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Zu dumm zum Beten. Heiko Rosner
Читать онлайн.Название Zu dumm zum Beten
Год выпуска 0
isbn 9783738037302
Автор произведения Heiko Rosner
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Wem?“
„Na, Pastor.“
„Die Beine sind grün und blau. Was weiß ich? Mir sagt ja keiner was.“
„Aber ist alles noch dran?“
„Ich glaube, das würde den Ärzten schlecht bekommen, wenn sie ihm irgendwas absägen.“ Gessler wurde ungeduldig. „Kommst du jetzt oder nicht?“
Da. Zehn Uhr. Beginn der siebten Etappe. Das hieß, sie fuhren schon. Siebzehn fummelte nach der Fernbedienung. „Das ist mir alles zu transparent, ich überleg mir das“, sagte er kurz angebunden. „Richte Pastor schöne Grüße aus und halte die Stellung. Alles andere besprechen wir in der Krähe.“
Er hörte Gessler noch zeteren, drückte ihn aber weg und warf das Handy auf die Frühstücksschuhschachtel, wo es hingehörte. Der Bildschirm flammte auf und zeigte Drogisten im strömenden Regen, die sich eine steile Bergpassage hochquälten. Wunderbar. Er lehnte sich bequem im Chefsessel zurück. Siebzehn liebte Sport (obwohl man ihm das nicht ansah).
Weil das Feuer gegenüber aufgrund des beherzten Eingreifens der freiwilligen Pyromanen in den letzten Zuckungen lag und wohl kaum noch auf benachbarte Grundstücke überzugreifen vermochte, richtete Siebzehn seine Aufmerksamkeit auf den Zwanzig-Zoll-HDXL-Schlankfernseher, den er bei einem Gegengeschäft mit Big G abgefischt hatte. Eigentlich war die Glotze viel zu groß für den den knapp zwanzig Quadratmeter großen Raum, den er gleichzeitig als Schlafzimmer, Büro und Meditationszentrum benutzte. Obwohl er nie im klassischen Sinn meditierte. Sitzen und Sinnen, dann womöglich Schauen und Schaffen, das waren so seine Übungen. Also nichts was den Kreislauf zu sehr beanspruchte. In seinem Alter sollte man lieber die eine oder andere Zigarette mehr rauchen, als sich unnötig zu überanstrengen. Das meinte auch Doc Carstensen, der Arbeitnehmerarzt im Viertel, ein entschiedener Verfechter des Passivarbeitens und der Sportverweigerung. Der Doc war es auch gewesen, der Siebzehn den Tipp gegeben hatte, sich im Fernsehen zur Entspannung Golfturniere, Skischanzenspringereien, Marathonwettläufe oder andere komplett sinnlose Sportarten anzusehen. Das entschlackte und sorgte für eine geregelte Blutzirkulation. Und nichts war Siebzehn wichtiger als eine ordentliche Passivgesundheit.
Seither war er ein Fan der Tour de Trance, eines sportlichen Unfugs, der zwar gähnend langweilig war, aber aufgrund ihrer Nähe zur Dogenkriminalität über einen kollegialen Reiz verfügte. Mittlerweile hielt er die Übertragungen der Frankreich-Rundfahrt gar für eine der besten Kultursendungen des deutschen Fernsehens. Wo sonst erfuhr man, dass in der Bretagne die Fischwirtschaft dahinsiecht, dass das größte manuell betriebene Glockenspiel in der Provence steht oder in den südfranzösischen Wäldern wieder freilebende Bären ihr Unwesen treiben. Auch die Fachbegriffe der Radlersprache wie Windkanten, Kreuzgängeln, Schiebeschub oder Kernmuffenoptimierung übten eine kuriose Faszination auf ihn aus. Am schönsten war es aber natürlich, wenn einer mit dem Rad nicht die Kurve kriegte und ungebremst in die Botanik kachelte. Noch besser waren Massenkollisionen im Zielsprint.
Dabei war Siebzehn im Grunde seines Herzens Fußballfan. St. Pauli-Dauerkartenbesitzer seit der Besetzung der Hafenstraße, Weltpokalsiegerbesieger, Tabellenführer der ersten Bundesliga am 12. August 1995 und Erster der Herzen in Hamburg hinter der Mannschaft mit dem Stadion neben der Müllverbrennungsanlage. Dazwischen gab es einige wenige Niederlagen. Geschenkt. Deutscher Meister konnte nur der FC St. Pauli werden. Das sahen die Marcel Reifs dieser Welt nur noch nicht voraus. Aber jetzt war Sommerpause, und im Fernsehen liefen nur Testspiele oder Freundschaftsbegegnungen zwischen Hertha BSC und Dunlop Olpe, ganz zu schweigen von der Simulations-WM der Frauen (nie war Zeitlupe überflüssiger). Es war noch lange hin bis zum Bundesligastart. Irgendwie musste man die Zeit überbrücken und da war die Frog-Tour mit ihren schicken AKW-Bildern und hohen Bergen gar kein schlechtes Methadon.
Spannend fand er vor allem die Zuschauerfragen. Warum bei der Tour so wenig Schwarze mitfahren. Wie die Sattelstützen berechnet werden. Ob Pinkelpausen mitgezählt werden. Er rief manchmal selbst im Studio an, und fragte, ob bei Schussfahrten ins Tal die Gangschaltung ausgestellt werden muss, was die französische Polizei macht, wenn bei Ortsdurchfahrten die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit überschritten wird oder seit wann Jan Ullrich nicht mehr mitfährt? Diese Form des interaktiven Fernsehens nannte er Gonzo-Lotto und er betrieb es mit wachsender Begeisterung. Erst vor kurzem hatte er in der Phoenix-Nachgefragt-Runde des ARD-Presseclubs angerufen, und den Alleswisser-Zerberus der Trockenhauben-Illustrierten Stern live zum Thema Casino-Kapitalismus gefragt, wieso er so ein Geheimnis darum machte, dass er auf der Payroll des Industriedachverbands der deutschen Dax-Unternehmen stand. Das gab ein Gebrülle, sagenhaft! Obwohl alles frei erfunden war. Oder gut geraten. Jedenfalls bekam der Stern-Heini einen Riesenärger und Siebzehn rief noch am selben Nachmittag in der „Gegengerade“-Talkshow von Sport 1 an, wo er verriet, dass Bastian Schweinsteiger ein gemeinsames Schwarzgeldkonto mit Joachim Löw hatte.
Werbepause. Er zappte weg und landete in einer Phoenix-Diskussionsrunde mit dem Thema „Starke Frau sucht schwachen Mann – Der Wandel des Beuteschemas?“ Eine Frau mit sehr langem Hals sagte, die Lebensläufe zwischen Erwerbsarbeit und Kinderkriegen müßten dringend entzerrt werden. Seine anderen Lieblingssendungen waren „Exaktes Hellsehen mit Hilli“ auf Astro-TV („Ich kann sehen bei dir berufliche Veränderungen Ende Oktober.“) und die Ratgeber-Show „Domian“ nachts um eins auf WDR 3. Da hockte mitten in der Nacht live ein schnurrender Schmuseonkel und tröste schniefende Teenager, die seit fünf Tagen Single waren oder an anderen psychischen Erkrankungen litten. Siebzehn hatte auch einmal angerufen, und sich als homosexueller Bundesligaspieler mit Erektionsproblemen ausgegeben. Im Verlauf des Gesprächs mit Domian gab er zu, dass er sich heimlich ritzte und gern kleine Jungs in Bayern-München-Trikots strangulierte. Daraufhin flog er kommentarlos aus der Leitung. Die hatten auch gar keinen Humor, nachts im Fernsehen. Da rief er lieber weiter bei Sportsendungen an, die erklärten ihm wenigstens, warum es so wenig Schwarze mit Gangschaltung gab.
Siebzehn schaltete um God-TV, ein Sender, den er wegen seines elaborierten Bildungsauftrags schätzte. Eine Art Fischer-Chor sang vor majestätischer Bergkulisse das Lied vom letzten Sähmann: „Sähmann, sähe, ich sehe dich, wir sind dein Korn, wir sind dein Kind, Sähmann, oh Sähmann, sähe nur geschwind.“
Das gefiel Siebzehn. Diese Christen hatten von allen TV-Entertainern die abgefahrensten Show-Ideen. Ein Seemann im Gebirge, war das nicht ein geradezu Sloterdeijksches Volumengleichnis über den Menschen, der in dieser Welt geworfen nach seinem Hafen sucht, aber ihn auf der Zugspitze und dem Großen Brocken nirgends finden kann? Was für ein Schicksalsdrama. Siebzehn konnte sich in den Seemann gut hineinfühlen, denn ähnlich war es ihm bei Springer ergangen.
Siebzehn hieß eigentlich Karl-Heinz Bredstedt, stammte aus Bad Segeberg und wollte seit seiner ersten Rory-Gallagher-Platte Rockstar werden. Das klappte nicht (aus den verschiedensten Gründen, einer davon war, dass er auf der Gitarre über das erste Riff von Black Sabbaths „Iron Man“ nie hinauskam). Die Liebe verschlug ihn nach der Reichswehr Hamburg, wo er den Kapitän der Titanic kennenlernte. Schädel arbeitete in der Poststelle des Springer-Konzerns, und nachdem einer seiner Kuriere sich totgesoffen hatte, verschaffte er seinem Kumpel aus Bad Segeberg den Job. Seitdem hieß Karl-Heinz Bredstedt Siebzehn, denn Siebzehn war die Nummer, unter der er fuhr. Die Liebe zerschlug sich, der Job auch. Rory Gallagher hatte keine Lust mehr, jeden Tag bis in die Puppen von der Kaiser-Wilhelm-Straße in die Druckerei nach Ahrensburg zu kurven. Er schmiss hin. Nur der Name Siebzehn, der blieb an ihm kleben.
Schädel kündigte wenig später ebenfalls. Kurz darauf brannte vor den Gourmettempeln in der Friedensalle der erste Jeep Cherokee. Zufällig gehörte er dem Chefredakteur der Bild-Zeitung. Nach den Anti-G-8-Ausschreitungen testeten sie auch andere Wagentypen, ohne je ernsthafte Aktivistenkarrieren anzustreben. Obwohl sie hin und wieder Scheiben einwarfen, aber nur die von Ketten. Sie nannten das energetische Ertüchtigung. Ein klares Ziel verfolgten sie mit ihren Aktionen nicht. Sie wollten nur, dass es für die anderen langsam ungemütlich wird. Und weil immer mehr Anwälte, Manager und Makler in Ottensen