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sein, hoffte er.

      Die anderen Kinder hörten nicht auf. Aber sie waren nicht mehr so schlimm wie an diesem Tag. Es schien so, als ob in ihnen etwas zerstört wurde. Sie hatten schließlich Erfahrungen gemacht, die ihre Welt gründlich durcheinander brachten.

      Der hellblonde und sehr bleiche Patrick war nicht mehr so schnöselig und ging niemandem mehr mit seinen Klamotten auf die Nerven: er bekam diese nur noch fast ausschließlich gebraucht.

      Maik hielt sich oft nur noch abseits, ebenso seine Schwester.

      Christopher und sein Bruder sprachen kaum noch miteinander, und die Lust an Ballspielen war ihm auch abhanden gekommen. Er durfte auch nicht mehr zu den Spielen seines Bruders.

      Und Yvonne? Die hatte wochenlang Stubenarrest und wurde von da an nicht mehr so verwöhnt wie früher.

      Die kleine „Ärgere-Kai-Bande“ löste sich mehr oder weniger auf.

      6

      Shynn rannte, sprang und kletterte die Gegenden entlang, die teilweise frei schwebten, vielfältiger und weiträumiger waren, als es sich ein Mensch vorstellen konnte. Diese Welt vereinte mehr Lebensräume als die Erde je hatte.

      Er kam in einen Wald voller fremdartiger, dunkler, blau-violetter Bäume, die höher waren und anders aussahen als die irdischen. Selbst die Geräusche und Gerüche dieses Gebietes waren fremdartig und mit nichts auf der Erde zu vergleichen.

      Zwischen ihnen wuchsen ebenso ungewöhnliche Pflanzenderivate von ähnlichen Farben. Viele von denen hatten Blüten, die zu pulsieren schienen.

      Pilzähnliches Geflecht kroch hier schneckenartig herum, türmte sich zu Fruchtkörpern auf, pulsierte erneut, löste sich auf und floss weiter.

      Viele vogelähnliche Kreaturen von verschiedenen Größen, Formen und Farben flatterten zwischen ihnen hin und her.

      Im Hintergrund sah er sogar ein Geschöpf, welches einem riesigen Wolf glich. Wenn dieser in seiner Nähe wäre, könnte er nicht einmal eins der Beine umfassen.

      Er erschrak kurz, blickte zu dem weit entfernten Wesen, dessen silbriges Fell leuchtete und sich gleich einer Aura bewegte. Seine grünlich-gelben strahlenden Augen schienen Shynn ebenfalls zu fixieren.

      Er spürte, dass er nichts vor dem Tier zu befürchten hatte, denn es strahlte eine Ruhe und Weisheit aus, wie sie nur die ältesten Geister haben konnten.

      Die Wolfskreatur wandte sich von ihm ab und trottete davon.

      Leuchtende Schmetterlinge umflatterten ihn, berührten und kitzelten ihn, fingen an, ihn zu kratzen. Kratzen?

      Verdammter Mist! Diese Viecher haben mir gerade noch gefehlt. Eins ist schon schlimm genug, aber gleich ’ne ganze Meute... Dämliche Waldfeen!

      Er verfolgte deren Flugbahnen und versuchte, eine davon im Flug zu erwischen.

      Die Flatterwesen waren flink und wendig. Sie summten und pfiffen leise und schienen ihn zu verspotten. Er wurde sichtlich gereizt, was sich fast sofort auf seine Umgebung übertrug: Sie erschien ihm auf einmal feindseliger, dunkler. Die Lebensformen im Wald wirkten aggressiver.

      Äste, Ranken, Wurzeln und Blüten fingen an, nach ihm zu schnappen.

      Als er bemerkte, dass er es jetzt nicht nur mit Feen, sondern mit allen möglichen Kreaturen zu tun bekam, zählte er eins und eins zusammen und dachte sich, dass das veränderte Aussehen und Verhalten der Umgebung im Zusammenhang mit seinem gesteigerten Zorn stand.

      Er atmete mehrmals tief ein und aus und zwang sich zur Ruhe. Er schloss die Augen, dachte an eine x-beliebige Farbe und zählte kurz bis drei.

      Die Gegend und alles, was damit in Verbindung stand, entspannte sich ebenfalls.

      Er hörte ein leises Flügelschlagen aus nächster Nähe, etwas rechts von ihm. Blitzschnell fuhren seine Hände in Richtung der Geräuschquelle und schnappten zu.

      Er hatte es!

      Mit der linken Hand fasste er sanft, aber bestimmt, die Flügel und besah sich das Wesen: Es war so lang etwa wie sein Finger, von androgyner, menschenähnlicher Gestalt und hatte einen Schopf von lila Haaren.

      Die Farbe des Geschöpfes war bleicher als ein Mensch des Nordens, fast weiß. Die Augen waren dunkel und es hatte kleine, spitze Ohren und auf der Stirn ragten zwei zarte Fühler, die denen von Schnecken glichen. Die Flügel schillerten in allen möglichen Farben.

      Aber sie fingen an, sich dunkel zu verfärben. Scheinbar war die kleine Fee gerade nicht sehr zufrieden mit ihrer Lage, denn sie wurde ärgerlich und fing mit ihrer piepsigen Stimme schrecklich an zu schimpfen, genau wie ihre Kameraden, die es aber vorzogen, auf einem gewissen Abstand zu bleiben.

      Die Umgebung begann erneut, sich etwas zu verändern, aber nicht so stark, wie sie es bei Shynn tat. „Halt du bloß deinen Rand!“, sagte er barsch.

      Dabei wurde er sich bewusst, dass er nicht in seiner bisher gewohnten menschlichen Sprache sprach, sondern in der Ursprache der Seelen, die unendlich viele Wörter zu haben schien. So wie er wusste, dass es sich bei den Wesen um Waldfeen handelte. Er grübelte darüber kurz: Woher weiß ich das? Ist vielleicht normal hier, oder Relikte von meinen Erinnerungen?

      Er sprach sie, als beherrschte er sie schon immer. So, wie jede andere Kreatur hier, verstand er diese auch. „Bist selber schuld, wenn du und deine Mischpoke mir auf den Sack gehen wollen. Was sollte der Scheiß?“

      Die Fee war nun etwas beleidigt. „Es sollte doch nur ein kleiner Spaß werden.“

      „Toller Spaß! Seid ihr noch Kleinkinder? Hat euch noch keiner beigebracht, wann ein Spaß denn vorbei ist? Zu deiner Information: Das ist frühestens der Fall, wenn das Objekt eures Scherzes nicht lacht und spätestens dann, wenn es sauer wird! Also wunder dich nicht, wenn dir auch mal die Grenzen gezeigt werden, du Schmettergake!“

      Das kleine Wesen wimmerte: „Entschuldigung, das haben wir im Übermut nicht mitbe-“

      „Ja, das ist immer so, das kriegt keiner mit!“, schnitt er ihr das Wort ab. „Na ja, es wurde ja niemand verletzt. Nur dein Stolz hat etwas gelitten, das ist zu verschmerzen. Sei froh, dass ich dir deine Flügelchen nicht ausgerissen oder dich zerklatscht habe“, setzte er mit einem gespielt-gehässigen Unterton fort und beruhigte sich langsam wieder.

      Mit einem ironischen, dreckigen Grinsen im Gesicht stellte er zufrieden fest, dass er nun seinerseits dem Geschöpfchen einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte.

      Er setzte es bedacht auf seine freie Hand und ließ die Flügel los. Auch die Sippschaft der Waldfee entspannte sich und kam wieder näher.

      Shynn ließ sich auf einem moosbewachsenen Stein nieder. Die Wesen verteilten sich alle auf die nächstliegenden Äste und fingen an, sich zu unterhalten.

      Die ehemals gefangene Fee machte sich zum Sprecher ihrer Gruppe, um zu verhindern, dass er sich auf zu viele piepsige und leise Sprecher konzentrieren musste.

      „Wer bist du? Und wo willst du denn hin?“, fragte sie.

      Er rieb sich die Nase und antwortete: „Genaues weiß ich auch noch nicht. Im Moment nenn ich mich Shynn, bis mir mein richtiger Name wieder einfällt und ich mein komplettes Gedächtnis wiederhabe. Ich weiß, dass mir – seit ich hier bin – ein Teil dessen fehlt, und ich auch im Grunde nicht hier sein sollte...“

      „Augenblick mal! Wo du hier bist, weißt du?“ kam es von einer anderen Feenkreatur.

      „Ja, soviel ist mir klar, dass ich von hier komme. Aber eigentlich hatte ich ja ein völlig anderes Leben.“

      „Du bist seltsam, weil du so aussiehst, als gehörst du eher hierher, und nicht in die andere Welt.“

      „Ihr kennt euch anscheinend etwas aus.“

      Die kleine Fee lächelte geheimnisvoll. „Ja, denn wir sind

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