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die Treppe versperrt.«

      »Wie ist das denn passiert?«

      »Na, haben Sie denn nicht den schweren Sturm heute Nacht gehört?«, fragte sie.

      »Nun, ich habe einen sehr tiefen Schlaf«, sagte ich und erkannte sofort, dass mir die alte Dame nicht glaubte. Dabei habe ich wirklich nichts gehört.

      »Ich ziehe mich nur schnell an, dann räume ich den Ast beiseite«, sagte ich, obwohl es mir schon an diesem Morgen schwer gefallen war, meinen Toast mit Erdnussbutter hochzuhalten und zum Mund zu führen.

      »Aber danach verschwinden Sie sofort ins Bett! Verstanden?«, sagte Mrs. Trelawney mit erhobenem Zeigefinger.

      »Verstanden, Ma'am.«

      6

      Die Trauerweide stand meines Erachtens viel zu dicht am Haus. Mrs. Trelawney hatte Glück, dass der Baum nicht umgestürzt war. Dann wäre das gesamte Dach der Veranda zertrümmert worden. Mit pochendem Herzen und Schweißperlen auf der Stirn zerrte ich den schweren Ast von der Veranda-Treppe zur Seite. Als ich fertig war, sah ich schwarze Punkte vor den Augen und glaubte, gleich ohnmächtig zu werden.

      »Vielen Dank, Mr. Rafton. Und jetzt marsch, marsch ins Bett!«, befahl sie in strengem Tonfall.

      Ich wollte nicht widersprechen. »Sie sollten sich auch besser ausruhen, Mrs. Trelawney. Nach einer Grippe sollte man sich nicht zu viel zumuten«, sagte ich leicht schwankend.

      Die alte Dame grinste nur amüsiert. »Ich habe das Schlimmste schon hinter mir«, sagte sie. »Sie, Mr. Rafton, aber anscheinend noch nicht.« Wie recht sie damit hatte, würde ich erst später auf leidvolle Weise herausfinden.

      Den Rest des Tages nutzte ich tatsächlich zur Erholung, und schon am darauf folgenden Tag glaubte ich, wieder fit genug zu sein, um mir einen kurzen Klaren zu gönnen. Aber bevor ich mit der Schnapsflasche in Berührung kam, begann am Abend für mich die Hölle.

      7

      Typisch für eine richtige Grippe bekam ich schnell hohes Fieber und Gliederschmerzen. Mrs. Trelawney hatte mich angesteckt. Das hatte noch gefehlt! In den ersten Stunden, in denen ich mich mehrmals übergab, ärgerte ich mich am meisten darüber, dass ich mich wegen der alten Dame nicht besaufen konnte. Das Letzte, an das ich mich noch klar erinnern kann, war, dass ich vor Anbruch der Nacht vierzig Grad Fieber gemessen und meine letzten Aspirin aufgebraucht hatte. Was danach folgte, waren Krämpfe, entsetzliche Kopfschmerzen und Halluzinationen. An die meisten davon kann ich mich allerdings nicht mehr erinnern.

      Fünf Tage dauerte es, bis ich wieder etwas bei mir behalten konnte. Das war zwar nicht die erste Grippe, die ich in meinem Leben hatte - und ich bin bestimmt kein Weichei - aber diese Grippe war besonders hartnäckig und keineswegs normal. Eigentlich sollte man wohl wenigstens zum Arzt gehen, aber ich hätte es nicht mal zum Telefonhörer geschafft. Das einzig Positive an der Sache war, dass ich nicht wusste, ob die Schmerzen, die Krämpfe und das Kotzen von der Grippe oder vom Alkoholentzug herrührten.

      Am sechsten Tag hatte ich trotz entsetzlicher Kopfschmerzen und einer bleiernen Schwäche Hunger, musste aber feststellen, dass ich außer verschimmeltem Toastbrot nichts mehr vorrätig hatte. Ich rief bei einem mobilen Einkaufsservice an und ließ mir noch am selben Tag alles Mögliche liefern. Ich hatte mich die letzte Woche nur von vertrocknetem Brot und Wasser ernährt und brauchte nun wieder Kalorien. Gleich nachdem die Lieferung eintraf, machte ich mir vier große Spiegeleier und schlang sie mit frischem Baguette und einem Liter Orangensaft hinunter. Danach kroch ich wieder ins Bett und wollte schlafen. Doch bevor ich einschlafen konnte, überkam mich noch ein letztes Mal der heftigste Kotzreiz, den ich während dieser Monster-grippe hatte. Nachdem ich mich zum gefühlt hundertsten Mal übergeben hatte, konnte ich endlich erstmals entspannt schlafen.

      Danach ging es langsam bergauf. Am achten Tag nach dem ersten Fieber, stellte ich erstaunt fest, dass ich seit zehn Tagen keinen Alkohol mehr getrunken hatte. Aber das Beste daran war, dass ich überhaupt kein Verlangen mehr danach verspürte. Gewiss, es war noch viel zu früh, um auch nur daran zu denken, eventuell von diesem Teufelszeug losgekommen zu sein, doch ich war guter Dinge. Die folgenden zwei Wochen kam ich ganz langsam wieder auf die Beine. Ich fühlte mich zwar noch immer elend, aber ich dachte, dass ich auf einem guten Weg war. Und das gab mir den Antrieb, den ich brauchte, um morgens überhaupt aus dem Bett aufzustehen.

      Doch dann kam plötzlich der Einbruch: Mir wurde, befreit vom Dunst des Alkohols, bewusst, was aus mir geworden war. Mir wurde klar, dass meine Familie zerstört war. Dass ich meine Tochter verloren hatte, und dass meine Karriere in Trümmern lag. Ich war nur noch ein Häufchen Elend, das in einem Bademantel am Küchentisch saß und Ananas-Scheiben aus der Dose aß.

      Mit diesen Gedanken trug ich mich die folgenden fünf Wochen. Währenddessen unternahm ich abermalig einen Versuch mit meiner Tochter sprechen zu dürfen, aber dieses Vorhaben scheiterte kläglich an meiner eisernen Ex-Frau, der ich daraufhin die Pest an den Hals wünschte.

      Nicht ein einziges Mal habe ich während dieser Zeit das Haus verlassen. Ich wunderte mich über mich selbst, denn hätte ich nicht stolz darauf sein sollen, nichts mehr zu trinken? Hätte ich mich nicht wie neugeboren fühlen sollen? Das Gegenteil war der Fall. Die Realität, die ich mir literweise schön gesoffen hatte, fuhr über mich wie eine Keule.

      Manchmal saß ich nur vor dem Fernseher und sah mir an, was gerade lief. Manchmal lag ich stundenlang in meinem Bett und weinte. Manchmal stand ich regungslos vor dem Spiegel und betrachtete grüblerisch mein schweigendes Spiegelbild. Ich aß, ich trank, ich wusch und rasierte mich. Ich funktionierte immer noch. Aber ich war alt genug, um mir nichts vorzumachen. Ich war zerbrochen.

      8

      Auf den Tag genau vier Wochen, nachdem ich krank geworden war, klopfte es wieder an meiner Verandatür. Ich saß gerade vor dem Fernseher. Es lief gerade eine Homeshopping-Sendung, in der ein neue, noch nie da gewesene Bratpfanne angepriesen wurde. Ich musste nicht nachsehen, um zu wissen, dass es Mrs. Trelawney war.

      »Die hat Nerven«, grummelte ich den Fernseher an.

      Ich hatte alle Jalousien heruntergelassen, sodass sie mich nicht sehen konnte. Ich dachte, irgendwann würde sie schon wieder verschwinden. Aber da irrte ich mich.

      Es klopfte erneut.

      »Hallo Jack! Sind Sie da?«, schallte ihre gedämpfte Stimme in mein Wohnzimmer.

      Die geht nie, dachte ich.

      Ich stand auf und öffnete schließlich die Tür.

      Mrs. Trelawney sah gesund und rosig aus.

      »Ich habe so lange nichts von Ihnen gehört, da dachte ich, ich schaue mal nach und sehe, wie es Ihnen geht«, sagte sie.

      Ich war ziemlich verstimmt. Sie hätte schließlich ja schon mal eher hier auftauchen können.

      »Mir geht es bestens, danke der Nachfrage«, erwiderte ich in einem Tonfall, der unmissverständlich deutlich machte, dass es mir in Wahrheit beschissen ging.

      »Sie sehen immer noch nicht gut aus, Mr. Rafton.«

      Ich fühlte mich fast ein wenig geschmeichelt, denn ich fand beim Betrachten meines Spiegelbildes, dass ich große Ähnlichkeiten mit einer Leiche aufwies.

      »Ich habe mir wohl noch auf meinen Infekt etwas drauf gesetzt«, sagte ich lauernd.

      »Oh! Ich habe Sie doch nicht etwa angesteckt, oder? O, das tut mir aber furchtbar Leid. Aber das ist doch schon so lange her. Sind sie sicher, dass es nicht etwas Ernstes ist?«

      »Nein, es ist nicht ernst Mrs. Trelawney, und wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gern...«

      »Ich wollte Sie keineswegs stören, sondern nur heute Nachtmittag einladen auf meine Veranda, eine kühle Limonade zu trinken«, unterbrach sie mich.

      Ich war baff. Stets war ich nämlich der Ansicht gewesen, dass Mrs. Trelawney es vorzog, allein zu bleiben. Ich hatte noch nie gesehen, dass sie Besuch gehabt hätte.

      »Nun, ich... Ja,

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