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fest. Es war leer. Sie stellte es ab und schenkte sich nach, musterte aufmerksam, unverkennbar skeptisch, das Etikett.

      „Bevor wir uns etwas ausdenken, hole ich uns doch etwas zu essen. Ich habe Hunger bekommen.“ Helen machte ihre Zigarette aus und ging zurück in den Wohnbereich, schloss die Balkontür und zündete zwei Duftkerzen an. Theo mochte es nicht, wenn in der Wohnung geraucht wurde.

      „Ich auch“, gestand Lilo, stand auf und ging in die Küche, gefolgt von Helen.

      „Hast Du Marmelade im Haus und Butter, die nicht ranzig ist?“ Sie lehnte ihren Kopf an das Regal mit den Kochbüchern und kreuzte die Arme vor der Brust, wohl aus dem Bedürfnis, sich vor ihren eigenen Gedanken zu schützen.

      Helen verzog das Gesicht zu einer Fluppe und verbreitete somit eine komische Stimmung. „Bist Du verrückt? Marmelade mit Wein geht gar nicht. Aber Du bringst mich da auf eine Idee ...“. Sie rannte zum Kühlschrank und riss die Tür auf. „Sie ist noch da! Frühstücksfleisch in der Dose, das Verfallsdatum ist noch nicht abgelaufen. Na, wie klingt das?“

      „Perfekt.“ Lilo prüfte das Toastbrot. „Das ist noch essbar“, stellte sie fest.

      „Bewunderst Du Deinen Mann? Himmelst Du ihn an? Vermittelst Du ihm das Gefühl, er sein ein einziges Juwel und ein göttlicher Liebhaber?“

      „Bin ich blöd?“, entgegnete Lilo heftig.

      „Nein, das bist Du nicht, aber klug bist Du auch nicht. Du solltest Loreley dankbar sein, weil sie Dich aus deiner verschlafenen, phantasielosen Trägheit herauskatapultiert hat. Jetzt bist Du aufgeschreckt. Siehst Du.“ Helen sprach mit dem vollen Glas in der Hand. Sie war so in Rage, dass der Wein drohte überzuschwappen. „Jetzt willst Du vielleicht sogar kämpfen? Willst ihr zeigen, wer das Alphaweibchen ist. Auch zubeißen? So lange, bis sie abgeschlagen das Feld räumt? Gut so. Du musst ihr zeigen, wo‘s langgeht.“

      Lilo spielte mit ihrem leeren Weinglas. Der letzte Tropfen begann anzutrocknen. Helen nahm es ihr aus der Hand, füllte es und reichte es ihr wieder. Er roch sehr viel besser, als er schmeckte.

      „Wenn Du erst mal Deine Wunden geleckt hast, können wir uns auch morgen treffen und einen Plan schmieden.“

      „Hast Du eine Idee?“

      „Wir brauchen alle einmal einen Weckruf. Jeder isst gerne Steak, aber niemand möchte mit einem Metzger befreundet sein.“

      Helen hatte, nach reichlich Alkohol, die perfekte Idee. Sie würde Paddy einem Treuetest unterziehen. Bei dieser Vorstellung glitzerten ihre flinken Augen wie Glasperlen. Sie bekamen eine warme Tönung und blickten mit unverhüllter Zuneigung auf Lilo.

      In einem Magazin hatte sie erst kürzlich gelesen, dass Männer Menschen sind, bei denen Pubertät und Midlifecrisis fließend ineinander übergehen.

      Der Auftrag – Club 56

      Anders als die kleinen, dunklen Bars und Nobelrestaurants auf der Hafeninsel in Offenbach, in denen Lilo und ihre Freunde normalerweise verkehrten, war der Club 56 ein riesiges altes Lagerhaus, das man in eine Gaststätte mit Bar umgewandelt hatte. Von der hohen Decke hing ein gigantischer Leuchter in die Mitte des Raumes herab, der in einer Art Landhausstil eingerichtet war. Hinten standen, mit Sonnenblumen bepflanzt, mehrere große Tontöpfe, vorn war die stets gut besuchte Bar.

      Heitere, sommerlich gekleidete Menschen saßen an den langen, mit blau-weißem Papier bedeckten Tischen, aßen Frankfurter Kranz, tranken Kaffee und genossen den schönen Tag. Andere liefen hierhin und dahin, um Freunde zu begrüßen. Wiederum andere balancierten gerippte Gläser mit Apfelwein vom Fass auf einem Tablett, gingen an das Buffet um sich Handkäse mit Musik, Grüne Soße und andere Köstlichkeiten zu holen.

      Nach Lilos Schätzung hatten an den Tischen, im großen Speisesaal, leicht zweihundert Gäste Platz. Aus unsichtbaren Lautsprechern strömte, etwas aufdringliche, unpassende, bayerische Volksmusik. Der ideale Platz für ein geheimes Rendezvous.

      „Du bist immer noch mit ihr verheiratet?“

      „Ja. Immer noch.“ Theo goss sich ein Glas Bier ein und sah zu, wie der Schaum langsam hochstieg.

      Es war weder ein nachdrückliches noch ein automatisches < Ja >.

      „Bist Du glücklich?“ Lilo erwähnte den Besuch bei Helen mit keinem Wort. Sie hatte über ihre Ehe mit Theo ordentlich vom Leder gezogen.

      Das Kinn auf die Hand gestützt, dachte Theo nach und konterte leichthin: „Selbstverständlich.“

      Aber der Klang seiner Stimme verriet ihn. Sie hatte einen Unterton, die so beunruhigend war wie eine gefährliche Strömung eines trügerischen glatten Wasserspiegels.

      „Lügner!“, sagte sie zu laut. Erschrocken über sich selbst sah sie sich um, ob sie belauscht wurden.

      Niemand nahm Notiz von den beiden.

      Er blickte auf das vom Kerzenschein beschienene Gesicht von Lilo. Seine Ehe mit Helen hatte längst an Feuer verloren.

      „Du bist kein Mann, den man heiratet.“

      „Ich habe auch immer gedacht, dass Du für die Ehe nicht taugst“, wehrte er beiläufig ab und trank betreten einen Schluck Bier.

      Lilo errötete und brach verlegen ab. Sie nippte an ihrem Gänsewein und ging vorerst nicht darauf ein. Mit dem Daumen wischte sie die Lippenstiftspuren von ihrem Glasrand ab.

      Es folgte eine Pause langen Überlegens.

      Neben ihm wirkte sie klein und unscheinbar. Es war lange her, dass sie sich zuletzt begegnet waren. Lilo hatte sich offensichtlich sehr verändert. Gewiss, ihr Haar hatte immer noch diese widerspenstige Mähne aus schwarzen Locken aber ihr Gesicht war anders, als er es in Erinnerung hatte. Früher strahlte es eine grimmige Entschlossenheit und Selbstsicherheit aus. Nicht besonders schön, aber gleichwohl faszinierend, besonders wegen der glutvollen und klugen Augen. Jetzt sah sie abgehärmt und gehetzt aus. Sie hatte abgenommen. Er sah Schatten in ihrem Gesicht, in ihren eingefallenen Wangen, die früher nicht da waren.

      Einen Augenblick war etwas von der alten Vertrautheit zwischen ihnen, aber sie stellte den Abstand schnell wieder her.

      „… aber ja. Eine Frau kann so immer noch am leichtesten zu Geld kommen. Schon als kleines Mädchen wollte ich reich sein. Ich wollte nie etwas anderes geschenkt bekommen, keine Puppen, kein Spielzeug, am liebsten war mir immer Geld. Ich habe dazugelernt. Manchmal leicht, manchmal schwer, aber gelernt habe ich es. Man kann alles für Geld kaufen und ich mag Leute nicht, die das nicht zugeben. Reich bist Du erst, wenn Du nicht mehr fragst, woher das Geld kommt und das erreichst du als Frau nur in einer Ehe! Eine Frau in meinem Alter hat nur eines zu befürchten: Die Zukunft“, stieß sie zornig hervor und wickelte eine Strähne ihres Haares um den Mittelfinger bevor sie sie sich hinter das linke Ohr strich. Ihre Augen sprühten in einem lodernden Feuer und ließen von ihrer früheren Schönheit ahnen.

      „Und wie ist die Ehe mit einem egozentrischen Künstler wie Paddy Moser, der Dich wie eines seiner Schmuckstück behandelt?“, beeilte sich Theo zu fragen. Er blickte auf und fixierte Lilo mit einer Intensität, die ihr Unbehagen bereitete.

      Als sie seinen Blick erwiderte, hatte sie das Gefühl, dass er sich irgendwie in ihr Gehirn eingeschlichen hatte und darin herumwühlte, auf der Suche nach dem wunden Punkt.

      „In Ordnung, glaub ich. Ich bin eine treue Ehefrau.“

      „Du konntest noch nie gut lügen.“

      „Wie meinst Du das?“

      Theo ging auf ihre Frage nicht ein. „Ich hab Deinen Göttergatten in einem vornehmen Restaurant, umgeben von Schöngeistern gesehen, wo die Kellner dich hochnäsig behandeln, aber um ihn sprangen sie herum wie emsige Bienen. Seine Stimme war von derselben Qualität wie sein Lächeln. Frisch und schwungvoll. Allenthalben sah man zarte Wangen gezeichnet von beherzten Bruderküssen. Paddy Moser, ein Mann, der über sich selbst spottete und ich fragte mich, ob das wirklich Überlegenheit war, oder ob er nicht eine Fassade zeigte, die sich von der Wirklichkeit

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