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      »Ja, in der Bibliothek gibt es Bücher über wirklich alles. Da habe ich nochmal nachgeschaut, bevor ich los bin. Und zu diesem Ofen gibt es eine eigene Bedienungsanleitung.«

      »Eine was?«

      »So ein Buch, wo alles beschrieben ist. Sicherheitsanweisungen. Beschreibung der Teile. Welchen Hebel man runterdrücken muss, damit die Rohre in den Schlafsälen mit heißem Wasser gefüllt werden. Und auch, aus welchem Material alles besteht.«

      Kard nickte anerkennend. Ich erinnere mich an die Bibliothek. Sie lag direkt neben dem Trakt der Govas. Immerhin hatte er im Waisenhaus ja auch selbst das Lesen gelernt. Die Welt der Buchstaben hatte ihn allerdings nie wirklich fasziniert.

      »Es gibt sogar Bücher über die Drachenkönige!«

      Benji hatte geflüstert und schaute Kard jetzt erwartungsvoll an. Bücher über die Drachenkönige in einer Bibliothek der Govas? Kard glaubte, sich verhört zu haben. Der Kleine will hier wohl ein wenig angeben.

      »Über die Drachenkönige?«

      Benji nickte ganz aufgeregt und lächelte verschmitzt.

      »Ja, ein bisschen versteckt in einem Buch über Steine. Es gibt Gestein, das durch Vulkane entsteht. Vulkane…« Benji senkte nochmals die Stimme, als ob eine der Govas hinter ihm stehen würde, »…Branubrabat…Drachenkönige!«

      »Hm, ist ja interessant. Und die Govas lassen euch einfach so in die Bibliothek spazieren und alles lesen, was da steht?«

      »Nein, das habe ich heimlich gemacht. Eigentlich dürfen wir nur da hin, wo die Schulbücher stehen. Rechnen und so.«

      »Und da hast du mal so schnell nebenbei ein wenig in den anderen Büchern gelesen?«

      »Nicht ganz! Aber ich weiß, wo der Schlüssel ist!«

      Stolz schaute Benji Kard an.

      »Der Schlüssel?«

      »Der Schlüssel zur Bibliothek natürlich. Normalerweise ist immer eine der Govas dabei, wenn wir die Bücher holen. Aber wenn man den Schlüssel hat, kann man natürlich auch so rein.«

      »Und jetzt laufen jede Nacht alle Kinder heimlich zwischen den Regalen herum?«

      »Nur ich. Die anderen spielen lieber Grasball oder Verstecken. Die meisten interessieren sich nicht so besonders für Bücher. Bücher erinnert sie an die Schule und daran will keiner erinnert werden.«

      »Wieviele seid ihr denn?«

      Benji überlegte kurz, zählte mit den Fingern, seine Lippen bewegten sich stumm.

      »Mit dem dicken Adrian sind wir siebzehn.«

      Der dicke Adrian? Den kannte Kard sogar noch. Der Junge hatte damals mit zehn Jahren nur bis drei zählen können und die Spucke war ihm ständig aus dem Mund gelaufen. Was machte der noch im Waisenhaus? Normalerweise wurden die Kinder als Knechte an die Bauern oder Jäger gegeben, sobald sie kräftig genug dafür waren. Wieso hatten die Govas diesen dicken Klops, der soviel Suppe wie drei andere Kinder in sich hineinlöffelte, nicht einfach auf die Straße gesetzt? So wie sie es ihnen immer gedroht hatten, wenn einem der Kinder ein Missgeschick widerfahren war?

      Siebzehn Kinder. Das waren nicht so viele. Zu meiner Zeit waren wir dreimal soviel gewesen.

      Benji lächelte Kard vertrauensvoll an. Kard beneidete ihn irgendwie. In seiner Erinnerung war die Zeit im Waisenhaus geprägt von keifenden Govas und den Ellenbogen der anderen Kinder. Vertrauen war ein Gefühl, das Kard damals nur dem Feuer entgegengebracht hatte. Fast so wie heute. Aber es gab ja noch Madad. Als ob der Freund seine Gedanken gelesen hätte, stürmte der Cu in diesem Augenblick in die Schmiede.

      »Papierfetzen jagen. Das ist vielleicht cool. Hier schau mal.«

      Aus den Zähnen des Cus löste sich ein Stück Papier. Kard nahm es hoch und hob eine Augenbraue.

      »Genau, da schaust du, oder?« Madad entblößte triumphierend alle Zähne.

      Es war ein Flugblatt mit den anstehenden Hinrichtungen für das nächste Dadeugende, dem Ende der Arbeitswoche in Haragor. Ähnlich dem Flugblatt, wie es damals Gsam und seine Söhne gedruckt hatten. Damals, als Kard noch in die Lehre bei dem Torakschmied Wallas gegangen war, der ebenfalls zu dieser Gruppe gehört hatte. Ein paar verstreute Wesen, die sich Widerstand genannt und geglaubt hatten, sich mit einem Stück Papier gegen die Grausamkeit des Herrschers erwehren zu können. Nur ein Blatt Papier. Ohne Kommentar, ohne Unterschrift. Einfach nur die Liste. Aber nicht alle Wesen, die für die Hinrichtung bestimmt waren, waren, Toraks, was Kard verwunderte. Als Gsam, der Wirt des ›Knochenbruchs‹, die Flugbätter in Conchar gedruckt hatte, waren nur Toraks zum Tode verurteilt worden. Menschen hatten fast nichts zu befürchten. Wenn sie Pech hatten, mussten sie in die Minen als Zwangsarbeiter. Oder in den Kerker. Aber der Galgen war für die minderwertigen Halbriesen vorbehalten gewesen. Ein Grund, wieso der Widerstand sich hauptsächlich aus Toraks zusammensetzte.

      Das schien sich inzwischen verändert zu haben. Auf der Hinrichtungsliste waren ebenfalls Menschen und Ichtos zu finden. Selbst auf das abgelegene Truk fiel also der tödliche Schatten Flanakans. Aber offensichtlich gab es auch hier eine Zelle des Widerstands, eine Gruppe von Menschen und Toraks und anderer Wesen, die sich der Willkür des Herrschers entgegen stellten.

      Benji drängte sich neben Kard und schaute neugierig auf das Blatt.

      »Sind ja fast nur Toraks. Die Govas meinen sowieso, dass Goiba froh wäre, wenn es ein paar weniger von ihnen geben würde.«

      Kard schaute Benji an. Er wusste, dass er in seinem Alter und auch noch viel später genauso gewesen war. Was die Govas gesagt hatten, war nicht zu hinterfragen gewesen.

      »Stell dir mal vor, Benji, du wärst ein Torak. Wie würdest du dich fühlen, wenn du so ein Liste siehst?«

      »Ich, ein Torak?« Das helle, fröhliche Lachen des Jungen hallte durch die Schmiede, brach sich an den kalten Wänden und verschwand mit dem Rauch der Esse im Kamin. Zurück blieb ein Schweigen und die Blicke von Kard und Madad, die den Jungen traurig ansahen.

      »Aber ich bin doch ein Mensch. Wie könnte ich denn ein Torak sein?«

      »Dann stell dir eine Liste mit Menschen vor. Nur Menschen. Keine Toraks.«

      »Es werden auch Menschen hingerichtet. Mörder und so.«

      Kard zeigte auf das Blatt.

      »Wegen Diebstahls eines Fasses Schoff.«

      »Das kann man nicht so wirklich mit Mord vergleichen, oder?« Madad schaute Benji mit diesem tiefen, herzzerreißenden Hundeblick an.

      »Schau mal, der ist erst knappe dreißig Jahre alt, für einen Torak ist der damit noch fast ein Kind.«

      Benji schaute trotzig zurück. »Also die Govas sagen, dass das alles gerecht ist. Wer gegen Flanakan ist, ist gegen Tsarr, ist gegen Goiba. Und wer gegen die Götter ist, der ist des Todes. Ganz einfach.«

      »Genau, ganz einfach. Und Goiba ist die einzige Göttin, und Branu ist ein Idiot, oder?«

      Benji schaute den Gotteslästerer entsetzt an. In Kards Augen glimmte kurz eine Flamme auf, wahrscheinlich das Spiegelbild einer kurzen Eruption der Schlacke in der Esse. Dann wandte sich Kard ab und lenkte seinen Blick hinaus auf die Straße. Dort hatte die Nacht begonnen. Der Winter kündigte sich an. Zeit von Dunkelheit und Kälte.

       Die Zeit Goibas.

      *

      Der Schatten lauerte im Halbdunkel und überblickte den Marktplatz von Conchar. Überall schlurften diese riesigen Toraks herum. Mussten die nicht irgendetwas arbeiten? Wie die sich bewegten. In Zeitlupe. Hatten die es nicht eilig, hatten die nichts zu tun? Wenn diese Viecher sprachen, klang es, als ob jede Silbe sich einzeln aus ihrer Kehle herausarbeiten musste. Boaaahääällllschsch. Das konnte doch niemand verstehen. Und diese kleine Augen! Wie bei Schweinen. Und genauso stanken auch! Und trotzdem waren die

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