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Die Zweite Welt. Andreas Egger
Читать онлайн.Название Die Zweite Welt
Год выпуска 0
isbn 9783754149966
Автор произведения Andreas Egger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Deinen Sold kannst du vergessen! Hehe! ... Bis wir in Salzheim sind, hab‘ ich dir alles abgespielt! Dann sauf ich für dich mit.“
Sie spielten nicht um viel Geld. Schon gar nicht um Beträge in dieser Größenordnung. Fünfzig Silberstücke würde jeder von ihnen erhalten, sobald sie Salzheim erreicht haben mochten. Genug für Wein, Gesellschaft und einiges mehr. Es ging einfach um den geselligen Zeitvertreib, um das Prahlen und Fluchen, Ärgern und Jubilieren. Veoen konterte: „Ich bin ja nicht so und leih dir das Geld für ´ne Hure, sobald wir angekommen sind. Allerdings nur für ´ne bärtige Zwergenfrau ... ´ne andere ist zu gut für dich!“
Am liebsten hätte Gaal lauthals losgelacht, aber Garantor würde eine johlende Wache vermutlich persönlich über die Brücke werfen. Deshalb begnügte er sich mit einem unterdrückten Kichern, zeigte dabei allerdings so viele seiner krummen Zähne, wie sein schiefes Grinsen es ihm erlaubte.
So verstrich die Zeit bis zur Wachablöse. Die zweite und dritte Wache war ebenso ruhig und der Augenblick des Aufbruchs rückte näher. Die Luft frischte auf. Ein leichter Wind blies von Süden, als wolle er die Mannen zum Weiterziehen mahnen. Langsam, fast unbemerkt, warf die aufgehende Morgensonne die ersten zaghaften Strahlen über einen kleinen Hügel im Osten und schon bald regte sich das Lager. Schlaftrunkenes Murren und knackende Knochen, der sich streckenden Männer, prägten das Bild. Bewegung kam in das Lager. Blasen wurden entleert, das immergleich trockene Brot gekaut, Wasserflaschen weitergegeben. Die Maultiere wurden angespannt und Decken zusammengerollt.
Brand war schon eine Weile auf den Beinen und hatte einige Zeit bei Klai verbracht. Sein Zustand hatte sich nicht verändert. Zitternd lag er im Fiebertraum. Seine Verbände waren rot und aufgeweicht. Mit sicherer Hand wechselte er die Leinentücher um seine Wunde. Er bereitete ihn auf einen harten Tag auf der Tragbahre vor, indem er ihn fest in die schwere Felldecke einwickelte und auf der Bahre zurechtlegte. Garantor machte kurz vor dem Aufbruch noch eine Runde durch das Lager, legte die Marschordnung fest, und ebenso die Gruppen, die helfen mussten, Meisterlichs schweren Wagen auf dem sumpfigen Untergrund voranzubringen. Nachdrücklich mahnte er jeden seiner Männer zur Eile. Zwei Brücken mussten heute bewältigt werden. Ein Gewaltmarsch stand bevor. Ein jeder war sich der Strapazen bewusst und dennoch drängten sich mehrere Freiwillige um Klai. Keiner würde sich um die kräftezehrende Aufgabe drücken, die schwere Bahre durch den Schlamm zu schleppen. Zufrieden murrte der Zwerg. Wie schlecht die Chancen um Klai auch stehen mochten, niemand betrachtete die Bürde, ihn zu tragen, mit Unwillen. Dieser Umstand erfüllte Garantor mit Stolz. Genau das machte einen guten Trupp aus. Jeder stand für seine Gefährten ein. Dies war sein Abzeichen. Seine Bestätigung, gute Arbeit zu verrichten.
Meisterlich spuckte aus und machte es sich auf dem harten Kutschbock so bequem wie möglich. Er rutschte unruhig hin und her, nachdem er seine Ware kontrolliert und sich vergewissert hatte, dass mit Maultier und Wagen alles in Ordnung war.
Der Befehl zum Aufbruch kam bald. Fünf Mann zu beiden Seiten, gaben dem schweren Wagen einen Ruck, um ihn aus dem matschigen Untergrund zu lösen. Unwillig drehten sich die großen Holzräder. Mit lautem Schnauben zogen die Lasttiere an ihren Riemen und bewegten sich alsbald mit bestmöglicher Geschwindigkeit.
Der alte Brand war schon ein gutes Stück voraus und betätigte sich als Kundschafter. Die ersten Mannen kamen an die Brücke, als er schon nicht mehr zu sehen war. Mit sicheren Schritten und ernsten Mienen betraten sie das größte aller Bauwerke der Menschen: eine der Brücken um das Herz der Welt, um Naars Auge, dem Anfang und Beginn, der Geburtsstätte der ersten Menschen. Ehrfurcht einflößend lag das Nichts unter ihnen. Lediglich der Geruch nach Schwefel zeugte davon, dass unter den Nebeln irgendwo ein Ende der Tiefe zu erwarten war. Niemand sprach, Stille übermannte das Szenario. Die schwere Brücke hatte ihren Besuchern, abgesehen von monotonem Knarren, nichts zu sagen. Die Reisenden selbst antworteten mit hallenden Schritten und dem Klacken der Wagenräder, wenn sie von einer Planke auf die nächste überschlugen.
Lediglich der leise säuselnde Wind schien eine Geschichte zu erzählen. Unmerklich hob und senkte sich die Tonlage des kaum hörbaren Pfeifens. Es war die Geschichte der Ewigkeit. Der Ton des Lebens lag unverstanden in jedem Ohr, aber niemand hörte zu. Alles Sein konzentrierte sich auf den Moment, auf den Schritt, auf das Sehen des Nichts, auf das Deutlichwerden des nicht Vorhandenen.
Der Schrei einer Krähe aus den Sümpfen durchbrach weithin hörbar und vom dumpfen Widerhall der Schlucht getragen, den Augenblick. Unterstrich ihn mit seinem markanten Ton, nur um langsam wieder zu verklingen.
Eine Stimmung, die in ihrer Eigenartigkeit nur hier entstehen konnte, hatte von jedem einzelnen der Mannen Besitz ergriffen. Es schien, als würde der Schöpfer Naar selbst, in stiller Präsenz mit ihnen ausschreiten, sie mit durchdringenden Blicken ansehen und beobachten. Die Zeit schien in eine andere Form gepresst. Sie wurde relativ, verging, oder eben nicht. Es machte keinen Unterschied. Dies war das Manifest des Seins, nicht jenes des Vergänglichen. Die Sonne hatte weder Grund noch Recht, sich zu bewegen und ihr Voranschreiten preiszugeben.
Allein Garantor schien unberührt. Die einzige Art von Ehrfrucht die in seinen Augen zu erkennen war, rührte vom Respekt vor diesem gewaltigen Bauwerk her. Nichts liebten Zwerge mehr, als verarbeitetes Erz, gute Arbeit, imposante Bauten und perfekte Handwerkskunst. Gefühlvoll beschritt er die Planken unter ihm, ließ seine Rechte an der Kette entlanggleiten, fühlte die massiven Ringe und huldigte durch sein Tun und Denken seinem eigenen Gott Rekar. Nicht dem Gott der Menschen.
Schlamm spritzte auf, als Mauran Falkenflug unerwartet geräuschvoll in den dickflüssigen Morast trat. Er blickte nach unten und realisierte erst jetzt, dass er die Brücke hinter sich gelassen hatte. Die Wirklichkeit holte ihn abrupt und unerwartet ein. Die Bilder wurden klar, der Geist frei, die Welt wieder fest und spürbar.
Der Wagen rollte klatschend von der letzten Planke der Brücke und gab sie wieder frei. Meisterlichs Augen waren weit geöffnet und suchten die Umgebung ab. Dies waren die östlichen Ausläufer des großen Sumpfes. Die Luft wurde spürbar feuchter, jetzt, da sie die erste Brücke Naars überwunden hatten. Die Erde war aufgeweicht, aber nicht wirklich morastig. Erste Pflanzen, Farne und Bäume lagen vor ihnen. Das Weiterkommen war noch nicht sehr schwierig. Cebrid, Brube und einige weitere schoben dennoch mit vereinten Kräften den schweren Wagen. Die Maultiere mussten geschont werden. Vier Mann trugen Klais Bahre mit Schweißperlen im Gesicht. Der reglose Körper des Verwundeten selbst, zeigte außer monotonem Zittern keine Reaktion.
So ging es weiter. Noch immer wurde kaum gesprochen; von Marschgesängen und Unterhaltungen keine Spur. Die Sonne folgte ihrer Bahn, friedlich, aber zielstrebig. Man kam gut voran, schwitzte und fluchte gelegentlich, als Füße und Wagen sich tiefer in das Erdreich gruben und stecken blieben. Die Schicht wurde gewechselt und auch Zrak trug nun seinen Teil bei. Ein Arm war genug, um einen der vier Männer zu stellen die Klai trugen. Das tat er auch, obwohl ihn Garantor abschätzend anblickte. Mehr als ein kurzes Schnauben war nicht nötig, um zu signalisieren, dass dies auch sein Weg war und er durchaus in der Lage war, ihn zu beschreiten.
Die beiden Brüder blieben trotz der Ablöse beim Wagen und unterstützten das Vorankommen. Von Brube hätte niemand etwas anderes erwartet, aber auch Cebrid trieb sich unbeirrt voran. Trotz der schweren Plattenrüstung, die er praktisch nie abnahm, der wuchtigsten der ganzen Truppe, ließ er von seinem Handeln nicht ab und verrichtete beharrlich seinen Dienst. Ungeachtet der Einwände Kalads und Ypeks, die Teil der zweiten Mannschaft am Wagen waren und versicherten, es wäre nicht nötig, er solle sich doch besser ausruhen.
Zeit. Dies war der Faktor, der erfolgsbestimmend war und Sicherheit gab. Nichts anderes. So ging es voran, unter schwerem Schnaufen. Der Sumpf wurde verflucht und gemeistert.
Sie marschierten am Schlund von Naars Auge entlang. Dieser klaffte unbeeindruckt zu ihrer Rechten. Der Weg bis zur nächsten Brücke war hier zwar länger, aber mindestens eine Meile quer durch tieferen Morast konnte vermieden werden. Die schnellere Marschgeschwindigkeit machte dieses Defizit wieder wett.