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Garde, in welchen nur reiche und vornehme Offiziere dienen, zu geschehen pflegt, dann führt diese Verderbnis bei den Leuten, die ihr verfallen, einen vollständigen Egoismus-Irrsinn her bei. Und in einem solchen Zustand des Egoismus-Irrsinns befand sich Nechljudow, seitdem er in den Militärdienst eingetreten war und den Lebenswandel begonnen hatte, den seine Kameraden führten.

      Man kannte keine andere Arbeit, als in einer vorzüglich sitzenden Uniform, in Helm und Waffen, — alles das nicht selbst, sondern von anderen Leuten gefertigt, geputzt und dargereicht —, auf einem schönen, ebenfalls von anderen Leuten gepflegten und zugerittenen Pferde zum Exerzieren oder zur Parade zu reiten, dort mit seinesgleichen zu galoppieren, die Säbel zu schwingen, zu schießen und in diesem allen auch andere Menschen zu unterrichten. Eine andere Beschäftigung gab es nicht, und die höchstgestellten Persönlichkeiten, jung und alt, der Zar und seine Vertrauten billigten nicht nur diese Beschäftigung, sondern ermunterten zu derselben noch durch Lob und Danksagung.

      Außerdem hielt man es für gut und wichtig, in den Offizierskasinos und in den teuersten Restaurants Zusammenkünfte zu veranstalten, wo man das aus unsichtbaren Quellen fließende Geld veraß und vertrank, worauf Theater, Bälle und Frauen folgten, und dann wieder das Reiten, Säbel schwingen, und wieder Geldverschleudern, und Wein und Karten und Frauen.

      Ein solches Leben wirkt auf das Militär ganz besonders verderblich, weil ein Nichtmilitär, wenn er dieses Leben führt, nicht umhin kann, sich in der Tiefe seiner Seele dessen zu schämen. Die Militärs aber glauben, daß es so sein müsse, prahlen damit und sind stolz darauf, besonders in Kriegszeiten, wie es auch mit Nechljudow, der nach der Kriegserklärung an die Türkei in den Militärdienst eintrat, der Fall war.

      »Wir sind bereit, unser Leben im Kriege zu opfern, und daher ist eine solche sorglose, lustige Lebensweise nicht nur verzeihlich, sondern auch für uns notwendig. So leben wir denn drauf los.«

      So dachte Nechljudow, wenn auch nicht ganz klar, in dieser Periode seines Lebens.

      Nechljudow feierte in dieser Periode den Triumph der Befreiung von allen sittlichen Fesseln, mit denen er sich früher belastet hatte, und befand sich ohne Aufhören in einem chronischen Zustand des Egoismus-Irrsinns.

      In so einem Zustand befand er sich auch, als er nach Verlauf dreier Jahre bei den Tanten wieder einkehrte.

      Vierzehntes Kapitel.

      Nechljudow besuchte die Tanten, weil ihr Gut auf dem Wege zu seinem bereits vor ausgegangenen Regiment lag, und weil sie ihn sehr darum gebeten hatten; hauptsächlich aber um Katjuscha wiederzusehen. Vielleicht befand sich schon in der Tiefe seiner Seele jene schlimme Absicht in Bezug auf Katjuscha, die ihm der jetzt entfesselte animalische Mensch einflüsterte. Jedoch kam ihm diese Absicht nicht zum Bewußtsein. Er wollte nur einfach den Ort, wo es ihm so wohl gewesen war, und die komischen aber lieben und gutmütigen Tanten, die ihn stets unmerklich für ihn selbst mit der Atmosphäre der Liebe und Bewunderung umgeben hatten, wieder aufsuchen. Auch die liebe Katjuscha, an die ihn so angenehme Erinnerungen fesselten, wollte er wiedersehen.

      Er kam bei den Tanten Ende März an, am Charfreitag, bei schlechtestem Wege, unter strömendem Regen, durchnäßt und erfroren, aber rüstig und angeregt, wie er sich zu der Zeit immer fühlte. »Ob sie noch da ist?« dachte er, als er in den bekannten, von einer Ziegelmauer umgebenen altertümlichen Gutshof, an den vom Dach herabgerutschten Schneehaufen vorbei einfuhr. Er hatte erwartet, daß sie auf das Geklingel seiner Schellen herauslaufen würde. Aber auf der Leutetreppe standen nur zwei barfüßige, aufgeschürzte Weiber mit Eimern, die offenbar Dielen scheuerten. Auch auf der Paradetreppe war sie nicht zu sehen; nur der Diener Tichon kam heraus, mit einer vorgebundenen Schürze, augenscheinlich ebenfalls mit dem Aufräumen beschäftigt. Im Vorzimmer erschien Sofja Iwanowna im seidenen Kleide und Haube.

      »Das ist nett, daß du gekommen bist!« sagte Sofja Iwanowna, und küßte ihn; »Maschenjka ist nicht ganz wohl, in der Kirche etwas müde geworden. Wir haben das heilige Abendmahl genommen.«

      »Ich gratuliere, Tante Sonja«, sagte Nechljudow, Sofja Iwanownas Hände küssend, »verzeihen Sie, ich habe Sie naß gemacht.«

      »Geh’ auf dein Zimmer. Du bist ganz naß. Und einen Schnurrbart hast du schon. Katjuscha! Katjuscha! Schnell für ihn Kaffee.«

      »Gleich!« antwortete aus dem Korridor eine bekannte, liebliche Stimme. Und Nechljudows Herz Krampfte sich freudig zusammen: »Hier!« Es war ihm, als guckte die Sonne hinter den Wolken hervor und fröhlich begab er sich mit Tichon in sein altes Zimmer, um sich umzukleiden.

      Nechljudow wollte Tichon in Betreff Katjuschas ausfragen: — Was sie mache? Wie es ihr gehe? Ob sie sich nicht verheirate? Aber Tichon war so ehrerbietig und zugleich streng, bestand so fest darauf, daß er ihm selbst das Wasser aus der Kanne auf die Hände gießen müsse, daß sich Nechljudow nicht entschließen konnte, ihn nach Katjuscha zu fragen, sondern sich nur nach seinen Enkeln, nach dem alten Hengst und nach dem Hofhund Polkan erkundigte. Alle waren gesund und am Leben, nur Polkan war im vorigen Jahr an der Tollwut verendet.

      Als er alles Nasse abgeworfen hatte und sich eben auszuziehen begann, hörte er schnelle Schritte und an die Thür wurde geklopft. Nechljudow erkannte die Schritte und das Klopfen. So pflegte nur sie zu gehen und zu klopfen.

      Er warf sich den nassen Mantel um und trat an die Thür. — »Herein!«

      Es war sie, Katjuscha. Immer dieselbe, nur noch reizender als früher. Die lächelnden, naiven, unmerklich schielenden Augen schauten wie früher, von unten herauf. Wie früher trug sie eine saubere weiße Schürze. Sie brachte von den Tanten ein eben aus der Papierhülle genommenes Stück duftender Seife und zwei Handtücher: ein großes russisches und ein zottiges. Die noch unberührte Seife mit den aufgedruckten Buchstaben, die Handtücher und sie selbst — alles war gleich sauber, frisch, unberührt und angenehm. Ihre lieblichen, festen, roten Lippen kräuselten sich bei seinem Anblick wie früher in überquellender Freude.

      »Willkommen, Dmitrij Iwanowitsch!« brachte sie mit Mühe hervor und errötete.

      »Guten Tag! Wie geht es Dir . . . Wie geht es Ihnen?« er wußte nicht, ob er zu ihr Du oder Sie sagen sollte, und wurde ebenfalls rot.

      »Gott sei Dank . . . Hier schicken Ihnen die Tanten Ihre Lieblings- die Rosenseife«, sagte sie, die Seife auf den Tisch legend, und hing die Handtücher über die Stuhllehne.

      »Wir haben unsere eigene Seife«, sagte Tichon, der die Selbständigkeit des Gastes wahren wollte, und wies stolz auf das silberfunkelnde Necessaire Nechljudows, in welchem sich eine Unzahl Flacons, Bürsten, Vixatoirs, Parfums und aller erdenklichen Toilettengegenstände befand.

      »Sagen Sie der Tante, daß ich danke. — Wie froh ich bin, wieder hier zu sein«, sagte Nechljudow. Und er fühlte, wie es ihm auf dem Herzen ebenso hell und heiter wurde, wie in früheren Zeiten.

      Sie lächelte auf seine Worte und ging hinaus.

      Die Tanten, die Nechljudow immer lieb gehabt hatten, empfingen ihn noch freundlicher als gewöhnlich. Dmitrij fuhr auf den Kriegsschauplatz, wo er verwundet, getötet werden konnte. Das rührte die Tanten.

      Nechljudow hatte seine Reise so eingerichtet, daß er nur vierundzwanzig Stunden bleiben sollte. Aber nachdem er Katjuscha gesehen, entschloß er sich, das Osterfest, das in zwei Tagen war, bei den Tanten zu feiern und telegraphierte seinem Freunde und Kameraden Schönbock, mit dem er in Odessa zusammen treffen sollte, daß auch er kommen möge.

      Vom ersten Tage an, sobald er Katjuscha gesehen hatte, erwachten in ihm die alten Gefühle für sie. Ebenso wie früher konnte er ihre weiße Schürze nicht ohne Erregung sehen, nicht ohne Jubel ihre Stimme, ihr Lachen, ihren Gang hören, nicht ohne Rührung ihr in die wie nasse Beeren glänzenden schwarzen Augen sehen, — besonders wenn sie lächelte. Am meisten aber verwirrte ihn ihr Erröten, das sich bei jeder Begegnung ein stellte. Er fühlte, daß er verliebt war, aber nicht so wie damals, als diese Liebe für ihn ein Geheimnis war, welches er sich selbst nicht gestehen wollte, nicht wie damals, als er noch glaubte, daß man nur ein Mal

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