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Das lange 19. Jahrhundert. Matthias von Hellfeld
Читать онлайн.Название Das lange 19. Jahrhundert
Год выпуска 0
isbn 9783754118368
Автор произведения Matthias von Hellfeld
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Die königliche Familie floh aus Berlin, Königin Luise versuchte mit großem persönlichem Einsatz den französischen Kaiser zur Milde zu bewegen. Ihr Engagement brachte ihr zwar große Anerkennung bei der preußischen Bevölkerung ein, nützte aber nichts. Napoleon marschierte am 27. Oktober 1806 unter dem Jubel einer großen Menge in Berlin ein, während Friedrich Wilhelm III. das Friedensdiktat des französischen Kaisers erwartete. Im Frieden von Tilsit, den Napoleon in zwei Verträgen mit Russland und Preußen anschließend aushandelte, wurde Osteuropa in eine französische und eine russische Interessenssphäre aufgeteilt, während Preußen auf den Status einer unbedeutenden Mittelmacht reduziert wurde. Ursprünglich wollte Napoleon Preußen gänzlich auslöschen. Aber in den Verhandlungen mit dem russischen Zaren Alexander gab er sich mit einer entscheidenden Schwächung zufrieden. Friedrich Wilhelm III. musste alle Besitzungen westlich der Elbe und jene Gebiete abtreten, die Preußen in den drei polnischen Teilungen zwischen 1772 und 1795 annektiert hatte. Die preußische Armee wurde auf 40.000 Soldaten reduziert. Damit war Preußen de facto aus dem Konzert der europäischen Großmächte ausgeschieden. Napoleon machte fortan gemeinsame Sache mit dem Zaren, was sich in der Kontinentalsperre gegen England ausdrückte, die unmittelbar vor den Friedensverhandlungen von Tilsit schon Ende 1806 verkündet worden war. Seit der verheerenden Niederlage in der Schlacht von Trafalgar ein Jahr zuvor, hatte Napoleon versucht, England durch einen Handelskrieg zu bezwingen. Jetzt sollte es eine Kontinentalsperre richten, die von Norwegen bis Südspanien sämtliche Handelsrouten auf die Insel blockierte. Um Schaden durch den ausfallenden Handel mit England von Frankreich anzuwenden, wurden vor allem die Rheinbundstaaten herangezogen. Je länger dieser Zustand andauerte und je größer die Opfer wurden, die Frankreich verlangte, desto stärker wurde der Widerstand in der Bevölkerung. Eine der Folgen der Kontinentalsperre war das Erstarken der anti-französischen, nationalen Bewegung in Deutschland.
Preußen war zerschlagen, spielte im europäischen Machtpoker keine Rolle mehr. Der deutsche Rheinbund war französisches Protektorat und Russland machte gemeinsam mit Frankreich Front gegen England. Um alle europäischen Küsten unter Kontrolle zu haben und die Insel hermetisch abzuriegeln, marschierten französische Truppen in Portugal und Spanien, in den Niederlanden, in Norddeutschland und in den Kirchenstaat ein. 1810 stand Europa von Portugal im Westen über Spanien, die Balearen, Korsika und das Königreich Italien im Süden, über Kroatien, Österreich, dem Großherzogtum Warschau und dem Königreich Preußen im Osten sowie den Königreichen Dänemark und Norwegen im Norden unter französischer Herrschaft. Der europäische Kontinent war aufgeteilt zwischen Frankreich und Russland, das an seiner westlichen Grenze von Finnland über Estland und Lettland bis nach Bessarabien reichte und von Tauroggen bis Galizien eine gemeinsame Grenze mit dem französischen Imperium hatte.
Reformen in Preußen
Nach anfänglichem Zögern entschloss sich der preußische König 1807 zu Reformen. Friedrich Wilhelm III. war nach der Niederlage gegen Napoleon ein geschlagener Mann. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma schien in einer reformerischen Radikalkur zu bestehen. Die preußischen Reformen waren nicht vergleichbar mit denen der Revolution in Frankreich. Sie waren nicht Ergebnis einer Souveränitätserklärung durch das Volk oder eines Staatsstreichs. Sie entstanden in den Köpfen der Reformer als Mittel zum Zweck. Preußen sollte wieder machtvoll und wehrhaft werden, dazu waren umfassende Veränderungen unerlässlich. Gemeinsam mit einer Gruppe von Reformern machten sich Heinrich Reichsfreiherr vom Stein und Karl August Graf von Hardenberg daran, den preußischen Staat zu modernisieren. Dabei schreckten sie nicht davor zurück, die Errungenschaften der französischen Revolution zu übernehmen. Die nach den beiden benannten „Stein-Hardenbergschen Reformen“ seien ein „Griff in das Zeughaus der Revolution“, hieß es kritisch. Aus dem preußischen Söldnerheer wurde ein Volksheer, dessen große Wirkungskraft man bei der französischen Armee hatte bewundern können. Der veraltete Ständestaat und die Leibeigenschaft der Bauern wurden abgeschafft. Die Staatsverwaltung wurde umstrukturiert, eine Städte- und Justizreform durchgeführt, „Judenemanzipation“ und Gewerbefreiheit verkündet sowie ein Ministerkollegium eingeführt. Höhepunkt war eine Bildungsreform, die dem Staat gut ausgebildete und den Prinzipien des Humanismus verpflichtete Beamte zuführen sollte. Napoleon beobachtete diese Entwicklung mit Sorge, da er die mittelfristige Wirkung solcher Reformen aus Frankreich nur allzu gut kannte. Sein Statthalter in Preußen beobachtete den Reformprozess und die Reformer genau und zog sie - wenn es sein musste – aus dem Verkehr. Dennoch konnte Napoleon die Reformen, die in wenigen Jahren Preußen modernisierten, nicht verhindern.
Derweil machten sich zu Beginn des zweiten Jahrzehnts die Konsequenzen der Kontinentalsperre gegen England bemerkbar. Die Länder des Rheinbundes litten unter den ökonomischen Zwängen, die dieser in ihren Augen „totale Krieg“ mit sich brachte. Dadurch dass es an jenen Waren mangelte, die bisher aus England importiert wurden, war der Krieg auch auf den zivilen Bereich der Bevölkerung ausgeweitet worden. Die Not wurde noch größer, weil die eigenen Produkte nicht mehr nach England exportiert werden durften. Die Konsequenz war ein blühender Schmuggel über Nord- und Ostsee, Dänemark und Schweden. Bis nach Frankfurt oder Leipzig führten die Schmugglerrouten, die vor allem überseeische Kolonialwaren nach Deutschland brachten. Bestechung und Korruption blühten und öffneten immer neue Wege, verbotene Waren ins Land zu holen. Die französische Reaktion ließ nicht lange auf sich warten und steigerte den Hass gegen die Besatzer weiter: französische Truppen übernahmen die Überwachung der deutschen Küstenstreifen, 1810 annektierte Napoleon Holland und wenn das alles nichts half, dann wurden englischen Waren mit derartig astronomischen Zöllen belegt, dass sie unerschwinglich wurden (Nipperdey, 1983).
Ähnliche Schwierigkeiten ergaben sich auch für Russland. Zar Alexander fand zum einen zwar Gefallen daran, neben Napoleon der mächtigste Herrscher auf dem europäischen Kontinent zu sein. Zum anderen aber war die russische Wirtschaft auf die Einfuhr englischer Erzeugnisse angewiesen. Der Export nach England und die Einfuhr von Textilien, Kaffee oder Tee und Tabak waren gestoppt. Das führte einerseits zu Problemen in der eigenen Wirtschaft und andererseits zu einem drastischen Rückgang der Steuereinnahmen aus diesen Geschäften. Ende 1810 verschlechterte sich das Verhältnis Alexanders zu Napoleon durch die Verlegung von französischen Divisionen an die russische Grenze, was den Zaren veranlasste, die Kontinentalsperre gegen England aufzuheben und die russischen Häfen für englische Waren wieder zu öffnen. Eigentlich hätte die eigenmächtige Handlung des russischen Zaren Napoleon signalisieren müssen, dass der Höhepunkt seiner Herrschaft über Europa vorbei war. Stattdessen aber löste die Nachricht aus Moskau einen lautstarken Tobsuchtsanfall des französischen Kaisers aus, dem wüste Beschimpfungen des „russischen Weichlings“ folgten.
Unmittelbar nach dem russisch-französischen Zerwürfnis begannen beide Seiten, sich auf einen Krieg vorzubereiten, der im Juni 1812 mit dem Marsch der „Grande Armée“ nach Moskau auch begann. Es war die größte Truppenbewegung der Geschichte, die Napoleon gegen Russland ins Werk setzte. Seine eigenen Möglichkeiten überschätzend führte er fast eine halbe