ТОП просматриваемых книг сайта:
HertzFlattern. Lina Lintu
Читать онлайн.Название HertzFlattern
Год выпуска 0
isbn 9783754112854
Автор произведения Lina Lintu
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„So. Schön, dass ihr alle da seid“, begann Mia die Sitzung. Die Studentin mit den grün gefärbten Haaren führte die Redaktionssitzungen. „Ich habe eine Reihe von verschiedenen Themenvorschlägen, aus denen ihr Beiträge machen könnt. Aber eigene Ideen und Anregungen sind natürlich wie immer auch willkommen.“
Mia machte eine kurze Pause, ob jemand was sagte, doch es blieb ruhig. Die regulären Mitglieder von Hertz 87.9 wussten das schon und holten sich das Okay für ihre Ideen außerhalb der Redaktionssitzung.
Die Frischlinge vom Radiojournalismus-Kurs waren meistens noch zu schüchtern, um sich an dieser Stelle einzubringen. Außerdem hatten sie mit ihrem Kursprojekt schon genug zu tun: Alle sollten sich einen Beruf aus der Region aussuchen und ein entsprechendes Interview führen.
Deshalb fuhr Mia fort.
„Als erstes habe ich etwas für das Sport-Ressort HertzRasen. Das Unterwasser-Rugby-Team unserer Uni steht im Halbfinale der Landesmeisterschaft. Ein Beitrag würde sich also anbieten, entweder als Bericht vor Ort oder als Interview mit dem Mannschaftskapitän. Wer will?“
Tessa mied Mias Blick. Das war nichts für sie. Unterwasser-Rugby war ein derartiger Nischensport, dass sich vermutlich nur die Menschen für so einen Beitrag interessieren würden, die selbst damit zu tun hatten.
Zum Glück meldete sich ein junger Mann – vermutlich ein Sport-Student – und Mia schrieb seinen Namen auf die Liste.
„Als nächstes ein Vorschlag von meiner Nichte. Sie ist wahrscheinlich unsere treuste Hörerin und hat sich gewünscht, dass wir auch mal was zum Thema Drachen machen.“ Mia lächelte entschuldigend, doch niemand im Raum schien ihr das übel zu nehmen. Selbst Tessa hatte die 5-jährige Kori schon kennengelernt, als Mia ihr die Redaktion gezeigt hatte.
„Der Beitrag muss natürlich nicht speziell für Kinder sein. Es kann auch ein Bericht über die Drachenhalle werden. Oder über einen Züchter. Laut Internet gibt es sogar einen in Bielefeld.“
Wieder kehrte Stille ein und dieses Mal meldete sich niemand.
Tessa rang einen Moment mit sich, dann hob sie die Hand. Das war zwar auch kein perfektes Thema, aber immer noch besser als Unterwasser-Rugby. Und sie konnte das Interview mit dem Züchter auch gleichzeitig als Kursprojekt nehmen.
„Alles klar, Tessa. Jetzt was Kurzfristiges für unser Musik-Ressort. Ein Konzertbericht. Wir haben für das ausverkaufte Konzert von No Brine im Ringlokschuppen doch noch ein Presseticket bekommen.“
Sie hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da schossen schon mehrere Hände nach oben. Auch die von Djalisa, und zwar gefährlich knapp an Tessas Kopf vorbei.
Tessa verdrehte die Augen. No Brine, die Chartstürmer aus München. Als hätte man Justin Bieber, die Backstreet Boys und einen Baby-Igel kombiniert und dem Ganzen dann ein Mikrofon vor die Nase gehalten. Absolut seichter, austauschbarer Pop, aber so ziemlich jedes weibliche Wesen zwischen 13 und 33 fuhr darauf ab – mit Ausnahme natürlich von Tessa.
Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück und verfolgte, wie Mia ein wenig überfordert versuchte, die Person auszulosen, die das Presseticket bekommen sollte.
Djalisa quiekte leise auf, als ihr Name gezogen wurde, der Rest versuchte – mal mehr, mal weniger erfolgreich – die Enttäuschung zu verbergen. Und Tessa musste sich jegliche Kommentare verkneifen.
Die restlichen Themen waren wieder ähnlich unspektakulär wie Drachenzucht: Regionalpolitik, neue vegetarische Gerichte in der Mensa, die Sanierung des AudiMax … So schlecht hatte Tessa es also nicht getroffen.
Das sah Djalisa aber wohl anders.
„Da hast du echt Pech gehabt mit deinem Thema“, meinte sie leise. „Aber du konntest ja nicht wissen, was danach noch kommt.“
War das ehrliches Mitleid in ihrer Stimme? Gegen ihren Willen fühlte sich Tessa gerührt. Deshalb antwortete sie auch diplomatischer, als sie es normalerweise getan hätte.
„Ach, halb so wild. Ist wohl besser, wenn jemand das Ticket bekommt, der es auch zu schätzen weiß.“
„Oh ja!“ Djalisas Blick wurde verklärt. „Vielleicht kann ich sogar ein Interview mit Noah führen!“
„Ist das der Sänger?“ Nicht dass es Tessa ernsthaft interessierte.
Djalisa schien das zu merken, denn ihr Blick wurde missmutig und sie murmelte etwas, das verdächtig nach „Kulturbanause“ klang.
Tessa ignorierte das. Ihrer Meinung nach hatte No Brine ähnlich viel mit Kultur zu tun wie ihre eigenen Gesangskünste unter der Dusche. Aber wenn sie das jetzt laut aussprach, dann würde Djalisa sicher den Rest des Semesters nicht mehr mit ihr reden. Deshalb beschränkte sie sich auf ein Schulterzucken.
Eine Stunde später saß Tessa mit dem Laptop auf dem Schoß auf dem WG-Sofa. Die Einkäufe waren in der Küche verstaut und Bella hatte sich neben Tessa gesetzt. Sie knabberte zufrieden an der Nussschokolade, die Tessa ihr mitgebracht hatte, und schaute ihr bei ihren Recherchen zu, wie sie es öfter tat.
„Eigentlich ist Drachenzucht doch ein spannendes Thema“, meinte sie.
„Findest du?“
„Klar. Drachen sind echt schöne Tiere. Und wenn du den Züchter besuchen darfst, dann sind da bestimmt auch junge Schlüpflinge!“ Bellas Blick ähnelte dem von Djalisa, als diese über den Sänger von No Brine gesprochen hatte.
„Klar, alle Baby-Tiere sind niedlich. Aber die Leute, die sich Drachen zulegen, sind alle irgendwie komisch. Und die, die Drachen züchten, sind sicher auch nicht besser.“ Tessa hatte noch zu gut den Vorfall in der Stadtbahn im Kopf. Dementsprechend gering war ihre Begeisterung.
„Na und? Auch Hundebesitzer sind manchmal komisch. Aber das ändert doch nichts daran, dass Hunde toll sind.“
Tessa brummte und öffnete den Wikipedia-Artikel über Drachen.
Die Drachen (Dracodae) sind eine der Spezies, die durch die Anomalien in unsere Welt kamen. Man unterscheidet zwischen Tetrapoden bzw. viergliedrigen Drachen (Draco tetrapoda), wie beispielsweise Wyvern, und der größeren Gruppe der Hexapoden bzw. sechsgliedrigen Drachen (Draco hexapoda).
In der Taxonomie nennt man diese Familie Dracodae, von lat. Draco („Drache“) oder auf Deutsch Dracoden. Hausdrachen (Draco hexapoda domesticus) stammen vom Wilddrachen ab und sind die einzige Drachenart, die als Haustier gehalten werden darf.
Tessa glaubte schon das Schnarchen des Radiopublikums zu hören. Deshalb scrollte sie nach unten zu den Hausdrachen, wo sie weitere trockene Fakten fand. Schulterhöhe 50 bis 70 Zentimeter, ein Gewicht von 20 bis 30 Kilogramm und eine Flügelspannweite bis zu 3,50 Meter.
Tessa hob den Blick. Ihr Wohnzimmer maß etwa vier mal vier Meter. Wenn ein Drache hier seine Flügel ausbreiten würde … Nein, Drachen waren echt nur Haustiere für reiche Menschen mit entsprechend großen Wohnungen oder Häusern.
Sie überflog den Rest des Artikels, aber nichts davon war neu oder relevant für Tessa. Deshalb suchte sie als nächstes nach dem Bielefelder Züchter, den Mia erwähnt hatte. Sie wurde schnell fündig.
Der Inhaber Henry Schlichtegroll hatte eine übersichtliche Website für seine Zucht namens Late Hour Dragons. In einer Fotogalerie stellte er seine Weibchen und Deckdrachen vor. Die Bilder sahen professionell aus, aber was Tessa sofort unangenehm auffiel, waren die Flügel.
„Oh nein, die sind ja kupiert“, seufzte Bella.
Den Flügeln fehlten tatsächlich die gesamten Flughäute. Die Knochen der Flügel spreizten sich wie lange, dürre Finger.
„Ist das überhaupt erlaubt?“, fragte Bella.
„Ja, leider.“ Tessa wechselte zurück in den Wikipedia-Tab. „Zumindest in manchen Ländern. Nach §6 des Tierschutz-Gesetzes