstraße 19“ (ein Lammfilet an Rosmarienkartoffeln und Selleriedipp, 18 Euro 99, fast geschenkt!), in der es früher ganz normale Hamburger Hausmannskost und Labskaus hoch und runter gab. Er überlegte, was die von der Motte wohl unter „offenen Angeboten“ verstanden. Gab es auch geschlossene Angebote? Machte da jemand die Tür auf und zu, oder wie sollte man sich das vorstellen? Wieso schrieben sie nicht gleich „billige Angebote“, das war doch wohl gemeint. Klang wahrscheinlich zu ideologisch. Damit machte man sich in diesem bürgerlichen Wohnviertel verdächtig. Der Aufstand gegen zu hohe Mieten, leerstehenden Wohnraum oder NPD-Demos am Altonaer Blutsonntag sollte selbstverständlich geführt werden, aber bitte innerhalb des Rahmens. Wir sind doch hier nicht bei den Räubern. Nee, aber bei grünen Oberstufenlehrern. Siebzehn kannte das Pack, das im Plenum der Motte hockte. Wegen solchen Lurchen würde es sich ernsthaft lohnen, CDU zu wählen. Nur damit man ihr blödes Geschwätz nicht mehr hören musste.

      Vor Teufels Küche kam ihm Fatih entgegen. Mit der Schauspielerin Nina Petri an seiner Seite. Die wohnte auch ums Eck. Siebzehn grüßte kurz. In Ottensen wohnten eine Menge Promis, Hannelore Hoger mit ihrem Bonanza-Rad, Peter Franke, der meistens im Roth Hof hielt, Peter Lohmeyer, den es aber eher selten aus dem „Pudel“ unten an der Elbe spülte, und natürlich die Fatih-Akin-Gang um Moritz, Adam und Chico. Allerdings gehörte es in Ottensen zum guten Ton, um diese Filmpeople kein sonderliches Aufsehen zu machen. Man kannte sich vom sehen, das reichte. Obwohl Siebzehn und Schädel Fatih sogar etwas besser kannten, denn sie hatten in einer Gaststättenszene von „Soul Kitchen“ am Tisch gleich neben der Kamera gesessen. Das verbindet. Fatih winkte erkennend zurück, Siebzehn nickte und schlurfte weiter.

      Wahrscheinlich fragte sich Nina Petri, wer dieser gutaussehende Mann war, der mitten im Sommer so eine dicke Lederjacke trug.

      Am Spritzenplatz

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