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M.A.Audren
Traumtänzer
Schatten einer Welt
Roman
»Wieso sieht man die Wirbel nur nachts?«»Weil ihre Welt unserer dann am nächsten ist.« Cassym bedachte das Mädchen neben ihm mit einem sanften Lächeln, ihr Blick galt allerdings einzig dem Nachthimmel. Das strahlende Leuchten der Wirbel über ihnen spiegelte sich in ihren Augen wieder und ihre Wangen leuchteten trotz der Dunkelheit rosig auf ihrer blassen Haut.Mit jedem Funken über ihnen schien ihr Lächeln breiter zu werden, ihre Augen größer - ihre Neugier zügelloser. Auch sein Blick wurde wie magisch zurück zu den rasenden Lichtern gezogen. Der Himmel in Alateia war farblos, doch sobald die Sonnen hinter den Bergen verschwanden, begann Magie sich über das Land zu legen: Leuchtende Wirbel, die in tausend Farben über den Horizont fegten und schillernde Schweife hinter sich herzogen. Immer wieder rasten sie ineinander, verschmolzen in gleißenden Explosionen und bildeten neue Sterne, die alles unterm Firmament in ein Meer aus bunten Lichtern tauchten. Auch den Menschen erschienen die Wirbel: Er hatte sie in ihren Träumen sehen können. Als grüne und blaue Schleier ragten sie in ihren Himmel und offenbarten nur einen Bruchteil der Welt, deren Existenz sie nicht einmal in ihren kühnsten Träumen erahnten.»Sie sind immer da, Alana, sie trennen ihre Welt von unserer. Nur Nachts können wir ihr Leuchten in der Finsternis mit bloßem Auge sehen.« Es war nicht nur sehen, es war vielmehr als das. Cassym spürte die Macht der Wirbel. Wie ein Rausch drängte die Energie sich durch seine Adern, füllte sein wild pochendes Herz und schien jede Faser seiner Existenz mit brennenden Funken zu erleuchten. »Die Wirbel werden nachts dünner«, flüsterte er, unsicher ob er noch erklärte, oder nur mit sich selbst sprach. »Die Welten kommen einander so nahe, dass die Barriere zu reißen scheint.« Sie tat es nie, doch ein unbändiges Gefühl von Freiheit legte sich über die Traumtänzer - als würde ein einziger Schritt genügen um die Wand aus purer Energie zu durchbrechen. »Deshalb können wir in die Wirbel schlüpfen - nur ein winzig kleines Stück in die Träume der Menschen.«»Warum gehen wir nicht einfach weiter?« Ihre Stimme war atemlos und kurz wurde die unbändige Energie in seinem Inneren getrübt. Träume waren schön, doch ebenso gefährlich.»Du weiß, dass das nicht möglich ist. Die Wirbel würden uns zerreißen - du spürst sie doch auch?« Eine Frage, deren Antwort er längst wusste. »Wir sind nur die Wächter auf unserer Seite des Tors. Wir beschützen sie vor den Alben, dann kehren wir nach Alateia zurück, das ist unser Schicksal.« Ein Schicksal durch die Wirbel selbst bestimmt. Sie zeigten sich nicht nur als nächtliche Barriere, waren pure, reißende Energie, die jeden Winkel des Universums wie feine Adern durchströmte und mit Leben erfüllte.»Meinst du, es gibt die Dinge, die sie sehen wirklich?« Sie sprach von den Träumen selbst - von den Bildern in die sie nachts tauchten, von jener lebendigen Kraft, von der die Alben zu zehren suchten.»So sagt man. Farbenfrohe, duftende Blumen, Speisen so süß, dass du davon Bauchschmerzen bekommst und weiche Tiere in allen Formen und Farben - sie scheinen nur einen Katzensprung von uns entfernt.« Nachdenklich ließ Cassym seine Hand nach oben schnellen, als wollte er durch die rastlosen Wirbel hindurch fassen in die andere Welt, so nah und doch so fern. Der Gedanke alleine war gefährlich und doch süßlich lockend wie der Duft geschmolzener Schokolade an einem kalten Wintertag. Für einige Zeit war der Glockenturm in Stille gehüllte. In einer Stadt so voller Leben saßen die beiden Traumtänzer stumm nebeneinander - hatten nur einander und ein Schicksal,das sie teilten.»Eines Tages will ich dorthin reisen,« brach das Mädchen ihr Schweigen. »Ganz bald.« Alana klang so überzeugt … Cassym konnte sich ein kurzes Lachen kaum verkneifen. Er musste es ihr ausreden, das war seine Pflicht. Ihr die Gefahr hinter einem solchen Wunsch klar machen, jeden Wunsch etwas gegen ihr Schicksal zu unternehmen ersticken - doch wie, wenn er in seiner eigenen Brust so stark pulsierte?»Und wie willst du das anstellen?«, fragte er stattdessen. Für einen Augenblick schwieg Alana. Sie legte die kleine Stirn in Falten und schien ihre ganze Konzentration aufzubringen. Ihr Lächeln kehrte erst zurück, als sie endlich eine zufriedenstellende Antwort gefunden zu haben schien und mit jener unumwerflichen Zuversicht, die nur ein Kind haben konnte, ihren Plan verkündete.»Wir fliegen dorthin. Mit der ganzen Stadt.«»Du willst dorthin fliegen?«»Dann kann jeder hier die Welt der anderen Seite sehen!«»Das ist es, was du dir wünscht?« Sie nickte entschlossen und in ihm zerbrach die Kraft, ihre Träume zu verneinen, vollkommen. Dieses Kind strahlte vor Hoffnung, voller Liebe voller Vorfreude auf das lange Leben, das vor ihr lag. Wieso war es seine Pflicht das alles zu zerstören? Sie war nur ein Traum, der träumte … kein Gesetz dieser Welt war wert, ihr das zu nehmen. »Wenn du das sagst, Alana.« Er strich ihr sacht mit der Hand über das nachtschwarze Haar, fühlte wie sie sich entspannte - Sie waren alle so voll Vertrauen, bevor diese Welt sie an sich riss. »Irgendwann werden wir die Stadt in den Himmel hieven - und dann fliegen wir in die Welt der Menschen.«»Und essen ganz viele süße Nachspeisen? Versprich es!«»Traumtänzer Ehrenwort.« Doch Träume sollten niemals träumen. Betäubt starrte Cassym auf die Stadt zu seinen Füßen. Es war nur ein Augenblick von tausenden in einem Leben lang wie seinem - und doch würde sich dieser eine Moment für immer in sein Bewusstsein prägen. Die langsam erlischenden Lichter hinter den zerbrochenen Fenstern, der sengende Geruch von Blut, der ihn umschlug, als die Dunkelheit immer näher kam und das hallende Krachen, als die letzten Erdbrocken auf das ferne Festland stürzten. Ihr Traum war wahr geworden. Das Gefängnis, dem sie nie entkommen konnten war wieder geboren: Als fliegende Stadt die ihren Weg durch die Wirbel finden würde. Doch zu welchem Preis?Cassym blickte schweigend auf die taumelnden Türme vor ihm, die frischen Ruinen die aus Leid und Tränen entstanden waren. Er würde die Vergangenheit auslöschen, diesem Ort einen neuen Namen geben. … Lacrimosa - die Tränenreiche
Ellie biss sich gedankenverloren auf die Unterlippe während sie kontinuierlich an einem der vielen Rädchen drehte. Vorsichtig klopfte sie gegen das Stativ und ruckelte das Teleskop sogar ein Stück zur Seite - nach einem besseren Fokus suchte sie allerdings vergebens. Mit einem schweren Seufzen strich sie ein paar rote Fransen aus ihrem Gesicht und entschied, dass eine zweite Meinung doch nicht schaden könnte.»Was denkst du?« Sie warf einen Blick über die Schulter hinter sich, wo ihr Vater ebenfalls an seinem Fernrohr herum schraubte, im Gegensatz zu ihr wirkte Charles jedoch tiefen entspannt. Er ließ sich keinesfalls in Eile versetzen, streckte sich genüsslich und warf ihr eine warmes Lächeln zu, bevor er ein paar Schritte auf sie zu tat um durch das verschlissene Teleskop zu schauen. Es folgte eine lange Abfolge an Hmm´s und Aha ´s während der er sich angestrengt am Kinn kratzte und ebenfalls ein paar der Einstellungsrädchen veränderte Dem darauf folgenden Grunzen nach zu urteilen, wohl mit ähnlich mangelhaftem Erfolg.»Also die Farbe ist konsistent,« Ja, so weit war sie auch schon gekommen. »Interessantes Spektrum … was die Helligkeit angeht, könnte es passen - eindeutig. Der muss aus Schokolade sein. So braun, wie der ist.« … Ellie war sich nicht sicher, welche Antwort sie erwartet hatte. Mit einer weiten Bewegung verschränkte sie die Arme vor der Brust und rollte theatralisch mit den Augen.»Ja, natürlich - wie konnte mir das nur entgehen! Warte, ich hole meine Aufzeichnungen, so eine historische Entdeckung muss festgehalten werden! Und ich dachte schon, die Spektral-Klassifizierung würde anstrengend werden!« Charles raues Lachen hallte weit über die menschenleere Lichtung und als er das Mädchen an sich drückte konnte sie ein schiefes Grinsen nicht mehr zurückhalten. Nur hier, auf der letzten einsamen Erhöhung vor den Mauern Elgins - weit entfernt von ihren Werbetafeln und Neonröhren - konnte man den Sternenhimmel noch klar sehen. Weitab von all den Menschenmassen und ihrem Smog war die Luft noch klar und die Nordlichter glitten ungestört über den Horizont. »Dad. Nimm es etwas ernst: wir versuchen hier, Wissenschaft zu betreiben.« Charles ließ von dem Mädchen ab, nicht ohne ihr noch ein letztes Mal durch die Haare zu zausen, und stapfte beschwingt zu seinem Fernrohr zurück.»Und ich dachte immer, das hier wäre nur ein Vorwand, um dich aus dem Glashaus zu bekommen, bevor du dich selbst in eine Pflanze verwandelst.«»Die Vorstellung macht auch nur dir Angst - Cain nennt mich ohnehin schon einen Kaktus. Ich wette, wenn du ihm sagst, dass ich Dünger anstatt Hamburger zum Abendessen hatte, glaubt er dir das.«»Ich bin sicher, du wärst ein ganz entzückender Kaktus.
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