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Es war nicht meine Schuld. Thomas Spyra
Читать онлайн.Название Es war nicht meine Schuld
Год выпуска 0
isbn 9783752919431
Автор произведения Thomas Spyra
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
In einer kleinen Ansprache erläuterte Joseph den gelesenen Text, bedankte sich am Ende bei dem Vater und dem Rebbe Menachem Mendel.
Zum Abschluss sprach der Vater das altüberlieferte Gebet: «Gesegnet sei Gott, der mich von der Strafe für das Kind erlöst hat, denn von jetzt an ist der Junge zum Mann geworden. Er trägt die Verantwortung für seine Taten sowie etwaige Strafen selbst.»
Im Vorraum umarmten die Gemeindemitglieder Joseph und wünschten ihm: «Masel tov[Fußnote 7]».
Traditionell folgte am Abend des Tages, nach dem Ausklingen des Sabbats, ein großes Fest mit Verwandten, Freunden und Bekannten. Dabei gab es Geschenke, Musik, Reden, heitere Einlagen und ein opulentes Festessen.
Aber leider fiel das Fest bei den Schapiras spärlich aus. Nur Elsa mit ihrer Mutter und die Nachbarn Holderlind feierten mit ihnen bei einem bescheidenen Mahl. Joseph sprach das Dankgebet.
Der Dreizehnjährige hatte heute nur Blicke für Elsa, wuselte immer um sie herum. Das Mädchen hatte ihre fast knielangen, wie Ebenholz glänzenden Haare, zu einem Zopf geflochten, aufgesteckt und mit verschiedenen farbigen Bändern geschmückt. Sie sah reizend aus, ihre Augen strahlten. Der Junge bewunderte und verehrte Elsa. Wir heiraten, wenn ich einmal groß bin, nahm er sich zumindest fest vor.
Seine, trotz ständiger Not, glückliche Kindheit, war nun endgültig vorbei. Ab diesem Tag trug Joseph, wie alle Männer, zum Morgengebet Gebetsriemen und -mantel.
Der Kaufmann Levin erschien am nächsten Morgen zu einem Gespräch unter Männern, wie er scherzhaft hinzufügte. Er lächelte Joseph zu.
«Mordechai, ich bin mit deinem Jungen äußerst zufrieden, er lernt ordentlich, hat eine schnelle Auffassungsgabe und beträgt sich anständig.»
«Cousin Levin das freut mich.»
«Ist schon recht», unterbrach ihn der Händler, «höre meinen Vorschlag: Ich nehme Joseph in die Lehre, verzichte auf das Lehrgeld, dafür wohnt und isst er bei euch daheim.»
Er hielt ihm die Hand hin.
Mordechai schaute zu seinem Sohn, dieser nickte freudig.
Er schlug ein: «Vielen Dank! Es gilt!»
Ostern 1799 setzte sich Mordechai zum Musizieren an den Rand des Domplatzes, er fiedelte vom frühen Morgen bis spät abends.
Es war ein herrlicher Frühlingstag, die Leute waren in gebefreudiger Laune. Mittags brachten ihm die beiden Töchter etwas zum Essen und abends kam seine Frau Mirjam: «Mach nicht so lange, du bist müde, das sehe ich an deinen Augen. Kurz vor dem Dunkelwerden schicke ich Joseph, der hilft dir beim Aufräumen.»
«Lass den Jungen, den Stuhl und die Kiste schaffe ich alleine.»
«Nein, keine Widerrede!»
In der Dämmerung lief Joseph die paar hundert Meter an den Platz vor, er hörte von weitem Geschrei.
«Du Scheißjude, dein Gefiedel stört uns schon den ganzen Tag. Hör sofort auf!» Torkelnd schlug der Mann zu, so das Mordechai vom Stuhl fiel.
Der zweite Betrunkene lallte: «Haste Angst – Saujude?» Er trat hämisch grinsend auf das zu Boden gefallene Instrument, sodass es krachte.
«Nein, nicht die Geige! Hört auf!», flehte der auf dem Pflaster liegende Mann.
Die beiden Schläger ließen nicht ab, droschen auch auf Joseph ein, als der sich einmischte.
Der Größere packte den Stuhl und schmetterte ihn Mordechai auf den Kopf. Blut spritze, der Musikant zuckte ein paarmal, dann lag er still.
«Aufhören, Hilfe, Hilfe!», brüllte Joseph laut.
Einige Fenster an den Nachbarhäusern öffneten sich.
«Scheiße, der Jude rührt sich nicht mehr, los komm lass uns abhauen.» Der Kleinere zog den Saufkumpan weg, eilig suchten beide das Weite und die Dunkelheit verschluckte sie.
Joseph hielt heulend den blutigen Kopf seines Vaters auf dem Schoß.
Ein paar mutige Leute rannten herbei, schickten nach dem Doktor und dem Stadtbüttel.
Keuchend erreichte der grauhaarige Mediziner die wild diskutierende kleine Gruppe, untersuchte Mordechai und schüttelte bedauernd den Kopf: «Zu spät, dem ist nicht mehr helfen.»
Der Büttel notierte sich das Geschehene, aber leider konnten die Täter nicht ermittelt werden. Vielleicht fehlte auch der nötige Nachdruck, betraf ja nur einen armen Juden, von denen es genug in der Stadt gab.
Mit achtzehn änderte sich Josephs Leben radikal. Seit dem Tod seines Vaters sorgte er für die Familie, nach seiner Arbeit im Tuchlager bettelte er abends oder musizierte in den Straßen.
Unerwartet starb der Kaufmann Levin Schapira nach einem Herzinfarkt. Kurzerhand schloss seine Tochter, die mit einem reichen Viehhändler verheiratet war, das Tuchgeschäft ihres Vaters.
Joseph traf sich abends mit Elias Holderlind und jammerte ihm vor: «Ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll!»
Sein Freund gab ihm recht: «Wir haben hier keine Chancen, es gibt zu viele arme Leute in Speyer.»
«Genau, aber was dann?»
«Joseph, ich habe gehört, dass die im fernen österreichischen Kaiserreich Siedlerpaare für Oberschlesien suchen. Alle bekommen Land und ein Startgeld. Dies wäre doch was für uns?» Begeisterte sich Elias.
«Ich weiß nicht recht, ich rede mal mit Elsa», überlegte Joseph.
«Was willst du mit Elsa, die ist zu alt für dich!»
«Die sechs Jahre spielen keine Rolle, wenn man sich liebt!»
«Sie bringt noch weniger mit wie du. Such dir eine mit Geld!»
Joseph lachte: «Tagträumer, deine Judith ist genauso arm, wie wir beide.»
Joseph und Elsa erzählten ihren Müttern von den Möglichkeiten in Oberschlesien.
Die Beiden ermutigten sie: «Kinder heiratet und sucht euer Glück in der Fremde. Wir Witwen verhungern schon nicht. Notfalls gibt es noch die Armenspeisung.»
Es dauerte geraume Zeit, bis sich die zwei jungen Leute die Trauung leisten konnten, endlich Anfang Oktober 1800 heirateten sie.
Im Januar verkündete Elsa kleinlaut: «Joseph, wir bekommen ein Kind.»
Freudig nahm er sie in den Arm: «Keine Sorge, wir schaffen das schon. Jetzt werden wir eine richtige kleine Familie.»
Nach dem Gottesdienst in der Synagoge sprach ein ihm bekannter Händler, Aaron Friedländer, Joseph an: «Ich suche für einen Transport nach Konstanz vertrauenswürdige Leute und da habe ich an dich gedacht. Kennst du jemanden, der mit dir die Ware begleiten würde?»
Er nickte begeistert: «Ich und mein Freund könnten diese Aufgabe übernehmen. Jedoch müssten wir unsere Frauen mitnehmen.»
«Das ist kein Problem. Kommt morgen bei mir vorbei, dann regeln wir alles Notwendige.»
Glücklich berichtete Joseph daheim seiner Frau und den Freunden von der unerwarteten Reisemöglichkeit. Elias war mittlerweile mit Judith, einem armen Waisenmädchen aus der Nachbarschaft verheiratet.
Tags darauf eilten die beiden Männer zum Kontor des Tuchhändlers.
«Schalom Herr Friedländer, das ist mein Freund Elias Holderlind, der mit mir die Reise unternehmen würde.»
Der Händler begrüßte beide: «Die Ware besteht aus nicht wenigen Ballen teuerer Brüsseler Spitzen. Eure Aufgabe wäre, darauf zu achten, dass die Stoffballen unversehrt in Konstanz ankommen. Die Reise ist kostenlos und am Zielort zahlt mein dortiger Agent jedem ein Handgeld aus. Natürlich müsst ihr euch selbst verpflegen.»
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