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      Frankfurter Stadtgeläut

      Zu Silvester wecken wir Francis um Mitternacht. Wir öffnen die Fenster im Wohnzimmer. Im Kaiserdom St. Bartholomäus geht das Geläut los. Dann schließen sich die anderen Kirchen an. Ich liebe das Frankfurter Stadtgeläut. Und schon blitzt das Feuerwerk über Frankfurt in allen Farben auf.

      Lisa hakt sich bei mir ein. „Weißt du noch, wie wir klein waren? Da wurde das Feuerwerk noch mit Raketen gezündet.“

      „Ja. Und danach war immer die Luft verschmutzt und es stank unglaublich. Ich liebe die Hologramme, die von den Laserkanonen in den Himmel gemalt werden. Die Farben der Hologramme stehen den alten Feuerwerken in nichts nach.“

      „Ein glückliches neues Jahr 2041, Lars.“

      „Ein glückliches neues Jahr auch dir, Lisa.“

      Francis will auf meinen Arm hochgehoben werden. Wir betrachten das Holo-Feuerwerk am Himmel. Fast eine halbe Stunde wird es in den Himmel projiziert. Unser kleiner Junge wird müde.

      „Ich bringe ihn ins Bett.“ Ich gehe mit Francis ins Kinderzimmer.

      Als ich wiederkomme, überrascht mich Lisa mit einem Sekt. Wir stoßen an. Inzwischen hat sich das Spektakel am Himmel wieder gelegt. „Magst du noch die zweite Suite von ‚Daphnis et Chloé‘ hören?“

      „Vielleicht morgen, Lisa. Jetzt bin ich sehr müde. Lass uns auch hinlegen.“ Wir löschen das Licht.

      Rückschau

      Lieber Lars,

      jetzt ist schon wieder eine so lange Zeit vergangen. Ich habe bereits eine Ewigkeit nichts mehr in unser gemeinsames Tagebuch geschrieben. Heute wird es Zeit. Ich muss doch festhalten, dass ich mein Abitur erfolgreich geschafft habe. Meine vier Prüfungsfächer waren Biologie, Chemie, Gemeinschaftskunde und Englisch. Meine Gesamtnote ist ganz ansehnlich. Ich werde mich demnächst um einen Medizinstudienplatz bewerben. Ich hoffe, ich bekomme einen Platz hier in Frankfurt. Aber du hast mir schon gesagt, dass du überall mit mir hinziehen wirst, wenn ich in einer anderen Stadt zum Studium zugelassen werde.

      Danke, wie du mir den Rücken freihältst, Lars. Und deine Kochkünste schreiten auch immer weiter voran. Ich könnte mir nicht mehr wünschen. Unser Leben ist perfekt, so wie es ist. Ich will nicht versäumen, dir zu schreiben, wie glücklich ich mit dir bin.

      Deine Lisa.

      Traum in der Nacht

      Ein Blick auf die Uhr. Ich sehe, es ist halb vier morgens. Ich habe so seltsam geträumt. Und alles wirkte so seltsam real.

      Ich träumte vom Sternenhimmel. Die vielen Lichter am Firmament sahen wunderschön aus. Doch dann verblasste ein Stern nach dem anderen – bis auf einen Stern, der immer heller und schöner schien. Dieser Stern hüllte mich in ein helles Licht. Und dann sah ich auf einmal einen Mann, der starb und ein kleines Baby, das geboren wurde.

      In diesem Traum fühlte ich, dass alles, was ich sah, etwas mit mir zu tun hat. Diese Erkenntnis erschütterte mich so sehr, dass ich davon wach wurde. Halb vier morgens. So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich liege wach. Nochmal schaue ich auf die Uhr.

      Lisa wird wach. „Was ist? Warum bist du so unruhig, Lars?“

      „Ich habe so seltsam geträumt.“

      „Dreh‘ dich um und schlafe einfach weiter.“

      „Es geht nicht. Ich bin blitzwach.“ Ich liege weiter wach. Ich glaube, Lisa ist wieder eingeschlafen.

      Eine halbe Stunde später ruft Heidi an. „Lars, dein Papa reagiert nicht. Er ist ganz unruhig. Und wenn ich ihn anspreche, dann reagiert er nicht. Kannst du vorbeikommen?“

      Lisa ist vom Call auch wach geworden. „Dein Papa reagiert nicht? Kann ich mal seinen Avatar sehen?“

      Ich gebe die Bitte weiter. „Heidi? Kannst du mal Papas Avatar zeigen?“

      Heidi greift nach seinem Handgelenk und sendet sein Signal.

      „Schau mal, Lars. Stephans linker Arm und sein linkes Bein sind gebeugt. Das ist ein Schlaganfall. Jetzt müssen wir schnell handeln.“

      „Sollen wir deinen Vater rufen? Er ist am schnellsten bei Papa.“

      „Nein. Die müssen eine Lyse des Blutgerinnsels machen. Da braucht man Medikamente, die mein Vater nicht zuhause hat. Warte. Ich rufe den Notarzt und sage, dass ein akuter Apoplex vorliegt.“ Lisa setzt den Notruf ab.

      „Ich rufe uns ein Taxi, das uns zu Papa ans Deutschherrnufer fährt.“ Ich ziehe mich rasch an.

      „Nein. Warte, Lars. Ich sehe gerade ein Signal reinkommen. Hier. Sie fahren deinen Papa in die Schifferstraße. Sie fahren ihn ins Diakonissenkrankenhaus. Wir nehmen ein Taxi gleich dorthin.“

      „Und Francis? Den können wir nicht allein hierlassen.“

      „Du hast Recht, Lars. Ich bleibe erstmal hier. Du fährst alleine vor. Dein Papa ist im Diakonissenkrankenhaus in den besten Händen. Ich rufe meinen Vater dazu. Und dann schaue ich, dass Francis zu meiner Mutter geht. Und ich komme dann nach.“

      Mein Taxi trifft bei uns am Sonnenring ein. Ich ziehe schnell eine Hose und ein Shirt an, Strümpfe, Schuhe, Jacke. Schnell. Schnell. Ich renne auf die Straße. Mein Taxi wartet mit eingeschaltetem Scheinwerferlicht. „Zum Diakonissenkrankenhaus bitte“, sage ich dem Bordcomputer hastig. Der Wagen setzt sich in Bewegung. Am Haupteingang in der Schifferstraße steige ich aus.

      Lisas Vater trifft mit dem Fahrrad ein. Nicht ordnungsgemäß stellt er das Fahrrad direkt vor dem Haupteingang des Diakonissenkrankenhauses ab. Dem Pförtner vom Krankenhaus ruft er nur kurz zu: „Können sie sich bitte um mein Fahrrad kümmern? Ich muss gleich zur Notaufnahme.“

      „Ja, Herr Dr. Wunderlich. Ich kümmere mich“, ruft der Mann von der Pforte zurück.

      „Komm, Lars. Ab in die Notaufnahme.“ Bastian zieht mich am linken Arm. Wir laufen schnell. Mein Papa ist bereits im Schockraum. Er reagiert nicht auf uns. Schläft er?

      „Hartmut! Gut, dass sie heute Nacht Dienst haben. Geben sie mir bitte eine Spritze Lysinol X. Ich spritze peripher gleich einen Bolus.“ Unterdessen desinfiziert Bastian seine Hände und zieht einen sterilen Kittel über.

      Ich bleibe am Rand des Schockraums stehen. Hier ist so viel Bewegung im Raum. Ich will niemandem im Weg stehen.

      Der Pfleger zieht eine Ampulle auf und gibt sie Bastian. Im Krankenwagen war Papa bereits ein Zugang in eine Armvene gelegt worden. Bastian spritzt das Mittel. „Und nun hängen wir noch eine Infusion mit Lysinol X an. Und wir machen gleich ein Magnetresonanztomogramm.“

      Ein flaches Schild kommt von der Decke des Schockraums herab. Es surrt. Nur wenige Sekunden. Dann erscheint ein Hologramm über Papa. Es zeigt Papas Hirn. „Gefäßstatus“ befiehlt Bastian dem Computer. Das Hologramm schaltet auf Papas Hirngefäße um. „Basilaristhrombose“ stellt Bastian fest. „EKG-Status“ fordert Lisas Vater vom Computer. „Vorhofflimmern“ murmelt er und wendet sich dann dem Pfleger wieder zu: „Eine Ampulle Rhythmostatin. Und danach bitte einen Mikrokatheter.“

      „Für die Basilaris?“ Hartmut gibt Bastian schon einmal das Rhythmostatin.

      Lisas Vater verabreicht die Spritze mit dem Mittel gegen das Vorhofflimmern. „Ja. Ich sondiere über die rechte Arteria vertebralis.“

      „Gut. Ich lagere den Patienten für eine Sondierung der Vertebralis um.“ Hartmut handelt sicher und schnell.

      Bastian wendet sich an eine Schwester: „Renate. Bitte holen sie mir die Sonde für die Glasfasernavigation. Ich werde die Sonde tracken und im Hologramm visualisieren, um die Vertebralis sicher zu treffen.“

      Die Schwester gibt Lisas Vater eine steril verpackte Spritze. Renate verbindet das Glasfaserkabel der Sonde mit dem Tomographen.

      „Tomograph: Online-Visualisierung“

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