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Der Herzog. Günter Tolar
Читать онлайн.Название Der Herzog
Год выпуска 0
isbn 9783737552592
Автор произведения Günter Tolar
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Einmal, es ist eh selten genug, ist der Vater heute frohgemut aus dem Dienst nach Hause gekommen. Er hat uns auch sogleich alle zusammengerufen und uns dann sehr glücklich, herablassend und wohlwollend verkündet: „Heute zum Allerheiligentag hat Seine Majestät der Kaiser verfügt und uns alle wissen lassen, daß man Seine Kaiserliche Hoheit Napoleon II. fürderhin mit allen Arten von Zusammentreffen mit seinem Vater fernhalten muß. MUSS, hat er gesagt, nicht MÖGE oder SOLLE. MUSS, das ist ein Befehl, auf den ich mich berufen kann und der keine Eventualitäten zulassen tut. Wir wollen heute Abend allen Heiligen danken für diese wunderbare Gnade!“
Ich hätte meinem Vater sagen können, daß mir diese Verfügung des Kaisers nicht unerwartet kommt. Ich habe noch den Blick in Erinnerung, den der Kaiser und der Bub miteinander tauschten, bevor sie die Krafft-Gemälde im Invalidenhaus verließen. Vor drei Wochen war’s.
KAPITEL 6
Im folgenden Jahr, es ist das Jahr 1818, ergeht sich Joseph Moritz in recht peniblen Schilderungen des Alltages und der besonderen Geschehnisse.
Heute früh, am letzten Jänner, haben sie auf dem Glacis vor dem Neutor die Todesurteile gegen den Räuberhauptmann Grasel und seine zwei Hauptmitangeklagten durch Erhängen vollstreckt. Ich war, gegen das Wissen der meinen, dort und hab’ geglaubt, ich werd’ nicht hinschauen können. Ich hab’ auch nicht können, hab’ aber dennoch die ganze Zeit hingeschaut. Es ist schon ein seltsam’ Gefühl, wenn man da sieht, wie drei Leben ausgelöscht werden. Daß da ein neues, ewiges Leben beginnen soll, davon sieht man nichts und ahnt man nichts. Man sieht nur drei Männer hingehen, aufrecht, männlich und stark. Und dann werden sie weggetragen wie Mehlsäck’, totes Zeug. Es schaut eher so aus, als ob’s da einfach aus wär’. Einfach aus.
Man hat mich als Standsperson nicht erkannt. Es ist bitterkalt heute, darum habe ich mich ganz vermummt in meinen grauen Mantel, den ich so liebe.
Darum habe ich aber auch gehört, wie die Leute gefragt haben: „Wissen möchte’ ich, wer jetzt die 4000 Gulden Belohnung kassiert hat.“
Stimmt, daß sie ausgesetzt waren als Belohnung, davon hat man gehört. Aber wer sie jetzt wirklich gekriegt hat, davon hat man nichts mehr gehört Wird wohl in ärarischen Tümpeln versunken sein, das viele Geld.
Und kein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der das an den Tag gebracht hätte. Welche Zeiten!
Noch ein bemerkenswertes Ereignis verzeichnet Joseph Moritz am 1. März. Wir erwähnen dies hier deshalb, weil wir schon anlässlich der Uraufführung von Grillparzers ‚Ahnfrau’ erfahren durften, dass Joseph Moritz sich in künstlerischen Dingen gegenüber aufgeschlossen ist und sich ein Urteil erlaubt, das zumindest von recht untrüglichem Gefühl zeugt.
Waren heute im ‚Gasthof zum Römischen Kaiser’. Nicht essen, das wäre wohl nicht recht standesgemäß gewesen. Nein, sie haben dort einen Saal, in dem sie Musik aufführen.
„Musik, um die man sich kümmern muß“, meinte mein Vater und forderte mich auf, ihn dorthin zu begleiten.
Längere Zeit wurde nichts Auffälliges musiziert. Das Orchester spielte recht mäßig, es war Musik in Konfektionsausführung, sonst nichts. Ein einziges Stück, das mir auch aufgefallen wäre, wenn mich mein Vater nicht gestoßen hätte, das war von einem gewissen Schubert, Franz, glaube ich.
„Eigentlich ein fabelhafter Liederschreiber “, sagte Vater.
Heute aber haben sie uns eine ‚Ouvertüre im italienischen Stil’ von ihm vorgeführt. Und sie war wirklich flott, diese Ouvertüre, spritzig, voll Italianitá. Vater war recht angetan, das Publikum auch. Der Meister war selber anwesend und mußte drei Hervorrufe entgegennehmen.
Beim Anblick Schuberts fragte ich mich wieder einmal, wo der liebe Gott seine Wunder hintut; da stand ein kleiner, dicker, schwitzender, knollennasiger, kurzsichtiger, rotbackiger, gelbhäutiger Jüngling oben auf dem Podest und machte einen so unappetitlichen Eindruck, daß man meinte, man müsse den Schweiß in seinem Gewande noch meilenweit riechen.
Vater aber dachte anderes: „Wenn der so weitermacht, kann er steinreich werden!“
Auf dem Nachhauseweg in der Kutsche habe ich angefangen, den kleinen Schubert ein wenig zu beneiden. Was für eine jämmerliche menschliche Erscheinung, und was für eine wunderbare Musik. Als wollte da jemand eine Waage ins Gleichgewicht bringen.
Es ist die tiefe Empfindsamkeit des Joseph Moritz, die diese Passage seines Tagebuches bemerkenswert macht. Nicht allerdings die Bemerkung des Vaters, dass Schubert, wenn er so weitermache, steinreich werden würde. Wir wissen, dass Schubert ‚so weitergemacht’ hat, und dennoch ein ziemlich armseliges Leben hatte. Man muss dem Grafen Dietrichstein aber zur Ehre anrechnen, dass er in seiner späteren Funktion, er war nach 1831 Intendant der Hofbühne und Präfekt der Hofbibliothek, einiges für die Komponisten getan hat, um die Bezahlung ihrer Aufführungsrechte zu regeln. Kaum hatte er die Aufführungsentgelte halbwegs geregelt, schrieb er selber auch Lieder: Tänze und Menuette, von denen einige sogar recht bekannt geworden sind.
Anfang Juni des Jahres 1818 reiste Joseph Moritz nach Ragusa, dem heutigen Dubrovnik. Es dürfte dies wohl die erste jener Reisen gewesen sein, die er dann später immer wieder mit großer Genauigkeit und wohl auch Begeisterung beschreibt. Während er die späteren Reisen aber immer in gewissem Sinne dem Herzog erzählt, haben wir hier einen Bericht vorliegen, der noch gänzlich unbeeinflusst ist von der späteren Total-Ausrichtung. Es war eine jener Wirtschaftsdelegationen, die nach Ragusa reisen musste, zu Hilfe gerufen von einer ehemals blühenden Republik, die jetzt um ihre Existenz rang.
Wir haben heute über den Sinn unserer Reise gesprochen, während die Kutsche uns über die Dalmatinischen Berge schaukelte. Der Doktor Prokesch sprach dann aus, was wir alle im tiefsten Innersten schon gedacht hatten: „Was wollen die in Ragusa? In der Ecke des Reiches, im Hintergrund die Türkische Mißwirtschaft? Wozu sich da anstrengen? Das ist verlorenes Terrain. Die sind erledigt. Reines Augen-Auswischen, die ganze Reise da!“
‚Wer soll sich da anstrengen?’, war wohl der Kernsatz. Die Monarchie tat wirklich nichts, um dem vor sich hin siechenden Ragusa auf die Beine zu helfen. Ganz im Gegenteil, der altösterreichische Schlendrian trieb hier solche Blüten, dass einige der alteingesessenen Familien Ragusas ob des immerwährenden Niederganges ihrer einstmals so stolzen Republik den Beschluss fassten, ihre Dynastien zu beenden; was viele von ihnen später dann auch taten. Böse Zungen behaupten, dass Ragusa vielleicht deshalb ein kleines Homosexuellen-Paradies geworden ist. Aber das sind, wie gesagt, böse Zungen. Tatsache allerdings ist, dass Ragusaner Familien ausgestorben sind. Aus Protest. Ob sie das nur durch Enthaltsamkeit bewirkt haben, bleibe angezweifelt.
Aber wozu mache ich mir Gedanken...
schreibt Joseph Moritz noch am selben Tag, oder einige Tag später.
...ich bin ja doch nur Aufputz hier.
Tatsache ist, dass jede dieser Delegationen mit einer gewissen Menge an Adeligen ‚bestückt’ war. Und an diesem Grad der Bestückung konnte man Wichtigkeit ablesen, die man in Wien der Delegation beimaß.
Neben Moritz Graf Dietrichstein reiste noch ein junger Herberstein mit, der ein rechter Tunichtgut gewesen und für den diese Reise sogar eine Art Straf-Expedition gewesen sein soll. Dazu eben Joseph Moritz mit seinen gerade erst 17 Jahren. Alle wussten also, was diese Delegation wert sein sollte, die Ragusaner wussten es, und auch die Fachleute, die da mitreisten. Für die Ragusaner war die Besetzung der Delegation aus Wien fast einer Beleidigung gleichzusetzen.
Dennoch aber ließen sie unbeugsame Gastfreundschaft walten. Joseph Moritz jedenfalls berichtet von keinerlei schlechter Behandlung. Im Gegenteil, er scheint recht begeistert zu sein. Und vor allem hoch interessiert.
Wir sind hier im Rektorenpalast untergebracht. Solange Ragusa eine Republik war, so hat man mir erzählt, hatten sie als Oberhaupt einen sogenannten Rektor; der war allerdings immer