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zugedeckt an der Wand. Getötete Steamborgs wurden auf einen Berg aufgestapelt. Von dort kommt das Geräusch. Drave nähert sich, ahnt, dass es Überlebende gibt und freut sich auf das, was er gleich tun wird.

      Der Steamborg liegt in der zweiten Schicht. Über und unter ihm Tote seiner eigenen Rasse. Abgemurkst von den Schrottsammlern. Drave packt den Feind an einem Bein und zieht ihn aus dem Haufen. Unmengen von Schwaden steigen von dem Steamborg auf und braune Flüssigkeit, Schmierstoff oder Öl tritt aus einer Öffnung aus, wo vormals ein Arm war.

      »Wen haben wir denn da?«, fragt Drave, dreht den Steamborg auf den Rücken und reißt ihm mit einem Ruck die lederne, mit Stahl und Kunststoff durchzogene Maske vom Kopf. Es kommt ein Gesicht zum Vorschein. Kein Vollständiges und doch ist noch gut zu erkennen, was er einmal gewesen sein muss, bevor er zu einem Steamborg wurde.

      Ein Mensch. Die Augen sind weit aufgerissen, sind es nicht gewohnt, Tageslicht ohne Schutzglas zu ertragen. Die Haut ist blass und an manchen Stellen nahezu durchsichtig, sodass man die blaue Flüssigkeit darunter entlangströmen sieht. Ein Öl-, Blut-, Emulsionsgemisch, welche im Blutkreislauf des Steamborgs fließt. Kupferdrähte und dünne, aus schwarzem Plastik bestehende Röhren treten aus den Seiten aus. An den beschädigten Gelenken und den Schläuchen tritt braune, breiige Schmierflüssigkeit aus und verteilt sich neben dem Kopf des Steamborgs auf dem Betonboden. Das bizarre Wesen röchelt und Drave lehnt sich zu ihm hinab.

      »Ja, was sagst du da?«

      Nach Atem ringen. Dampfen. Blubbern.

      »Tut mir leid, Kumpel, ich kann dich unglücklicherweise nicht verstehen«, sagt Drave, holt seinen Dolch seitlich aus dem Schaft im Stiefel, setzt ihn auf der Brust des Steamborgs an und schiebt ihn ganz langsam in ihn hinein. Die Augen des Feindes weiten sich, das Röcheln wird stärker, anschließend verstummt es vollständig. »Sucht nach übrigen Überlebenden und tötet sie alle«, befiehlt Drave und die Schrottsammler schwärmen aus. »Wartet noch! Falls ihr Bücher findet, dann nehmt sie mit!«

      Mit dem Diener an seiner Seite, der den Einkaufswagen stoisch vor sich herschiebt, dringt Drave tiefer in die Abtei ein. Er könnte fasziniert sein, von den technischen Errungenschaften, über welche die Einrichtung verfügt. Blöderweise befürchtet er aber, dass diese Sachen den Horizont selbst seiner gerissensten Untertanen übersteigen würden. Nur seiner einzigen Tochter Love könnte er befehlen, die Geheimnisse zu ergründen. Ihr Verstand und die Fähigkeiten, Dinge aus der Alten Welt zu rekonstruieren, übertrifft den eines gewöhnlichen Schrottsammlers bei weitem. Leider lässt sie sich nicht die Bohne von ihrem Erzieher vorschreiben und bitten liegt nicht in der Natur von Drave. Ein Master bittet nicht. Er gebietet. Was für ein Dilemma. Kann die eigene Tochter nicht einfach ihrem Vater gehorchen und ihn unterstützen, noch mächtiger und grausamer zu werden?

      Drave erreicht den Raum mit den Regenerationskapseln. Das Blut, das sich ausnahmslos überall befindet, ist selbst für Draves Magen entschieden zu viel. Dennoch behält er die Fassung und zeigt in Anwesenheit der Männer keine Schwäche. Er inspiziert die Leiche von Ikumi, Reicos Schwester. Eine Synth! Eine synthetische Lebensform, in der Lage zu fühlen wie ein Mensch.

      »Das waren keine Steamborgs«, sagt er und lässt die behandschuhte Hand über die zerstückelten Überreste der Schrottsammler schweifen. »Und das hier, das war keiner von uns. Kein Schrottsammler hat sich je an einer Synth vergriffen. Es soll danach aussehen, dass sie von uns getötet und geschändet wurde, aber wer mich kennt, der weiß es besser. Niemand würde gegen meine Befehle verstoßen. Und mein Gebot lautet seit je her: Rührt keine Frauen und keine Synthetiks an oder ich hacke euch den Arm ab und schneide euch höchst persönlich die Eier ab!« Seine Männer lachen.

      »Das war kein Scherz, ihr Hornochsen. Weiber und die Synthetiks sind heilige Geschöpfe. Unantastbar!«

      Drave nähert sich der toten Ikumi und inspiziert sie. Er untersucht ihr, menschlichen Genitalien nachempfundenes, Geschlecht.

      »Wusste ich es doch. Keiner hat sie entwürdigt. Es strebt jemand danach, uns das anzulasten. Eine Arglist von einem gerissenen Feind. Ich möchte wissen, was hier passiert ist und wer die Synth getötet hat. Und nichts, hört ihr! Nicht das kleinste Bisschen, was ihr hier seht, verlässt das Gebäude. Schweigt darüber!« Drave überlegt kurz, ob er den vier Schrottsammlern, die ihn begleitet haben, hier und jetzt doch besser sofort den Schädel einschlagen soll. Er würde dann selbst herausfinden müssen, wer ihm diesen Mord in die Schuhe schieben will. Schließlich lässt er den delikaten Gedanken fallen. Die Männer sind ihm treu ergeben. Er hat nichts zu befürchten. Sie werden seinen Befehlen gehorchen. Auf dem Boden erspäht er etwas. Ein zerrissenes mickriges Buch. Drave hebt es auf und entdeckt die handgeschriebenen Zeilen. Es ist zerfetzt, jedoch lesbar. Drave kann nicht gut lesen, aber er erkennt Zahlen. 2021. Eine Niederschrift aus der Alten Welt. Love, seine Tochter wird sich über ein Originalexemplar freuen, auch wenn es unvollständig ist.

      Prinzessin Love

      »Eines Tages verschwinde ich von hier endgültig!«

      Prinzessin Love sitzt zwischen Kissen. Hat es sich auf einer, eigens für diesen Zweck hochgeschleppten Matratze, auf dem Dach des 13-stöckigen Hauses bequem gemacht. Einen Wolkenkratzer kann man den Machtsitz ihres Vaters nicht nennen, aber die Höhe reicht aus, um dem Gemisch aus Dunst, Qualm und Gestank, der unter ihr durch die Straßen zieht, kurzzeitig zu entkommen. Love blickt hinab und sieht überall kleine flackernde Feuer. Brennende Mülltonnen, um der Dunkelheit die Stirn zu bieten. Eine Windböe weht einen angeschwärzten Papierfetzen hoch. Er landet auf ihrer sauberen Jeans. Die Prinzessin trägt darüber einen Wollpulli. Ein Mitbringsel des Vaters.

      »Und ich werde alle mitnehmen, die den Mief und das Plündern und Abmurksen überdrüssig geworden sind.«

      »Also keine Sau«, sagt Lea, ihre dunkelhäutige Freundin, die im Kontrast zur Prinzessin in einen grauen, zerlumpten Stoff gewickelt ist, der einmal ein Kleid gewesen sein könnte.

      Manchmal fragt sich Love, warum eigentlich nicht Lea die Prinzessin ist. Es würde so viel dafür sprechen. Ihre Hautfarbe ist dunkel, genauso wie die von Loves Vater. Loves Haut hingegen ist weiß. Fast so weiß wie Schnee. Lea ist mit Leib und Seele eine Schrottsammlerin und interessiert sich nicht für Bücher oder stellt solche seltsamen Fragen, was das Leben noch zu bieten hat. Im Grunde sind sich Lea und Loves Vater sehr viel ähnlicher, als sie selbst es ist. Vermutlich hat Love einfach mehr von ihrer Mutter in die Wiege gelegt bekommen. Schade, dass Love sie nie kennengelernt hat. Sie ist bei ihrer Geburt gestorben.

      »Du und mein Vater ihr seid euch so ähnlich«, sagt Love.

      »Dann sind wir also ein Paar, weil du einen Vaterkomplex hast?«, fragt Lea und stupst Love liebevoll zwischen die Rippen.

      »Na warte, du kannst was erleben!«, droht Love und fällt mit einem Kissen über Lea her. Die entfachte Kissenschlacht endet in Gegacker, Umarmen und Kuscheln.

      »Hör auf, dir solche Gedanken zu machen!«, sagt Lea sanft und streicht Love eine dicke Falte von der Stirn.

      »Ich wüsste so gerne, wer sie war. Ob sie so aussah wie ich? Ob sie auch Bücher gesammelt hat.«

      »Frag doch einfach deinen Vater.«

      »Immer wenn ich ihn auf meine Mutter anspreche, dann schweigt er. Es ist ein absolutes Tabuthema.«

      Die zwei schmusen wieder liebevoll miteinander, bis Lea aus heiterem Himmel einen älteren Gesprächsfaden aufgreift.

      »Ich komme mit.«

      »Wie meinst du das?«

      »Wenn du abhaust. Dann komme ich mit. Aber die anderen Schrottsammler lieben diese Stadt, die Feuchtigkeit und den Mief. Das Töten gehört zu ihrem Alltag, genauso wie das Hungern. Und weiter als hundert Meter in die Ferne zu schauen, würde die meisten für den Rest ihres Lebens nur erschrecken.«

      Love küsst Lea auf den Mund.

      »Danke!«

      »Nichts zu danken, du bist die Prinzessin. Und mein ein und alles.«

      »Du

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