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Vater behandelte seine Tochter etwas kühler als sonst, worunter die Leistungen der Schülerin auch etwas litten. Sie wurde sehr still und zurückgezogen.

      Christoph durfte vorerst keine Freunde mehr einladen. Es kamen auch keine mehr, solange dieser verhexte Computer da war. Also wurde dieser abgeschafft, als seine Eltern sahen, was auf dem Gerät los war.

      René wurde etwas seltsamer, weil er ja eine ganze Weile lang kaum aus der Wohnung durfte, außer zur Schule. Seine Eltern verziehen ihm die Schweinerei nicht so schnell. Sie mussten alles neu tapezieren und streichen, was ihre Ersparnisse sehr schröpfte.

      Bei einigen von Kais Peinigern aus anderen Klassen lag aus dem gleichen Grund etwas im Argen, denn Shynn hatte denen ebenso Besuche abgestattet.

      Bis auf einige Verbalattacken passierte ihm von Seiten der Gleichaltrigen die nächsten Jahre nichts. Bei den höheren Klassen war das was anderes, da die meist ein Opfer suchten, und was ist leichter, als sich an die kleineren Klassen zu halten. In diesem Fall an Kai.

      So viel zum Thema FDJ5 oder Pioniere sind alle Freunde. Sein Alter Ego kam natürlich auch des Nachts zu denen, um dort etwas Unfrieden zu stiften.

      Kai wollte einfach nur noch seine Ruhe haben, mehr war es ja nicht, er hatte eigentlich auch keine Lust, zu den Gruppennachmittagen zu gehen oder in den Hort. Aber dort musste er nicht häufig hin.

      Als das Schuljahr im Sommer zu Ende ging und Kai sein sehr gutes Zeugnis bekam, fuhr er die ersten Wochen ins Ferienlager, was er eigentlich nicht so gerne tat, denn dort hatte er es natürlich mit fremden Kindern zu tun, wo er wieder vom Regen in die Traufe geriet.

      Die Jungen gingen noch, die ließen ihn in Frieden, weil er ja auch einer war und ebenfalls, wie sie selbst, gern baute oder Insekten sammelte. Sie waren sich alle in einem Punkt einig: Sie fanden Mädchen in ihrem Alter einfach nur doof.

      Erst recht, wenn die Gruppen an den heißen Tagen am Wasser waren und die Jungs beim Umziehen wegen bestimmter männlicher Körperteile ausgelacht wurden, oder gesagt wurde: „Ihr stinkt!“

      An den Reaktionen der Jungs beteiligte er sich nicht. Das war nicht seine Art, auch wenn sie mehr oder weniger zusammenhielten.

      In der Lagerleitung wunderte man sich allerdings darüber, dass Sachen einzelner Kinder, vor allem der Mädchen, nachts unbemerkt auf den Wipfeln der hohen Bäume gelandet sind.

      Erst dachten sie an Dummejungenstreiche, aber niemand von den Kindern oder Jugendlichen hatte Zugang zum Werkzeugschuppen, beziehungsweise einer so hohen Leiter.

      Auch die Post nach Hause einiger Kinder war oft nicht mit dem Originaltext zu ihren Bestimmungsorten geschickt worden, was natürlich auch bedeutete, dass Taschengelder gestrichen wurden, oder manch einer vor Ort von erbosten Eltern an den Löffeln gezogen, abgeholt und nach Hause verfrachtet wurde.

      Auch manche der Gruppenleiter wurden nicht verschont. (Das waren die, die aus welchen Gründen auch immer fies zu Kai waren. Oder ein Problem in ihm sahen.)

      Der Lagerleiter dachte öfter einmal, dass es spukte, denn es gab manchmal nachts Geräusche, obwohl niemand da war, der sie verursachte. Zumal strenge Nachtwachen eingeteilt wurden, die darauf achten sollten, dass niemand das Bett verlässt.

      Der ältere Mann stellte fest, dass einem der Kinder ständig schlecht war; der kleine Stille mit der Brille klagte oft über Kopf- und Bauchschmerzen. Der irgendwie eigenartige Junge war sehr unsportlich und war auch nicht wirklich für die Lagerspiele zu begeistern.

      Außer für das Geländespiel, wo der Kleine seine Gruppe, die auf Abwegen geriet, durch seinen Orientierungssinn aus dem Wald führen konnte und mit ihnen trotzdem den dritten Platz gewann.

      Nach dem Ferienlager verlief die warme Jahreszeit für Kai friedlicher.

      Zeiten-Wende

      Der Herbst 1989 kam und damit die Montagsdemonstrationen, von denen Kai relativ wenig mitbekam.

      Die Wende ließ im November auch nicht lange auf sich warten; Tschüss DDR und Hallo BRD hieß es jetzt.

      Das bedeutete auch: Macht’s gut, Planwirtschaft, Kombinate, Volkseigene Betriebe, NVA, Stasi, SED, Pioniere und FDJ, relative Sicherheit, ein sehr gutes soziales Netz und Gesundheitssystem und so weiter und so weiter.

      Und zudem: Grüßt euch, Kohl, freie Wahlen und damit viele Parteien wie CDU, SPD, FDP, Bündnis 90, Grüne, PDS, REP und sonstige. Ebenso D-Mark, Konsum, Treuhand, Fernreisen, Meinungsfreiheit, Arbeitslosigkeit, Neue Bundesländer et cetera.

      Jugendcliquen verschiedenster Gesinnung fingen an, überall ihr Unwesen zu treiben. Diese lungerten vermehrt auf Spielplätzen herum und terrorisierten Kleinere oder Schwächere. Oder sie knackten Autos oder fingen an zu sprayen oder Sachen wie Müllcontainer zu demolieren, weil die Polizei in der Zeit noch so gut wie nicht mehr vorhanden war.

      Auch Betrüger und Ganoven, wie zum Beispiel Hütchenspieler, trieben sich die erste Zeit in der Stadt herum. Genauso Vertreter für Versicherungen, Staubsauger und dergleichen.

      Ebenso Missionare für alle möglichen Religionen oder Sekten. Alle dieses Gelichter klingelte bei den – auf so etwas völlig unvorbereiteten – Leuten im Minuten- oder Stundentakt Sturm.

      Die Briefkästen füllten sich mit Werbung sowohl politischer als auch religiöser Art, Reiseprospekten für Kaffeefahrten oder Busreisen, die nie stattfanden, Katalogen oder ähnlichem Scheiß. Manch einer bekam unfreiwillig stapelweise Wahlplakate im Paket zur Verteilung zugeschickt.

      Ganz schön viel auf einmal für die Einwohner dieses kleinen Landes, welches so eben mal eingemeindet wurde von dem größeren Land, dessen Teil es aber eigentlich früher mal war.

      Das war etwa so wie bei zwei siamesischen Zwillingen, die getrennt wurden, von denen der Größere den Kleineren mal eben auffraß, nachdem der Kleinere lange Zeit das Gegenteil des Größeren gemacht hatte.

      Zwei Teile wurde so wieder eins. Nur eben nicht so, dass von beiden Seiten das Beste genommen wurde, um etwas Neues zu schaffen. Tja, Chance vertan.

      Auch Kais Eltern zitterten um ihre Jobs, aber sie waren zum Glück jung genug und hatten die richtigen Ausbildung – die eine als Sachbearbeiter, der andere als Verwalter – gehabt, sodass sie direkt von den neuen Arbeitgebern übernommen wurden.

      Bis auf den Systemwechsel von Sozialismus zur freien Marktwirtschaft, änderte sich wenig für Kai, außer, dass er seine Freizeit noch öfter so verbringen konnte, wie er wollte, ohne den Zwang einer Jugendorganisation, deren Mitgliedschaft inoffiziell Pflicht war.

      Und dass es Dinge zu kaufen gab, die es so vorher nicht gab, wie Spielkonsolen zum Beispiel. Oder Comics verschiedener Art. Oder Musik von Gruppen, die vorher kaum Zutritt in diesem Land hatten oder sogar verboten waren. Eine Tatsache, die vor allem die Jugend oder die Junggebliebenen ansprach.

      Weihnachten 1990 bekam er einen Gameboy, den ihm im Frühjahr ein älteres Mädchen aus der achten Klasse, welches so einer Art Clique angehörte, wegnahm.

      Shynn klaute den jedoch wieder zurück und demolierte der Diebin zusätzlich einen Teil ihrer Zimmereinrichtung, was ihr auch ziemlichen Ärger gebracht hatte.

      Zusätzlich zeigte er ihren Eltern, dass die Tochter anderen Kindern Sachen oder Geld abgezogen hatte.

      Das Übliche eben. Genau wie die Kopfschmerzen, die ihm nach seinen nächtlichen Eskapaden immer wieder blühten.

      In der fünften Klasse kam Kai auf das Gymnasium und musste die Schule dafür wechseln. Der Schulweg war länger. Aber die Gegend war trotzdem noch die Gleiche. Immer noch beschissen, oder noch schlimmer. Willkommen in der neuen Zeit.

      Auf der neuen Schule hatte Kai die ersten beiden Jahre weniger Probleme gehabt, denn er schien langsam zu begreifen, wie die anderen Kinder tickten.

      Wenn, gingen die meisten Schwierigkeiten von einem Jungen aus der Parallelklasse namens Silvio aus, der zwar klug war und dessen Eltern wohlhabend waren.

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