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in der Küche oder serviere hier. Nee, das ist nichts für mich. So einen tollen Mann, wie du hast, bekomme ich eh nicht mehr.»

      Wir stießen an und tranken einen Schluck Rotwein.

      «Weist du Annemarie, vielleicht bin ich zu wählerisch, habe mir mein alleinstehendes Leben eingerichtet. Der Mann, der da hinein passt, muss wahrscheinlich erst geboren werden. Schade, mit mir stirbt die Scholty – Linie in der siebten Generation aus.»

      «Hier in Gostenhof, im Schmelztiegel von Gastarbeitern, Flüchtlingen und der jungen grünen Gesellschaft wirst du schon noch den Richtigen finden.» Annemarie gab nicht auf, versuchte mich bei jeder Gelegenheit zu verkuppeln.

      «Was macht dein Roman?», ich gab dem Gespräch eine andere Richtung.

      «Ich bleibe bei meinen Kurzgeschichten und Gedichten, für einen Roman fehlt mir die Zeit.»

      Giovanni servierte die Bestellung: «Prego Signorina Alexandra, ihre Pizza Salami, mit einem Gruß von meiner Mama - und Pasta Bolognese für die Signora.»

      Schwungvoll stellte er unsere Essen ab, verbeugte sich, «Buon appetito», verschwand wieder in die Küche.

      «Überleg dir´s, der wäre schon was», grinste Annemarie, «wie der um dich herumschwänzelt, aber dir ist ja keiner recht!»

      «Mir fehlt die Zeit für solche Kindereien. Ich will endlich mit dem Roman anfangen, jetzt habe ich den perfekten Stoff», lenkte ich vom Thema ab. «Mein Vater hat mir letzte Woche zwei Schuhkartons mit Briefen, handschriftlichen Aufzeichnungen und Fotos von Großmutter Ingeborg übergeben.»

      «Na denn viel Erfolg!»

      Schweigend aßen wir, bestellten noch einen Espresso und verabschiedeten uns am frühen Abend.

      Bis vor kurzem wohnte ich so gut wie anonym in einem Hochhaus in Nürnberg - Langwasser, da fiel eine reifere ledige Frau nicht auf. Ich bin eine nette, vollschlanke Person, trotzdem habe ich noch keinen passenden Partner gefunden, aber es ist noch nicht aller Tage Abend. Wie sagt man, für jeden Topf findet sich ein Deckel.

      Ich lief die paar Meter bis zum übernächsten Haus, fuhr mit dem Aufzug in den fünften Stock. Vor sechs Monaten war ich hier in meine Eigentumswohnung, eine renovierte Mansarde gezogen - einhundertundzwanzig Quadratmeter einschließlich einer herrlichen Westdachterrasse – eine Traumwohnung.

      Mit einem Glas Rotwein und den Schuhkartons setzte ich mich auf meine Terrasse, breitete Briefe und Notizen auf dem Tisch aus. Einige Fotografien, die Großvater in SA-Uniform zeigten - ein Heizer, der vom Lokfenster auf eine Gruppe SS-Offiziere schaut, die Oma in der BDM-Kluft, einen zerknitterten Judenstern mit abgerissenem Eck.

      Großmutter hatte in Stichpunkten die Familiengeschichte zusammengestellt. Geboren wurde sie in Leipzig, stammte von Drüben, wie man damals hier im Westen sagte. Die DDR, der sozialistische deutsche Staat, Ostdeutschland, wurde von vielen auch Zone genannt.

      Großmutter war zusammen mit meinem Vater Theo rübergemacht. Früher ein salopper Ausdruck für die Flucht nach Westberlin oder in die Bundesrepublik - Wortbegriffe, die heutzutage kaum einer mehr kennt.

      Einmal, ich war noch ein Kind, kam die Urgroßmutter zu Besuch. Eine kleine etwas beleibte, Zigaretten rauchende Frau. Ihren derben sächsischen Dialekt und Humor hatte ich nicht verstanden. Es gibt ein paar alte Fotos von damals.

      Meinen richtigen Großvater lernte ich erst später kennen, für mich gab es nur den Opa Willi, den Lebenspartner der Großmutter.

      Die Zonengrenze trennte mit Mauer und Stacheldraht nicht nur die beiden Deutschland, nein, es gab auch die Trennung in den Köpfen.

      Ich hatte minimales Interesse an meinen Verwandten von drüben, kein Bedürfnis hinter den Eisernen Vorhang zu fahren.

      Vater Theo erzählte mir nur wenig, erinnerte sich angeblich an nichts, hatte alles verdrängt, ausgeblendet.

      Ich bin nach meiner Urgroßmutter, mütterlicherseits, Luise Hedwig Alexandra benannt. Namen, die mir noch nie gefallen haben, aber es hätte schlimmer kommen können.

      «Es war nicht meine Schuld», ein geflügeltes Wort, nicht nur in unserer Familie. Als Kind hörte ich das ständig, konnte damals nichts damit anfangen.

      Heute, mit fast fünfzig Lebensjahren verstehe ich einiges davon besser, versetze mich da hinein.

      Einer meiner Urahnen, ich glaube, vor sechs Generationen, soll als fahrender Musikant und Schweineknecht in jungen Jahren auf den großen Gutshof Mooreichen in Oberschlesien gestrandet sein.

      Erst sein Enkel Johann hat sich herausgearbeitet aus der untersten Gesellschaftsschicht.

      Er zog in den Krieg, eine Pflicht, die viele in seiner Altersklasse mit Begeisterung erfüllten. Immer wieder waren es die Frauen, die vorwärtsdrängten, nicht resignierten, die das Leben neu aufbauten.

      Ein Jahr vor seinem Tod habe ich den Großvater Peter kennengelernt. Ich fuhr mit meinen Eltern 1987 zur Herbstmesse nach Leipzig, hierbei genügte damals ein Tagesvisum an der innerdeutschen Zonengrenze. Pro Person fünfzig DM für den Tag, ein teueres Eintrittsgeld, aber eine Möglichkeit, schnell und unkompliziert in die Geburtsstadt meines Vaters zu fahren. Bereitwillig zeigte er mir einige Stätten seiner Kindheit.

      «Ich schreibe die Familiengeschichte auf», erzählte ich meinem Großvater, fragte ihn wissbegierig aus. Drei Tage lang saßen wir zusammen oder spazierten in der Stadt umher und er zeigte mir Orte seines Lebens. Er berichtete so, als ob er froh war, endlich die alten Geschichten loszuwerden.

      «Mädchen schreibe auf, wie verblendet wir waren, - wie ich war! Ich glaubte an Führer und Vaterland!»

      Gedankenverloren hing er an seinen Erinnerungen, kramte in der Hosentasche und überreichte mir, mit den Worten: «Suche Sara!», einen gelben Stern mit fehlender oberer Ecke.

      Ich habe ihm kurz vor seinem Tod, telefonisch und brieflich noch die eine oder andere Geschichte entlockt, er ließ mich an seinem bewegten Leben teilhaben.

      ‹Ich möchte mein Gewissen erleichtern, die Albträume loswerden, ohne Angst sterben›, schrieb er in einem seiner letzten Briefe.

      Ich sortierte die Unterlagen, versuchte, mich darin zurechtzufinden. Leider lebten nicht mehr viele meiner Verwandten. Mühsam setzte ich die fehlenden Teile zusammen, ergänzte phantasievoll die Lücken.

      Nach langwierigen Recherchen und einigen Reisen an die verschiedensten Stätten der Familiengeschichte, buchte ich endlich ein Hotelzimmer in Chronstau. Ich suchte den Ort Mooreichen, ein Name, der in den Erzählungen vom Großvater immer wieder vorkam.

       Speyer 1792 – Joseph

      Bettelnd saßen die Kinder vor dem Dom, ein paar Kreuzer fielen immer in ihre zu einer Schale geformten Hände, die Menschen waren großzügig, wenn sie aus der Kirche kamen.

      Seit Joseph Schapira laufen konnte, nahm ihn Elsa zusammen mit seinen älteren Schwestern, Judith und Amy, mit zum Betteln. Sie war die Tochter der im Dachgeschoss oberhalb der Schapiras wohnenden Witwe Esther Schönbaum.

      Es herrschte bei den Bettelplätzen eine Rangordnung. Die armen Christenkinder saßen vor den Domtüren und warteten auf milde Gaben.

      Den Juden war es nicht erlaubt, das freie Areal, um den Dom zu betreten. Am Rande des Domplatzes versuchten die großen Kinder ihr Glück. Mädchen sowie die jüngeren Judenkinder fanden ihre Plätze erst in den angrenzenden Gassen. Hier fiel für gewöhnlich nicht mehr so viel ab.

      Elsa hatte schnell die Begabung des kleinen Joseph erkannt. Als er drei Jahre alt war, brachte sie ihm die Worte, Bitte eine milde Gabe und Danke, sowie das Lied Magnificat anima mea Dominum, bei. Er sang dies mit heller Stimme, lautstark und voll Inbrunst. Er ließ auf Kommando sogar Tränen aus seinen großen schwarzen Augen kullern. Die Leute waren gerührt und das zahlte sich aus, der von Elsa herumgereichte Hut füllte sich.

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