ТОП просматриваемых книг сайта:
Der Herzog. Günter Tolar
Читать онлайн.Название Der Herzog
Год выпуска 0
isbn 9783737552592
Автор произведения Günter Tolar
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Joseph Moritz benützte sein Tagebuch wirklich als Beichtstuhl. Und er genoss die Befreiungen, die ihm diese schriftliche Beichte schuf.
„Ja“, antwortete das Mädel einfach, anstatt fortzufahren, wie ich es so gerne gehört hätte.
„Jetzt müßt’ ich’s mir ja eigentlich machen lassen“, sagte ich, wobei ich ihr tief in die Augen blickte, „wenn eine so schöne Mamsell mich so überredet, da kann selbst unsereiner nicht widerstehen!“
‚Selbst unsereiner’ - man höre, wie der eitle Geck selbst dort, wo er sich kokett gibt, den Standesunterschied unfein herausarbeitet.
Die Margarethe füllte ihre soeben erst etwas erblaßten Wangen wieder mit Blut, sodaß wieder die zwei Äpfel dastanden. Sie sah mir erst ins Gesicht, erschrak, schlug die Augen nieder, schlug sie wieder auf, sah den Hans gleichsam hilfesuchend an, nickte plötzlich eifrig und sprach eilig: „Der Hans mahnt mich zurecht. Ich muß wieder an die Arbeit!“
Sie machte einen schnellen Knicks und rannte zur Türe hinaus. Ich mußte lachen und schlug den Hans auf die Schulter.
„Bei der brauchst du keine Angst zu haben, die ist dir sicher!“
Der Hans aber antwortete leise: „Ich bin trotzdem froh, daß der Herr Graf nicht weiter charmiert hat - man weiß nie bei einem so jungen Mädel...“
„So“, antwortete ich gedehnt, „er meint also, daß ich ihm bei der Margarethe könnt’ gefährlich werden?“
„Wenn der Herr Graf wollt’...“
„Wenn ich wollt’, ja. Aber sei er beruhigt, ich will ja gar nicht!“
Dann deutete ich auf die Zeichnung: „Und das da will ich auch nicht. In Wien braucht das Jahre, bis sich sowas durchsetzt. Und wenn man der erste ist, kommt man leicht in einen Ruf in unseren Kreisen. Aber das weiß er ja nicht. Braucht er auch nicht zu wissen.“
Wieder der Standesunterschied, auf den der Joseph Moritz deutlichen Wert legt. Es fällt allerdings auf, dass er die Betonung des Standesunterschiedes erst ab dem Zeitpunkt beginnt, als die Margarethe auftaucht. Solang er mit dem Hans allein verkehrt ist, war von diesem Unterschied keine Rede. Da waren sie einfach ‚Männer unter sich’.
Der „Störfaktor“ Margarethe wich aber bald neuen Komplikationen.
Eine Woche habe ich den Hans nicht gesehen gehabt. Heute aber war ich wieder dort, da hat er mich ganz schön erschreckt.
„Herr Graf“, begann er zögernd, „ich muß Ihm was sagen, was Ihm vielleicht einen Zorn auf mich macht.“
„Aber Hans“, lachte ich, weil ich ja noch nicht wußte, was da daher kommen sollte, „hat leicht die Margarethe wieder was ausgesucht für mich?“
Er aber blieb ernst: „Nein, Herr Graf. Es ist nur, vor zwei, drei Tagen waren zwei Herren bei meinem Herrn Vater. Ich wurde hinausgeschickt. Aber ich habe dennoch gehört, wie sie ihn gefragt haben, was für hohe Kundschaft bei uns verkehre. Und weil doch die einzige hohe Kundschaft, die unser Haus betritt, der Herr Graf sind, habe ich mir gedacht, ich muß es dem Herrn Grafen sagen.“
Ich mag wohl blaß geworden sein. Ich habe auch nicht gleich etwas gesagt.
Der Hans wurde sehr unruhig und ängstlich: „Ist das bös’, Herr Graf?“
„Der Sedlnitzky!“, mag ich wohl vor mich hingeflüstert haben.
Der Hans schlug die Hand vor seinen Mund. Und über der vorgehaltenen Hand schielte er mich leicht an mit seinen wunderschönen, kugelrunden Augen.
So habe ich also erfahren, so mußte ich es also erfahren, daß der Graf Sedlnitzky einen Verdacht geschöpft hat.
Der Graf Sedlnitzky - wir werden ihn noch näher beschreiben – ließ sehr schnell arbeiten.
Habe heute einen fürchterlichen Disput mit meinem Herrn Vater gehabt. Er kam wie immer an diesem Tag früher von Seiner Kaiserlichen Hoheit heim.
Es muss ein Montag gewesen sein, denn nur am Montag kam Vater Dietrichstein früher aus seinem Dienst. Und diesen Dienst versah er bei Seiner Kaiserlichen Hoheit, die der Herzog von Reichstadt damals ja noch war, als legitimer Thronfolger Napoleons mit dem Namen Napoleon II.
„Mein Herr Sohn lassen also den Schneider nicht kommen, sondern bemühen sich selber zum Schneider.“
Das schrie mein Herr Vater ganz ohne vorherige Ankündigung.
„Welch eine Herablassung: Kann er mir die vielleicht erklären?“
Ich war so sprachlos, daß ich sicherlich nicht fähig war, sogleich zu antworten. Das war aber auch gar nicht notwendig, denn mein Herr Vater schrie sogleich weiter: „Oder muß ich das wieder von der geheimen Polizei erfahren? Vielleicht erkundig’ ich mich überhaupt gleich beim Sedlnitzky, was in meiner Familie so alles vorgeht, ha?“
Erst jetzt verstummte mein Herr Vater. Er setzte sich brüsk in seinen Lehnstuhl und sah mich so herausfordernd an, daß ich wußte, jetzt war es an der Zeit, mir eine gute Antwort auszudenken.
Aber immer ging’s mir im Kopf herum, der Sedlnitzky. Wie vor einer Woche beim Schneider-Hans: der Sedlnitzky kümmert sich um uns, um mich; um den Sohn des Erziehers Napoleon des II. Na freilich, wir waren hochnotpeinliche Personen.
Joseph Graf Sedlnitzky war zu Anfang des Jahres ‚Präsident der Obersten Polizei- und Zensurbehörde’ geworden. Er hat, wohl ganz im Sinne Metternichs, den ‚Polizeistaat’ zu höchster Perfektion geführt. Das Spitzelsystem war nahezu lückenlos. Die Wiener nannten das Heer der ‚nebenberuflichen’ Spitzel ‚Naderer’. Damals wie auch später war es eine der Charaktereigenschaften des Wieners, über den anderen etwas zu wissen und aus diesem Wissen Kapital zu schlagen zu versuchen. Dieses Kapital war bis dato lediglich in Triumphe, Schadenfreude und heimliches Händereiben umsetzbar. Seit Sedlnitzky aber wurde bar bezahlt. Zudem schaffte der geheime Graf es auch, alle Druck-Erzeugnisse und Briefe fast lückenlos von seiner Zensur erfassen zu lassen.
Es war also nur zu klar, dass der Erzieher von Napoleons Sohn und dessen Familie strengstens observiert wurden. Völlig folgerichtig hatte der Joseph Moritz jetzt also Angst, Vater Dietrichstein war verärgert und im Hause Dietrichstein somit Krach angesagt.
„Darf ich also von ihm erfahren, was ihn dazu treibt, den Schneider aufzusuchen wie eine hergelaufene Straßenkundschaft?“
Mein Vater hat mit mir geschrien, seine an sich starke und eher sonore Stimme drohte fast überzuschnappen.
Ich kam aber gar nicht zum Antworten, da schrie er schon weiter: „Ich darf doch annehmen, daß mein Herr Sohn weiß, daß sein Vater eine Vertrauensstellung hat und somit ein Vertrauen genießt, das ihm sowohl Seine Kaiserliche Majestät als auch seine Durchlaucht der Staatskanzler entgegenbringen. Oder vielmehr entgegengebracht haben. Denn jetzt gilt es ja zu klären, was mein Herr Sohn beim Schneider zu suchen hat, anstatt ihn, wie es immer war, kommen zu lassen.“
Ich schickte mich jetzt zu gar keiner Antwort an; mich beschlich nämlich der Verdacht, daß mein Herr Vater nur erpicht darauf war, mir einen Vortrag zu halten. Vielleicht hatte er sogar Angst; und versuchte sich dieser Angst nun klar zu werden, indem er sie, wenn auch schreiend, so doch, formulierte.
„Ist ihm das klar?“, schrie mich der Vater plötzlich an.
„Ja“, antwortete ich schnell. „ich darf anfügen, daß es mir auch nie unklar gewesen ist.“
Plötzlich war er beruhigt: „Dann ist es ja gut. Darum möchte ich aber auch in aller Zukunft gebeten haben.“
Er wollte den Salon, in dem sich die Szene abgespielt hatte, eben verlassen, da drehte er sich unter der Türe noch einmal um und warnte mich mit wackelndem Zeigefinger: „Übrigens, der Rüschchen- und Bändchenschnickschnack hört jetzt auf. Das einzig Französische in unserer Familie ist Seine Kaiserliche Hoheit. Der macht mir wenigstens Freude.“