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Ohr. Meisterlich schaute sich um, und sah den Hünen Cebrid und seinen noch größeren Bruder Brube. Die beiden saßen an der Nordseite des Lagers. Offensichtlich gehörten sie zur dritten und letzten Wache. Das Schnarren kam von Brubes Schleifstein. Mit Geduld, ja gar zärtlicher Fürsorge, schärfte er seine Hellebarde. Cebrid saß daneben und putzte seinen Zweihänder liebevoll mit einem feinen Lappen. Sie unterhielten sich, während sie ihr Werk verrichteten und auf die Weiterreise warteten. Alle Knochen schmerzten Meisterlich, als er sich erhob. Das graue Haar aus den Augen wischend, begrüßte er den Tag mit erschöpftem Knurren. Er nickte den Wachen zu, welche ihn nunmehr bemerkt hatten, ging zu seinem Wagen und überprüfte die Fracht. Die morgendliche Schwere vertreibend, stand er einen Augenblick da. Danach machte er sich daran, die Maultiere wieder anzuspannen und seine spärlichen Habseligkeiten zu verstauen. Während er seine Decke um sein kleines Kissen rollte und auf den Wagen legte, hörte er das Brüllen des Zwergs.

       „Auf! ... Die Sonne steht schon am Himmel!“ Allzu lange Monologe waren nicht das, wofür sich ein Mitglied des kleinen Volkes rühmen konnte.

       Traumschwere Gesichter mühten sich auf die Füße, packten mit unwilligen Händen, fast mechanisch, das wenige an Ausrüstung zusammen. Murren und Gähnen lag in der Luft. Einige brauchten länger, andere waren schon marschbereit. Ein großer Krug machte die Runde. Jeder stärkte sich unmittelbar vor dem Abmarsch ein wenig mit Wasser und trockenem Brot.

       Der Trupp setzte sich wieder in Bewegung und marschierte schnell den Hügel hinab.

       Zrak der Minotaurus bremste den Wagen von Händler Meisterlich ein wenig, indem er ihn mit seinen gewaltigen Armen am Ende der Ladefläche hielt und sich mit seinen stämmigen behuften Beinen gegen die Fahrtrichtung lehnte. So verhinderte er das Schnellerwerden des Gefährts. Mehrere Männer beobachteten sein Tun. Sicher, es war leichter, einen abwärts fahrenden Wagen zu bremsen, als ihn bergauf zu schieben. Dennoch war ein Schimmer von Neid oder Anerkennung in manchem Gesicht zu erkennen. Nun ließ Zrak den Wagen aus, schnaubte geräuschvoll durch seine breiten Nüstern und streckte seine Schultern. Knirschende Steine kündeten vom Ankommen des schweren Wagens auf dem schmalen Fuhrweg. Meisterlich machte es sich auf seinem Kutschbock so bequem wie möglich. Ein langer Tag wartete auf ihn.

       Die Sonne strahlte schon bald ruhig vom Himmel. Weder Wolken noch Wind wollten dem schönen Tag seinen spätsommerlichen Glanz rauben. Nach kurzem Marsch waren die letzten Hügel im Norden von Naars Zweifel überwunden. Weite Ebenen taten sich auf. Sie versprachen einen einfachen und vor allem sicheren Weg, bis hin zu Naars Auge, dem Mittelpunkt des Landes, dem manifestierten Versagen Naars, dem unendlichem Loch im Herzen der Welt. Mit allerlei Fährnissen behaftet, würde Naars Auge das schwierigste Teilstück ihrer Reise sein. Nahe den weit gestreckten Hängebrücken, welche die gewaltigen Klüfte um das „Auge“ passierbar machten. Mitten im Toten Land, mussten sie unweigerlich auf Oger treffen.

       Naars Auge lag aber noch in einiger Ferne. Mit lustigen Liedern über Frauen zweifelhaften Rufs, vertrieben sich einige der Männer die Zeit. Die Stimmung war gut, weit besser als am Tag zuvor. Mittlerweile, drei Tage nach dem Aufbruch aus Naars Zweifel, der Hauptstadt der Menschen, waren fast alle Mitglieder des Trupps wieder in bester körperlicher Verfassung. Die Stadt bot viel Abwechslung für Reisende. Zwei Tage war der Trupp dort verblieben. Während Garantor und der zweite die Ressourcen auffrischten, hatten die Menschen genügend Zeit, um ihre Familien zu besuchen. Vor allem aber, um alle möglichen leiblichen Genüsse auszukosten. So mancher wusste am Morgen der Weiterreise nicht mehr, ob er seinen Sold versoffen oder im Freudenhaus gelassen hatte.

       Zur Mittagszeit machten sie eine kleine Rast unter einem einsamen Apfelbaum. Ein wenig Wasser machte die Runde und mit großer Freude aßen die Mannen die vermutlich letzten Wildäpfel dieses Herbstes. Einige davon wanderten auch in ihre Rucksäcke. Als sie sich erhoben um ihren Weg fortzusetzen, erschien Brand aus westlicher Richtung. Der alte Bogenschütze trug ein leichtes Lächeln auf seinen schmalen Lippen. Keiner hatte überhaupt bemerkt, dass er aus dem Lager verschwunden war. Sein knorriger Eichenholzbogen lag locker über seiner linken Schulter. In der rechten Hand hielt er ein saftiges Wildhuhn und einen kleinen Rotfuchs, beide tot. Die Männer applaudierten bei diesem Anblick und johlten freudig. Viele klopften Brand auf die Schulter und gratulierten ihm zu seinem treffsicheren Auge. Freudige Erwartung auf das Abendessen trieb den Trupp an. So blieb die Stimmung den ganzen Tag über ausgelassen.

       Der Händler Meisterlich saß wie immer auf seinem Kutschbock und stierte von Zeit zu Zeit auf seine Ladung. Er war unruhig. Nur wenig der allgemein guten Stimmung färbte auf ihn ab. Er war immer noch müde. Schon viel zu lange müde. Sein Alter und der von ihm befürchtete Angriff von Räubern machten ihm zu schaffen. Zudem würden sie in einigen Tagen die östlichsten Ausläufer des Toten Sumpfes kreuzen. Es gab keinen anderen Weg nach Salzheim. Nur über die Brücken, welche dies unwirtliche Stück Land zusammenhielten. Meisterlich schauderte beim Gedanken an das Bevorstehende. Er hatte sie schon oft überquert, jedoch nur selten ohne Kampf oder eine wilde Flucht. Zu einfach war alles gelaufen. ‚Zu einfach’, dachte er immer wieder bei sich.

       Als sich die Sonne vom immer noch wolkenfreien Himmel verabschiedete, befahl Garantor das Lager ein wenig abseits des Weges aufzuschlagen. Wachen bezogen ihre Posten, lange Holzstöcke wurden mit Harz eingestrichen, um als Fackeln zu dienen. Der alte Bogenschütze Brand zog dem erlegten Fuchs das Fell ab und weidete ihn sorgfältig aus. Neben ihm saß der kleingewachsene Thef und rupfte das Wildhuhn. Der Zwerg entzündete die Feuerstellen, blickte sich dann im Lager um, und überprüfte, ob alle Arbeiten ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Alles lief bestens. Einige der Söldner hatten ihre Arbeiten schon erledigt und ruhten sich aus. Garantors breite Brust hob sich, als er anfing neue Befehle zu brüllen. „Kalad, Bloj, macht mal ´ne Halterung und zwei Spieße, damit wir die Viecher über‘s Feuer legen können! Dimite, sieh zu, dass du noch ein wenig Holz auftreibst!“

       Sofort gingen die Genannten ans Werk. Dimite murrte ein wenig in seinen Bart, was ihm allerdings nichts half. Trotz seiner langen Zeit als Söldner hatte Dimite immer noch Probleme mit fremder Autorität. Er war nun seit gut dreißig Mondwechseln bei diesem Haufen und eines hatte er mittlerweile gelernt: Schreit der Zwerg, halt’s Maul und tue was er sagt. Eine wahrlich hilfreiche Grundregel.

       Blass und durchsichtig zeigten sich die ersten Sterne. Die Feuer loderten mit Zischen und Knistern ruhig unter einem gütigen Vollmond. Meisterlich saß an der großen Feuerstelle und bat Thef darum, das Wildhuhn grillen zu dürfen. Thef klopfte dem alten Händler auf die Schulter und stand auf. Es war nicht das erste Mal, dass Meisterlich ihm eine derartige Arbeit abnahm. Auf diese Weise konnte der alte Mann sich ein wenig ablenken. Außerdem verbesserte der Anblick des saftigen Tieres seine Stimmung. Gutes Essen war immer willkommen. Neben ihm saß Brand, immer noch mit seinem Fuchs beschäftigt. Auch dieser brutzelte über dem Feuer. Einer der jungen Rekruten stimmte ein Lied an und mehrere sangen mit. Brube lachte lauthals über einen mittelmäßigen Witz von Thef.

       Der Minotaur Zrak saß an der kleineren Feuerstelle und unterhielt sich nachdenklich mit Mauran Falkenflug, dem zweiten Mann im Lager. Lediglich Garantor saß abseits alleine da und stierte aus einigen Schritt Entfernung in die lodernden Flammen. Das Licht des Feuers reflektierte auf seinem Stahlhelm. Zuckende Lichtflecken erhellten die Schatten in seinem Gesicht. Seine derben Züge lagen unter buschigen, zusammengezogenen Augenbrauen versteckt. Keiner hätte seine Emotionen deuten können. Oder war er einfach nur müde und nachdenklich?

       Das Abendmahl hielt, was es versprach. Jeder erhielt neben Trockenfleisch und Brot, eine Portion des frischen Wilds. Genügend Wasser machte die Runde. Kurz vor der zweiten Wache schliefen die meisten der Mannen. Auch Meisterlich hatte sich, hoffend auf eine ruhige Nacht, hingelegt. Cebrid schürte zum Ende seiner Wache nochmals die Flammen und begab sich zur Ruhe.

       Obwohl er unruhig geschlafen hatte, erwachte der Händler erst spät. Die Sonne war schon halb aufgegangen und das Lager zum größten Teil zusammengeräumt. Eines der Feuer war erloschen, das andere züngelte noch schwach auf verkohltem Holz. Schnell stand er auf. Mit einem lauten Fluch fing er an, seine Sachen zu packen. Sein Rücken schmerzte ihn. Unverhofft kam Cebrid scheppernd zu ihm gerannt und half, die Maultiere anzuspannen. Kurz darauf waren sie wieder auf ihrem Weg. Ein leichter Wind zog von Osten her auf. Der Tag war sichtlich kälter als die vorangegangenen. Zwar leuchtete

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