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hatte.

      Wie versprochen erschien ich pünktlich auf Mrs. Trelawneys Veranda um fünf Uhr nachmittags. Es war ein sehr warmer und sonniger April-Tag. Ich setzte mich auf einen alten Gartenstuhl aus Holz, der dringend imprägniert werden musste, und Mrs. Trelawney saß auf einer breiten Bank, auf der sie wohl immer zu verweilen pflegte. Ihre angebotene Limonade war wirklich außerordentlich schmackhaft. Sie schmeckte nach Limette. Der Geschmack erinnerte mich an irgendetwas aus meiner Kindheit. Zunächst redeten wir nur über Belangloses. Über das Wetter, über die Touristen und über den Ort Lost Haven.

      Sie schien mich ein bisschen über meine Lebensgeschichte ausfragen zu wollen, und ich erzählte nur soviel, wie sie wissen musste. Zum Glück gab sie sich damit zufrieden und bohrte nicht nach. Über sich selbst plauderte sie auch ein wenig. Sie erzählte mir, dass es auch einmal einen Mr. Trelawney gegeben hatte, dass dieser aber schon vor vielen Jahren verstorben war. Ihr genaues Alter verriet sie mir natürlich nicht, und ein Gentleman fragt auch nicht danach, aber je länger ich mit ihr auf ihrer Veranda saß, desto unsicherer wurde ich bezüglich ihres Alters. Hier an diesem Ort sah sie viel jünger und lebendiger aus als auf meinem Grundstück.

      Während wir saßen und unseren Limetten-Drink tranken, fiel mein Blick häufiger auf den Garten meiner Nachbarin, der zu dieser Zeit in einem sehr verwilderten Zustand war. Auch das Haus in dem die alte Dame wohnte, war schon ein wenig heruntergekommen. Überall pellte sich die weiße Farbe von den Holzlatten ab. Ganz besonders auf der Veranda.

      Meine Blicke blieben nicht unbemerkt. »Ja, es ist ein altes Haus, aber ich liebe es, und ich würde nie von hier fortgehen. Für Renovierungen habe ich nicht genug Geld. Und ehrlich gesagt, möchte ich es auch gar nicht renovieren. Das Haus soll genauso altern, wie ich es tue«, sagte sie.

      Ich lächelte. Der Gedanke gefiel mir.

      »Und der Garten?«, fragte ich.

      »Früher kam immer Mr. Hatch hierher und kümmerte sich rührend um meinen schönen Garten. Als er vor acht Jahren starb, konnte ich mir keinen Ersatz mehr leisten. Mr. Hatch, müssen sie wissen, arbeitete immer umsonst hier, weil er ein alter Freund der Familie war.«

      Ich betrachte den Garten, das wilde Gras, die Trauerweide, und die großen Rhododendron an der Grenze zu meinem Grundstück.

      »Ich könnte ja ein wenig ihren Garten in Schuss bringen«, schlug ich vor.

      Mrs. Trelawney's Augen begannen zu leuchten. »O, aber Mr. Rafton. Das kann ich nicht von Ihnen verlangen. Sie haben bestimmt Besseres zu tun, als für eine alte Frau den Garten zu gestalten.«

      »Ob Sie es glauben oder nicht: Ich habe nichts Besseres zu tun. Es würde mir Spaß machen. Mein Garten macht sich im Prinzip von selber. Da brauche ich nur ein paar Mal Rasen mähen. Das ist alles. Ich würde mich gerne um Ihren Garten kümmern«, sagte ich, und ich meinte es so, wie ich es gesagt hatte.

      Mrs. Trelawney grinste und schien überglücklich. »Sie wissen gar nicht, was mir das bedeutet«, sagte sie und fasste sich an den Brustkorb. »Hach, ich bin ganz aufgeregt!«

      »Dann stoßen wir darauf an«, sagte ich und hob mein Limettensaft-Glas.

      Mrs. Trelawney wiederholte meine Geste.

      »Auf den Garten«, sagte sie.

      »Auf den Garten.«

      Und so kam es, dass ich regelmäßig im Frühling mindestens dreimal die Woche und im Sommer in der Regel zweimal die Woche – abgesehen von meinen Einsätzen beim Rasensprengen – bei meiner Nachbarin die Gartenarbeit verrichtete. Es war für mich fast so etwas wie eine Therapie. Die ganzen negativen Gedanken konnte ich zuhause lassen. Auch nach dem Alkohol sehnte ich mich nicht zurück. Ich aß wieder mehr und kam zu Kräften. Und aus meinem Gesicht wich allmählich die Leichenblässe. Ich grub fast den gesamten vorderen Teil des Gartens um und säte neuen Rasen aus. Die Trauerweide und die Rhododendron bekamen neue Formschnitte. Außerdem pflanzte ich große Rosenbüsche in kleinen Inseln mitten im neuen Rasen. Mrs. Trelawney liebte Rosen. Als der Garten zu einem ansehnlichen Zustand zurückgefunden hatte, kam es, wie es kommen musste: Ich renovierte auch die komplette Veranda neu. Farbe abbeizen, Grundieren und Lasieren. Wenn ich nicht bei Mrs. Trelawney arbeitete, war ich im Baumarkt, um Werkzeug, Pflanzen, Lasur und dergleichen zu beschaffen. Selbstverständlich bezahlte ich alles aus eigener Tasche.

      Die alte Dame war überglücklich und ich war, jedes Mal, wenn ich mein Tagwerk vollendet hatte, dankbar.

      9

      Aber zurück zu dem 14. September, an dem ich im Garten meiner lieb gewonnenen Nachbarin Rasen mähte.

      Wie immer saß Mrs. Trelawney schon auf ihrer neu lasierten Bank mit der renovierten und in Elfenbeinweiß gestrichenen Veranda. Der obligatorische Limetten-Drink war bereits eisgekühlt bereitgestellt. Ich freute mich schon ganz besonders darauf, wusste ich doch, dass Mrs. Trelawney sich mit dem kalten Erfrischungsgetränk diesmal besondere Mühe gegeben hatte. Schließlich war der Sommer praktisch vorbei. Im Herbst kam ich nur selten, um das Laub zu harken. Und im Winter sahen wir uns manchmal wochenlang nicht.

      Wie alles andere für den Garten auch, hatte ich den großen Benzin-Rasenmäher gekauft. Das kam mir sehr gelegen, denn für meinen Rasen leistete die schwere Maschine ebenfalls gute Dienste. Mrs. Trelawney döste stets vor sich hin, während ich den Rasen mähte – inklusive Rasenkanten schneiden, dauerte es immerhin gut zwei Stunden. Nur an einer einzigen Stelle, wenn sich die Maschine der vordersten Insel mit der Rose bedrohlich näherte, beugte sich meine Nachbarin vor und rief zu mir hinüber: »Passen Sie bitte auf den Rosen-Stamm auf.« Genau diese Worte sagte sie bei jedem meiner Einsätze. Und dann musste ich inne halten, mich umdrehen und ihr bestätigend winken. Dann umschiffte ich mit dem Mäher, mittlerweile übertrieben vorsichtig, die Rose, und wenn ich sie passiert hatte, sank Mrs. Trelawney wieder zufrieden zurück in ihre Bank. Ich habe bis heute keine Ahnung, warum wir dieses Ritual wieder und wieder absolvierten. Aber ich glaube, nach dem Grund zu suchen, ist gar nicht so wichtig. Wichtig war nur, dass es unser Ritual war.

      1

      Am Nachmittag verabschiedete ich mich schließlich von Mrs. Trelawney und bedankte mich für die Erfrischung.

      »Sie müssen sich nicht bei mir bedanken. Ich habe zu danken. Und übrigens können sie mich Elizabeth nennen.«

      Ich war perplex. »Ich bin Jack«, sagte ich.

      »Dann bis zum nächsten Mal, Jack«, sprach sie und winkte zum Abschied.

      Ich ging zurück in mein Haus, duschte und aß noch ein Sandwich. Es war halb vier. Um sechs würde ich zu Peter fahren, um ihm sein Geschenk zu überreichen. Danach wollten wir essen gehen zusammen mit Beverly, die ich vorher noch einmal unter vier Augen sprechen wollte. Schließlich war das Essen ihre Idee gewesen.

      Beverly Stevens wohnte in der Ixwich Street, welche – wie ich schon vorhin erwähnt habe - ausgehend von der Main Street den alten Friedhof von Lost Haven umschloss und wieder in die Main Street mündete. Beverly war neununddreißig Jahre alt und nach eigenen meist nicht ganz ernst gemeinten Aussagen Künstlerin. Das war keine Überraschung, war doch das Gros der Einwohner gut betuchte Künstler. Lost Haven war kein Ort für ehemalige Banker, die sich in ihrem Ruhestand nach einen Ort sehnten, in dem einst Geister ihr Unwesen trieben. Um hier dauerhaft leben zu wollen, war es unerlässlich, und sei es auch nur latent, an die Spiritualität dieses Ortes zu glauben. Dieser Ort war für viele die Hoffnung, ihrer Kreativität auf die Sprünge zu helfen, sie gar erstmals zu entfachen oder einfach nur zu erhalten. In Wahrheit aber war Lost Haven für viele nur eine Sackgasse, aus der man schwer wieder herauskam. Oder stecken blieb. So wie ich.

      Beverly war auch eine sehr spirituelle Person, jedoch nicht im religiösen Sinne. Als sie das erste Mal von Lost Haven gehört hatte, sei sie sofort verliebt gewesen. Sie glaubte an Geister und hatte vor allem deswegen beschlossen, hierher zu ziehen. Sie wollte unbedingt einmal einen Geist sehen, sagte sie mir einmal halb im Scherz.

      Ich traf sie zum ersten Mal – wie

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