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einer kurzen Einweisung durch Kommissar Hofer, gezielt kriminalistisch relevante Spuren im ganzen Haus zu sichern, in dem sie unter anderem aus mehreren Sichtweisen den Tatort fotografierten, die einzelnen Spuren ausnummerierten sowie Proben des Ameisenschleims und einige lebende wie tote Ameisen in separaten Reagenzgläsern sammelten. Außerdem fanden die Beamten im Bad ein mit eingetrockneten Bluttropfen getränktes Handtuch und eine mit Blut befleckte Duschbürste vor, welche sie ebenfalls mitnahmen. Genauso wie einige Haare und ein abgerissener Fingernagel. Auch die getragene Kleidung der Toten, die im Bad hing, sollte auf Spuren untersucht werden. Da der Gerichtsmediziner nicht rechtzeitig vor Ort sein konnte, wurde unverzüglich nach der Spurensicherstellung das städtische Bestattungswesen angerufen, um den Leichnam von Doktor Madeleine Kurz mitsamt ihrer anhänglichen Ameisen in einem Leichensack in die Leipziger Gerichtsmedizin in der Johannisallee zu befördern, wo er umgehend nach Eingang des staatsanwaltschaftlichen Beschlusses obduziert werden sollte. Die Todesursache war so undurchsichtig wie ein schwarzer Leichensack. Wie auch das Notarztteam und die Kollegen von der Polizei verließen die Kripo-Beamten Müller und Hofer den Tatort, entfernten sich jedoch nicht weiter, als bis zum Zaun des Grundstückes. Leider konnte Michael die Kollegen von der Spurensicherung nicht davon überzeugen, den Schlüsselbund der verstorbenen Frau Kurz bis morgen behalten zu dürfen. Schließlich konnten sich wertvolle Fingerabdrücke darauf befinden. Verdammtes Pech! Allerdings steckte ein Stein aus dem Vorgarten zwischen Tür und Rahmen, damit die Kriminalbeamten noch freien Zugang zum Haus bekamen. Draußen wurden sie auf einige Schaulustige aufmerksam, die sich trotz der sibirischen anmutenden Kälte ins Freie gewagt hatten. Vereinzelte inhalierten zügig und tief den Rauch ihrer Zigarette, um sich auf diese Art und Weise aufzuwärmen, bis es nichts mehr zu sehen gab. Andere wiederum waren bis zur Unkenntlichkeit in dicke Wintersachen eingepackt. Auch einige Reporter und ein Kamerateam vom Leipzig Fernsehen befanden sich unter den Anwesenden.

      "Herrgott nochmal, wer hat die denn informiert!" stöhnte Conny entrüstet. "Schau sie dir nur an, wie sie danach gieren, ein paar exklusive Fotos und Stories zu erhaschen."

      "Vor denen sind die Opfer nicht einmal am Ende der Welt sicher. Vermutlich würden wir aber auch so reagieren, wenn wir den ihren Job hätten."

      "Da hast du wohl recht."

      Sie sogen noch einmal die kalte Novemberluft in die Lungen und gingen zurück ins warme Haus, um noch einmal alle Details durchzugehen, die ihnen bei der Aufklärung dieses Falls helfen sollten. Bereitgelegte, weiße Überschuhe streiften sie über, um keine zusätzlichen Spuren zu hinterlassen. Nachdenklich standen sie im Wohnzimmer des schmucken und nun verwaisten Bungalows. Ob ihn irgendjemand kaufen würde, nachdem was hier geschah? Die meisten Leute gruselten sich davor, ein Haus oder eine Wohnung zu beziehen, in dem jemand gestorben oder gar ermordet wurde. Das drückte den Preis für dieses Haus, wenn es in einigen Wochen zum Verkauf stand, ungemein. Falls der Kaufinteressent von den Geschehnissen Wind bekam und der Makler es ihm mehr oder weniger bereitwillig erzählte. Egal. Das war nicht ihr Bier.

      "Also", meinte Constanze und zückte Notizblock und Kugelschreiber. "Tragen wir alle Fakten zusammen, die wir bisher gesammelt haben." Sie notierte mit schneller und doch gut leserlicher Schrift Namen, Datum und Uhrzeit. "Wir haben eine international anerkannte Biologie-Wissenschaftlerin, die heute morgen, offensichtlich unerwartet, da selbst ihre Haushälterin nicht von ihrem Besuch informiert worden war, mit dem Flugzeug aus New York in Leipzig ankam und zwar gegen 0.33 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Stunden später gegen 8.15 Uhr fanden wir Doktor Kurz tot auf. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits etwa eine Stunde tot." Während sie sprach, vermerkte sie weitere Notizen, um sicherzugehen, dass sie nichts von Bedeutung vergaß. "Unerklärlicherweise tummelten sich Dutzende von Ameisen auf ihrem Körper."

      "Und in ihrem Körper", fügte Michael hinzu und schauderte erneut bei diesem Gedanken.

      Ihre Kollegin nickte angewidert von dem Gedanken und der Vorstellung. Wie auf Kommando durchlief ein Frösteln ihren eigenen Körper. "Also, da stellt sich als erstes die Frage, mit welchem Fahrzeug Frau Kurz nach Hause fuhr?"

      "Schauen wir in der Garage nach. Obwohl ich meine, dass sie sich eher ein Taxi vom Airport genommen hat. Vor der Garage gab es keine Reifenspuren. Außerdem glaube ich kaum, dass jemand so blöd ist und freiwillig für mehrere Monate überteuerte Standgebühren für das Parkhaus auf dem Flughafengelände bezahlt."

      Wieder traten sie hinaus in die frostklirrende Kälte. Ihnen war zumute, als liefen sie gegen eine Wand aus prickelndem Eis. Der Wind trieb ihnen augenblicklich die Tränen in die Augen und fegte sie mit der nächsten Böe hinweg. Die Sonne verbarg sich hin und wieder hinter dahinziehenden Fetzen aus grauen Dunstschleiern, die das satte, klare Bild eines eisblauen Himmels störten. Wirbelnde Wölkchen entstanden vor ihren Gesichtern, die ebenso schnell davongetragen wurden. Eine scheiß Kälte! Und beide trugen keine Mützen bei sich. Zu dumm. Dafür setzten die Kommissare ihre Kapuzen auf und schnürten diese fest, dass sie ihnen nicht von den Köpfen flogen. Die Überschuhe steckten sie in die Jackentaschen. Vielleicht brauchten sie diese noch einmal. Einzelne Zuschauer beobachteten noch immer voller Neugier den Tatort, obwohl es nichts mehr zu sehen gab. Sämtliche Einsatzkräfte, die Kollegen von der Spurensicherung sowie das Fahrzeug vom Bestattungswesen waren schon seit Minuten verschwunden. Ebenso wie die aufdringliche Presse und das Fernsehen. Sie alle hatten, was sie wollten. Was, also, hielt diese Gaffer noch hier? War es denn so hochinteressant, zwei Kommissaren zuzuschauen, die sich meterweise im Garten bewegten und dabei so leise berieten, dass sie eh keiner verstand? Die Kripobeamten konzentrierten sich auf ihre Aufgabe und ignorierten die paar lästigen Besucher, die sich noch immer hinter der Polizeiabsperrung die Beine in den Bauch standen und kleine, weiße Rauchwolken aus Nasen und Münder in den Himmel bliesen. Irgendwann würden die auch verschwinden.

      Es gab keine Verbindung zwischen Haus und Garagenbau. Und leider auch keine Schuhspuren oder Spuren von Kofferrollen. Michael prüfte dennoch das Tor, um sicher zu gehen. Sie mussten jedes Detail inspizieren. Jeder Hinweis zählte. "Еs ist abgeschlossen. Gibt es noch eine Seitentür oder ein Fenster, Conny?"

      "Ein Fenster." Sie kratzte mit den blanken Fingernägeln mühsam den Frost von der Scheibe und spähte hinein. Verdammt, ist das kalt! Ein älteres Modell eines blauen BMW X1 stand in der sonst leeren, sauberen Garage. Das Fahrzeug war weder nass noch hatten sich feuchte Spuren von den Reifen oder herabtropfender Nässe gebildet. Es sah blitzeblank aus, wie gerade vom Autohändler gekommen.

      "Und?"

      "Mit ihrem Auto ist sie wohl nicht gefahren." Sie machte sich eine Notiz. "Wir werden die Taxizentralen befragen, ob jemand unser Opfer befördert hat. Da bin ich mir zu 99 % sicher."

      "Das kann Stefan am Montag übernehmen."

      "Gute Idee!" Stefan Tauchnitz war auf ihrer Dienststelle der Mann für jegliche Beschaffungen von Informationen. "Also, die Schleifspuren im Flur gehören definitiv zu den Stiefeln der Toten. Das konnte mir die Spurensicherung bereits versichern. Wir haben, abgesehen von unseren eigenen und denen der Einsatzkräfte, vier weitere, verschiedene Schuhspuren. Das erste Profil gehört wiederum zum Opfer, das zweite zu Frau Schmidt, der Haushälterin. Die anderen zwei gehören, nach erster Einschätzung der Spurensicherung, zu Männerschuhen, die sich im Haus verteilen. Zum einen wären das eine Art Wanderschuhe oder Winterstiefel. Die anderen gehören vermutlich zu Herrenschnürschuhen. Das wirft die nächsten Fragen auf. Wer befand sich noch im Haus? Wann? Und aus welchem Grund? Und auf welche Art kamen diese noch unidentifizierten Personen hinein."

      Beide wussten keine Antworten darauf.

      Conny setzte zu einer neuen Frage an. "Wie lange braucht man mit dem Taxi eigentlich vom Flughafen bis hier her? Ich bin diese Strecke noch nie selbst mit dem Auto gefahren. Mit der S-Bahn ist es viel bequemer und stressfreier."

      "Tja, in Anbetracht der Witterungsverhältnisse bestimmt 50 Minuten. Dazu kommt noch die Zeit zwischen vollständigem Halt des Flugzeuges sowie Aussteigen der Fluggäste und Ankunft am Taxistand. Wenn es gut geht, sagen wir eine dreiviertel bis eine Stunde. Vielleicht auch länger. Kommt darauf an, wie lange die Passagiere am Ausgabeband auf ihr Gepäck warten müssen und ob der Zoll die Koffer kontrollieren will."

      "Dann war Frau Kurz also gegen drei Uhr zu Hause."

      "Schon möglich."

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