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Augen wie Gras und Meer. M.T.W. Mayer
Читать онлайн.Название Augen wie Gras und Meer
Год выпуска 0
isbn 9783738036176
Автор произведения M.T.W. Mayer
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Eine Seitentür außerhalb Milias Blickfeld öffnete sich und die Wache kam zurück, neben sich eine schmächtige Frau mittleren Alters, in einfache Kleider gehüllt, die ihr Gesicht hinter einem Tuch verbarg und eine schlichte Schale aus Ton trug. Wasser befand sich darin. Doch als sie Aret sah, entwich ihrer Kehle ein Schrei und sie lief freudig auf ihn zu. Dabei hatte sie ihren Schleier los gelassen und Milia sah ihr sanftes Gesicht, dessen Züge sie an die indischen Sklaven auf dem Markt in Atlantis erinnerten. Kurz bevor sie Aret berühren konnte, blieb sie ehrfurchtsvoll stehen. Ungläubige Freude stand in ihren braunen Augen. Auf dem Weg hatte sie einige Tropfen Wasser vergossen, die sich nun dunkel vom Boden abhoben.
„Das ist Rhani“, erklärte der Schah, woraufhin die Frau erschrocken ihr Gesicht verbarg und zu ihm trat. „Sie wird ab heute Eure Sklavin sein, solange Ihr uns mit Eurer Anwesenheit beglückt.“ Rhanis Haltung verspannte sich, sie blickte kurz zu Aret, dann auf den Boden. Milia wusste nicht wie ihr geschah. Eine Sklavin für sie? War sie nicht eine Gefangene? Doch der Schah behandelte sie eher wie einen Gast, auf dessen Ankunft man sich lange gefreut hatte.
Der Schah nickte Rhani zu, die Milia daraufhin die Tonschale hinhielt.
„Wascht Euch etwas, der Sand schadet Eurer empfindlichen Haut.“ Nach diesen Worten wechselte der Schah wieder ins Arabische und sprach weiter mit Aret, der respektvoll antwortete. Milia blickte auf die klare Oberfläche des Wassers, dann zu Ebo neben ihr. Wann hatte er das letzte Mal etwas getrunken? Kurzentschlossen nahm sie mit ihren Händen etwas von der kühlen Flüssigkeit auf und führte sie an Ebos Mund, der dankbar davon trank. Rhanis Augen weiteten sich vor Schreck und Milia blickte kurz zu dem Schah und Aret, die sie beide stumm musterten. Doch sie hielt ihren Blicken trotzig stand. Auch wenn sie sich nicht um Ebo kümmern wollten, sie würde sich nicht ihr Gesicht waschen wenn er neben ihr fast verdurstete.
Schließlich wandte sich der Schah wieder Aret zu und sprach weiter leise mit ihm. Ebo wiederum signalisierte, genug getrunken zu haben, weshalb Milia nun begann, sich mit dem Wasser vorsichtig ihr Gesicht zu waschen.
Dann kam der Schah ruhig zu ihr. „Wir werden nun auf den Balkon gehen. Dort werde ich einige Worte an die Bewohner richten. Mein Sohn Atif wird für Euch übersetzen.“ Er zeigte auf den jungen Mann, der neben dem Thron gestanden hatte und nun näher herantrat. Er nickte Milia zu. Auch wenn der Schah freundlich gesprochen hatte, war klar, dass er keinen Widerspruch duldete. Weder von Milia, noch von seinem Sohn.
Dann führte der Schah sie durch eines der bodentiefen Fenster auf einen großen Balkon, der tatsächlich über die gesamte Stadt zu ragen schien. Überall standen Menschen, die erwartungsvoll zu ihnen hinauf blickten. Milia wurde schwindlig von dem Ausblick. Sie stand zwischen dem Schah und seinem Sohn Atif. Zur Linken des Schahs standen Aret und Ebo. Die Bewohner der Stadt warteten gespannt auf die Ansprache ihres Herrn. Selbst der Wind schien zum Stillstand gekommen zu sein, um durch keinen Laut seine Worte zu übertönen.
Kapitel 8
Seine Stimme war warm und klar, trotz des Schleiers, der seinen Mund bedeckte. Und obwohl Milia den Schah nicht verstand, spürte sie, dass seine Worte gewissenhaft gewählt wurden. Nach einigen Sätzen beugte sich Atif zu ihr und übersetzte die Ansprache seines Vaters.
„Es erfüllt mich mit großer Freude, einen todgeglaubten Freund und einen schmerzlich herbeigesehnten Gast in unserer Festung begrüßen zu dürfen. Jedoch ist dieser Empfang auch mit Schmerz und Leid verbunden.“ Atifs Aussprache war an manchen Stellen unsicher, dennoch verstand Milia ihn. Die Bewohner der Stadt hörten ihrem Herrn gespannt zu.
„Aret war mit seiner Schwester Fara und dem tüchtigen Alaji nach Atlantis aufgebrochen. Er kehrte jedoch alleine zurück. Alajis Tod hat uns tief bestürzt und hinterlässt eine Witwe und drei kleine Kinder. Meine Gedanken sind bei ihnen. Alaji war ein guter Mann.“ Der Schah machte eine kurze Pause. Milia versuchte zu verstehen, was das alles zu bedeuten hatte. Ihr war nie ein weiterer Mann in Arets oder Faras Umfeld aufgefallen. „Durch Arets Rückkehr bestätigt sich auch die schmerzliche Ahnung, dass die Seele seiner Schwester beim Untergang der großen Stadt Atlantis in das Reich der Toten gewechselt ist.“ Irgendwo in der Menge hörte man ein Schluchzen und Wimmern, doch Milia konnte nicht ausmachen, woher genau es kam. „Meine Gedanken sind dabei besonders bei ihrer Mutter und ihren Schwestern. Ihnen soll es ein Trost sein, dass Faras geliebter Bruder in ihren letzten Augenblicken in dieser Welt bei ihr war, um ihr die Angst vor dem Weggehen zu nehmen. Kurz vor ihrem Tod bat sie Aret, ihr Amulett an diesen Mann zu geben, Ebo, einen Sklaven im Hause des Periandros.“ Der Schah deutete auf Ebo. Die Bewohner reagierten überrascht auf diese Bekanntmachung. Ein Raunen ging durch die engen Gassen. „Er hatte ihr beigestanden, als sie in Not war. Deshalb bat sie ihren Bruder, ihn mit hierher zu nehmen, um hier in Freiheit leben zu können.“
Das Gemurmel in der Menge wurde größer. Der Schah schwieg, bis die Bewohner der Stadt zur Ruhe gekommen waren. Milia wurde das Gefühl nicht los, dass der wichtigste Teil seiner Ansprache kurz bevor stand.
„Unter Arets Verantwortung starben zwei meiner Krieger. Außerdem brachte er ohne meine Erlaubnis einen Fremden in die Festung. Seine Strafe dafür sollen fünf Hiebe mit der Peitsche sein.“
Zwei Wachen traten hinter den Vorhängen auf den Balkon, flankierten Aret und führten ihn weg. Milia konnte nur einen kurzen Blick auf sein ausdrucksloses Gesicht erhaschen. Die Bewohner waren wieder unruhig geworden, doch der Schah brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. Milia verstand nicht, was hier vor sich ging.
„Der Sklave Ebo wird bei uns bleiben, seine Wunden werden versorgt werden. In zehn Tagen wird er seine Fähigkeiten im Kampf unter Beweis stellen. Danach entscheide ich, ob er in der Festung bleiben darf oder nicht.“ Der Schah streckte seine Hand nach Milia aus. Reflexartig legte sie ihre hinein. „Das hier ist Aimilia aus Atlantis, Tochter des Periandros. Sie ist mein Gast und lebt mit meiner Familie im Palast.“ Der Schah nickte Milia freundlich zu, doch sie konnte sich nicht bewegen. Das war alles zu viel für sie und ihr blieb keine Zeit, die unzähligen Gedanken in ihrem Kopf zu ordnen.
Die Menge wurde unruhig. Milia sah unter dem Balkon einen freien Platz, auf den nun Aret geführt wurde. Ruhig nahm er erst seinen nachtblauen Schleier ab, dann den Umhang und übergab beides einem der Wachen. Schließlich zog er auch sein Hemd aus, legte es auf den Boden und ging zu einer Säule, die am Rande des Platzes stand. An ihr waren steinerne Griffe befestigt. Auf zwei davon legte Aret seine Hände und blieb regungslos stehen. Einer der Wachen ging nun auf ihn zu, er hatte eine Peitsche in der Hand. Milia wusste nicht, woher er sie hatte. Ein leises Wimmern drang an ihre Ohren und sie glaubte, die alte Frau zu sehen, die Aret so tränenreich begrüßt hatte.
Milia hätte am liebsten weggesehen, doch seltsamerweise konnte sie ihren Blick nicht von Arets nacktem Oberkörper abwenden. Es schien ihr fast, als wären darauf alte, bereits verheilte Narben zu sehen. Sie waren ihr vorher nie aufgefallen. Die Wache mit der Peitsche stellte sich hinter ihn und holte aus.
Das Geräusch fuhr Milia durch alle Knochen.
Die Wache rief laut ein Wort. Milia vermutete, dass er zählte.
Dann schlug er erneut zu. Aret gab keinen Laut von sich, sondern hielt sich nur mit aller Kraft an der Steinsäule fest. Seine Arme zitterten vor Anspannung. In Fetzen hing seine Haut von seinem Rücken, zwei blutrote Striemen kamen dazwischen zum Vorschein.
Nach dem dritten Schlag löste sich Milia aus ihrer Starre und wandte sich ab. Die Wache zählte weiter.
Ein weiterer Schlag.
Die Bewohner waren ganz ruhig.
Milia schossen Tränen in die Augen. Auch wenn Aret sie entführt hatte, sie durch die Wüste geschleppt und respektlos