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wenn es stimmt …“, murmelte ich kaum hörbar, „Wenn Raymond die Wahrheit sagt – Werde ich meine Familie dann jemals wiedersehen?“

      Bei dem Gedanken an Mom und Dad, an Ced und Maggie, die alle mit einem Mal so weit entfernt schienen, verengte sich meine Kehle und ich spürte erneut brennende Tränen in meinen Augenwinkeln. Wie konnte ich mit dem Wissen leben, sie vielleicht nie wieder in die Arme zu schließen? Ihnen nie gesagt zu haben, wie sehr ich sie liebte und wie viel sie mir bedeuteten?

      „Ich will ehrlich zu Euch sein, Mylady.“ Wallace war aufgestanden und betrachtete mich mit einer so ernsten Miene, wie ich sie bisher nie an ihm gesehen hatte. Nicht einmal das kleinste Fünkchen seines belustigten Grinsens umspielte noch seine Mundwinkel. „Ich könnte Euch jetzt sagen, dass Ihr Euch nicht sorgen sollt und dass alles gut werden wird. Ich könnte Euch versprechen, dass es einen Weg gibt und dass Ihr ihn finden werdet. Doch das wäre gelogen. Wie Eure Zukunft aussieht und ob Ihr zu Eurer Familie zurückkehrt, liegt allein in Euren Händen. Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass Raymond die Wahrheit gesprochen hat.“

      Ich schluckte. Da waren sie – die Worte, die ich die ganze Zeit über gefürchtet hatte, ohne es zu wissen.

      „Also …” Meine Stimme zitterte. „Also muss ich mich diesen Rebellen anschließen, wenn ich nicht in dieser Welt sterben will? Ich muss irgendeine Auserwählte spielen, um die Chance auf eine Rückkehr zu bekommen?“

      Wallace zuckte nur die Schultern.

      „Es ist Eure Entscheidung, Mylady“, sagte er tonlos, „Aber für den Moment scheint es mir, als ob dies die einzigen Möglichkeiten sind, die Euch bleiben. In Zukunft mögen sich vielleicht weitere erschließen, doch im Moment …”

      Er musste den Satz nicht beenden. Fassungslos senkte ich den Blick und starrte auf den ausgetretenen Steinboden des Zimmers. Ich dachte an die Gänge, in denen ebendieser Stein mich von allen Seiten umgab, an den stechenden Geschmack des Fackelrauches in meinen Lungen und Raymonds ausdruckslose Miene. Sollte das hier wirklich meine Bleibe für die nächsten Tage, Wochen – für den Rest meines Lebens bleiben?

      Die Vorstellung erschütterte mich so tief, dass ich um Luft rang. So schleichend, wie sie verschwunden war, kehrte die Verzweiflung zurück und legte ein enges Band um mein Herz. Du bist die Auserwählte, hallten Raymonds Worte in meinen Gedanken wider, Du bist diejenige, auf die wir all die Zeit gewartet haben. Übelkeit stieg meine Kehle empor und ich unterdrückte ein Würgen. Es war zu viel. Es war alles zu viel.

      „Kommt, Mylady.“ Wallace’ Stimme ließ mich hochschrecken. Als ich mich umsah, entdeckte ich ihn in der Türöffnung. Erneut bedeutete er mir mit seinen dürren Froscharmen, zu ihm zu kommen.

      „Folgt mir“, verlangte er, „Vielleicht kann ich ja doch etwas tun, um Eure Lage ein wenig zu verbessern.“

      *****

      „Wohin führt Ihr mich?“ Nachdem wir stillschweigend unzählige Kreuzungen und Abzweigungen passiert hatten, ergriff ich endlich das Wort. Ich hatte das Gefühl, schon seit Stunden zu laufen und langsam begann ich zu glauben, dass Wallace mich nur im Kreis herumführte. Aber das konnte auch daran liegen, dass diese Tunnel alle gleich aussahen.

      Ab und an glaubte ich, einen Windhauch auf meiner bloßen Haut spüren zu können. Doch es konnte nur eine Einbildung sein. Ich war meterweit unter der Erde.

      Einige Schritte später riss die Decke auf und offenbarte mir den freien Blick auf tausende Sterne.

      Überrascht stieß ich Luft zwischen meinen Lippen hervor. Der Himmel war von einem tiefen Nachtblau, übersät mit unzähligen, hell funkelnden Punkten. Der kühle Abendhauch strich sanft über mein Gesicht und zauberte ein Lächeln auf meine Lippen. Genussvoll sog ich die erfrischende Kälte in meine Lungen. Endlich schien mein Kopf wieder klarer und meine Knochen leichter zu werden. Glück strömte wie warmes Gold durch meine Adern und mischte sich unter mein Blut. Es war das Letzte, was ich heute noch zu sehen erwartet hatte.

      „Danke“, murmelte ich atemlos in Wallace‘ Richtung. Schmunzelnd ließ der Frosch sich auf einem kleinen Baumstumpf in der Nähe nieder. Sein neugieriger Blick lastete auf mir, während ich in kleinen Kreisen über die Lichtung streifte. Ich genoss es, endlich wieder das federnde Moos unter jedem meiner Schritte zu spüren, den Duft der Kiefernnadeln zu inhalieren und die von silbrigem Mondlicht geküssten Blätter zu berühren. Es wäre so einfach, jetzt zu laufen. Ich könnte mich einfach ins Unterholz schlagen, immer geradeaus, bis ans Ende der Nacht. Früher oder später musste ich auf eine Siedlung oder eine Stadt treffen. Ich könnte mir selbst ein Bild davon machen, ob Raymond die Wahrheit gesprochen hatte.

      „Ich verstehe, dass Ihr so denkt, Mylady”, ließ mich Wallace’ Stimme in diesem Moment aufschrecken, „Doch Ihr solltet wissen, dass Ihr Euch so in Gefahr begebt.”

      Fassungslos sah ich ihn an. Es wunderte mich kaum, dass der Frosch nun offenbar auch imstande war, meine Gedanken zu lesen, doch ich würde mich von ihm nicht länger einschüchtern lassen. Gefahr hin oder her, das hier war meine Chance. „Wenn Ihr von Morrigan sprecht – Ich sehe nicht, welchen Grund sie hätte, mich umzubringen.”

      Entschlossen wandte ich mich ab und näherte mich dem dichten Buschwerk, das die Lichtung umstand. Rote Beeren funkelten an einigen der Äste und erinnerten mich daran, dass ich seit gestern Abend nichts mehr zu mir genommen hatte. Wenn ich rannte, würde ich so schnell auch nicht mehr an etwas Essbares kommen.

      „Was ist mit der Bestie, Mylady?” Wallace’ Stimme ließ mich abermals innehalten. „Braucht sie einen Grund, Euch umzubringen?”

      Ich fuhr herum.

      „Was zum Teufel wollt Ihr eigentlich von mir?“, fluchte ich, „Erst bringt Ihr mich hier raus und legt mir einen Fluchtweg zu Füßen und dann macht Ihr mit Euren neunmalklugen Reden wieder alles kaputt. Wer zur Hölle glaubt Ihr denn, wer Ihr seid? Einer von Raymonds Komplizen?”

      Bei dem, was mir in den letzten Tagen eröffnet wurde, würde mich das zumindest nicht mehr wundern. Ein Frosch, der für den Anführer einer kranken Sekte arbeitete – es passte fast schon zu perfekt in das schiefe Bild, das ich bisher von den Rebellen erhalten hatte.

      Doch Wallace winkte ab.

      „Gott bewahre, nein!“ Er schüttelte den Kopf und sein Gesichtausdruck war so angewidert, dass ich unmöglich den Blick abwenden konnte. „Von Gruppierungen jeglicher Art habe ich mich zweihundert Jahre lang ferngehalten und plane nicht, das in nächster Zeit zu ändern.“

      „Zweihundert Jahre?“ Mit einem Schlag hatte er meine vollste Aufmerksamkeit „Wie ist das möglich?“

      Gerade, als Wallace zu einer Antwort ansetzte, kam mir ebenfalls der entscheidende Gedanke.

      „Magie“, sagten wir im selben Atemzug.

      Wallace grinste breit zu mir herauf. „Ihr lernt schnell, Mylady. Aber vielleicht seid Ihr ja an der ganzen Geschichte interessiert?“

      Verwirrt sah ich ihn an. „Die ganze Geschichte?“

      „Die Geschichte, wie ich zu einem unsterblichen, sprechenden Frosch wurde.“

      „Dann wart Ihr nicht immer unsterblich? Oder konntet Ihr nicht sprechen?“

      Wallace lächelte mild und wies auf einen Platz im Gras. Ich zögerte, doch schließlich gewann meine Neugier. Weglaufen konnte ich auch nach dieser Geschichte noch. Vorsichtig sank ich zwischen die weichen Halme und heftete meinen Blick auf Wallace.

      „Ich wurde als Mensch geboren“, eröffnete er, „In meiner Jugend war ich ein ziemlicher Frauenheld. Ich stammte aus einer wohlhabenden Familie, war gelehrt und des allgemeinen Erachtens nach auch recht gutaussehend – kurzum: ich habe die Herzen unzähliger Mädchen gebrochen. Eines Tages begegnete sie mir – wunderschön und so temperamentvoll, dass ich der Versuchung nicht widerstehen konnte, sie zu verführen. Allerdings hatte ich – egozentrisch wie ich war – keine zwei Minuten darauf verschwendet, herauszufinden, wer sie war. Ich brach ihr Herz und ließ sie stehen wie all die Mädchen, die

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