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sein Jackett ablegte und sich in eine englischsprachige Zeitung vertiefte.

      Doktor Kurz schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Wie konnte das nur passieren? Es musste eine Ursache geben für ihre ständige Unterzuckerung. Sie beschloss, in ihrer Heimatstadt eine befreundete Ärztin zu kontaktieren, um der Sache auf den Grund zu gehen. Sie brachte sich per Fernbedienung in eine aufrechte Position, entfernte Kissen und Decke, die eine nahende Flugbegleiterin ihr sogleich abnahm und ließ sich die Speisekarte bringen. Den Blutzuckerwert zu stabilisieren war jetzt von höchster Priorität. Sie maß nach und konnte beruhigt aufatmen. Während sie die Utensilien wegpackte, sinnierte sie, dass sie um ein Haar das Zeitliche gesegnet hätte, und all ihre gefährlichen Bemühungen, die von ihr entwendeten Informationen von Messerschmidt-Hancock Enterprises an die Öffentlichkeit zu bringen, wären umsonst gewesen. Wer, außer sie, kämpfte dann für die vielen, unschuldigen Seelen, die für Grahams abartige Experimente ihr Leben geben mussten und noch müssen?

      Nicht jeder besaß den Mut, sich mit einem Giganten anzulegen. Aus welchem Grund auch immer.

      Es gibt doch noch gute Menschen auf dieser Welt, dachte Doktor Madeleine Kurz erleichtert und blickte zu einem der ovalen, halb vereisten Flugzeugfenster hinaus. Unter ihnen herrschte absolute Dunkelheit. Nur hin und wieder entdeckte sie einen hellen Flecken, den sie als Kreuzfahrtschiff identifizierte. Sie mussten sich demzufolge über dem Atlantischen Ozean befinden. Was für ein friedlicher Ausblick. Als gäbe es gar keine Ungerechtigkeit auf der Welt.

      "Mrs. Kurz!"

      Die Angesprochene drehte unerschrocken den Kopf. Eine freundlich lächelnde Flugbegleiterin stand vor ihr.

      "Der Flugkapitän lässt fragen", fuhr die Stewardess in diskreten Ton fort, "ob es Ihnen wieder besser geht?"

      "Danke der Nachfrage. Es gibt keinen Grund mehr zur Sorge. Mein Blutzuckerspiegel hat sich wieder normalisiert", gab die Angesprochene ruhig zurück.

      "Darüber wird er sehr erleichtert sein. Darf ich Ihnen etwas bringen?"

      "Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn ich das Menü durchgesehen habe."

      "Sehr gerne, Mrs. Kurz."

      Die Biologiewissenschaftlerin studierte das hervorragende Angebot an Salaten, Vorspeisen, Hauptgängen, Desserts und Snacks sowie die alkoholischen und nicht alkoholischen Getränke. Sie nahm einen bunten Salat mit gegrillten Garnelen, danach eine Miniportion Wiener Tafelspitz in Meerrettichsoße, dazu frische Bohnen mit Kartoffelklößchen und als Abschluss ein Orangensorbet. Als Getränk wählte sie einen Spätburgunder Rotwein, halbtrocken. Wenig später wurde ihr das Menü auf weißem Porzellan serviert, mit einer weißen Stoffserviette und einer roten Rose, dazu edles Metallbesteck.

      "Guten Appetit!" wünschte die servierende Flugbegleiterin.

      "Danke!" Genussvoll ließ es sich die Wissenschaftlerin schmecken. Jeden Happen ließ sie sich auf der Zunge zergehen. Besonders der Rotwein schmeichelte ihrem Gaumen.

      Bernhardt Jackson, der zur selben Zeit einen Chefsalat verzehrte und dazu ein spritziges Wasser genoss, äugte gesprächsbereit zu seiner Sitznachbarin hinüber. "Verzeihen Sie bitte, Doktor Kurz, wie ist der Wiener Tafelspitz?“

      "Ausgezeichnet!" lobte sie, ohne aufzusehen. "Das Essen an Bord ist jedes Mal erste Klasse." Ist er sich eigentlich seiner immensen Anziehungskraft bewusst? stöhnte sie innerlich auf.

      "Sehr treffend ausgedrückt. Sie fliegen meines Erachtens häufiger diese Linie?"

      Sehr neugierig dieser Bernhardt Jackson. Erwähnte ich schon, dass ich ruhebedürftig bin? Auf acht Stunden Kommunikation kann ich wirklich verzichten. - Woher weiß er überhaupt, dass ich einen Doktortitel besitze? Wahrscheinlich auch von der Flugbegleiterin. Dennoch blieb Madeleine Kurz höflich. "Ja, ich ... ." Die Angesprochene bekam einen kurzen, aber heftigen Stich in der Herzgegend. Die Luft wollte ihr wegbleiben und auch ein wenig Übelkeit gesellte sich dazu.

      Mister Jackson starrte sie sorgenvoll an. "Мrs. Kurz ... ", begann er konsterniert.

      "Sie entschuldigen mich!" Nervös blickte sie sich um. Meine Tasche! Die Informationen! Ich ich habe sie doch rechts von mir abgelegt! Als sie ihr Eigentum nicht fand, schwenkte sie den Esstisch hektisch zur Seite, dass ein wenig Wein überschwappte, schwang sich aus dem Sitz und wühlte wie besessen in der oberen Gepäckablage. Wo ist sie? Wo ist sie? Um Gottes Willen, wenn die Informationen in die falschen Hände geraten! Endlich fanden Hände und Augen sie. Gierig klammerten sich ihre Finger darum. Dann eilte sie überstürzt zum WC. Jackson und auch einige andere in ihrer Ruhe oder im Schlaf gestörte Fluggäste blickten der Frau stirnrunzelnd oder kopfschüttelnd nach. Solch einen unschicklichen Tumult waren sie nicht gewöhnt. Schließlich befanden sie sich hier in der First-class. Da war schon die Lautstärke der Triebwerke das absolute Maximum, was es zu ertragen galt.

      "Entschuldigen Sie, bitte!" sagte sie hastig zu einer Frau, die gerade die selbe Toilette für ihre Bedürfnisse nutzen wollte, da alle anderen Gelegenheiten in der Economy-class dauernd besetzt waren und man anstehen musste oder unter unappetitlicher Fehlfunktionen litten, was auch mal vorkam.

      "Ähm ja, okay! Aber beeilen Sie sich!"

      Ohne zu erwidern glitt die Frau durch die schmale Tür in die geräumige Sanitärzelle und verschloss diese. Ihr Herz klopfte so wild, dass es ihr beinah Brust und Hals zerriss. Übernervös und zittrig kramte sie eher planlos in ihrer Businessaktentasche. Wo, wo ist er? Verdammt! Er kann doch nicht weg sein! Madeleine schwitzte und fror gleichzeitig. Sie konnte die Panik kaum noch ertragen. Am liebsten hätte sie ihr Elend hinaus geschrien. Endlich bekam sie ihn zu fassen. Die kalt gewordenen Hände umschlossen erleichtert den mittelgroßen, runden Handspiegel. Unter Zuhilfenahme einer ihrer gestärkten Fingernägel löste sie vorsichtig den Boden vom Spiegel. Klick! Sie hielt automatisch die Luft an. Ihre Augen weiteten sich auf die Größe von Tischtennisbällen. "Gott sei Dank!!" flüsterte sie und eine immense Last schien von ihrem Körper abzufallen. Die Daten Minidisc befand sie an dem Platz, an dem sie sie vor etlichen Stunden versteckte. Im nächsten Moment hätte sie sich ohrfeigen können. Wie leichtsinnig von mir, die Disc unbeaufsichtigt zu lassen, an einem Ort, wo sie sich jeder Dahergelaufene nehmen kann. Pass gefälligst besser auf! Die Disc darf weder verloren gehen noch in die falschen Hände geraten! Und jetzt beruhige dich endlich! Deine Nerven sind schon genug strapaziert worden. Reiß dich zusammen, Madeleine! Mit diesem an sich selbst gerichteten Befehl packte sie ihre Sachen wieder sorgsam zusammen und verschloss die Tasche zu guter Letzt sorgfältig. Ihr Blick glitt in den kleinen Kristallspiegel, der direkt vor ihr an der exklusiven Innenverkleidung der Kabine klebte. Ein Knopf ihrer weißen Bluse stand offen, so dass ihr Dekollete mehr preisgab, als sie es in der Öffentlichkeit beabsichtigte. Madeleine erschrak und zuckte gleich darauf zusammen. Ihre Augen verengten sich. Kleine, feuerrote Punkte von regelmäßiger Form zeichneten sich zwischen ihren von einem weißen Spitzen-BH gehaltenen Brüsten ab. Oh mein Gott? Was um Himmels Willen ist das? Sofort rasten ihre Gedanken zu ihrem verabscheuungswürdigen Arbeitsplatz, den sie nie wieder in ihrem Leben betreten würde. Hatte sie sich möglicherweise im Labor infiziert? Ihr inneres Auge fuhr die gesamte Strecke bis zum Flughafen in rasantem Tempo ab. Oder eventuell unterwegs unbekannte Krankheitserreger aufgeschnappt? Heutzutage konnte man schließlich nicht mehr sicher genug sein. Bakterien und Viren waren viel aggressiver als noch vor zwanzig, dreißig Jahren. Sie klebten und flogen überall. Zitternd fuhren ihre Fingerspitzen über die Hautveränderungen. Sie spürte kleine Erhebungen. Wie kleine Pickel, wie sie sie in der Pubertät ertragen musste. Daher stammte also der Juckreiz. Sie stellte ihre Tasche kurzerhand noch einmal beiseite, streifte die grau melierte Kostümjacke elegant ab, öffnete vollständig ihre Bluse und zog sie aus, um ihren gesamten Oberkörper zu inspizieren. Zu ihrem Unglück entdeckte sie, neben kleinen, verblassenden blauen Flecken und den Einstichstellen der Injektionskanülen vom Insulin, weitere Flecken auf dem sacht gewölbten Unterleib, die sich unregelmäßig darüber verteilten.

      "He, Ma'am! Sind Sie endlich fertig? Hier draußen stehen ein paar Leute, die auch mal dringend müssen!" rief eine verärgerte Frauenstimme von jenseits der Tür, während sie zwei Mal energisch dagegen pochte.

      "Einen kleinen Moment,

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