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glücklich, ihre Augen dafür umso mehr als sie sich endlich umsah. Vor ihr lag eine gigantische Schlucht. Inmitten grüner Gräser und leuchtender Blumen zog sich ein breiter Krater durch die idyllische Landschaft. Ein enormer Wasserfall toste von einer Klippe zu ihrer Linken zielgenau in eben diesen und versprühte dabei einen feinen Sprühnebel über die nahe Ebene. Sie ging ein Stück darauf zu, um nach unten zu sehen und wurde nicht enttäuscht. Im tiefsten Teil der Schlucht wandelte der Wasserfall sich zu einem glasklaren Fluss. Selbst von so weit weg konnte Ellie ein endloses Meer an Fischen, bunte Korallen und Pflanzen unter der Oberfläche sehen.»Eine Schlucht … Palyk sprach von solchen Rissen?« Sie stapfte zurück zu Layan, der es sich auf der Decke bequem gemacht hatte. Rem hatte ihren Freiheitsflug auch beendet und lag nun neben ihm, während Bel noch aufgeregt über der Kluft schwirrte. »Das hat er, ja, aber diese hier war schon vor Lacrimosa da. Der einzige Unterschied ist, dass es damals eine Brücke gab. Seit sie weg ist, ist Lancars abgeschnitten vom Osten der Welt. Ausgenommen von denen, die mit den Feen fliegen können, natürlich.«»Ist die Brücke eingestürzt?«»So in die Richtung. Es ist etwas kompliziert.« Ellie setzte sich und machte den Mund auf, wurde aber sofort unterbrochen. »Nichts, womit du dich beschäftigen müsstest.« Ausnahmsweise war es an ihr, das Thema zu wechseln.»Entschuldige für Gestern. Ich weiß, das alles war nicht deine Schuld.« Zumindest da war sie relativ sicher. »Aber manchmal geht es etwas mit mir durch.«»Mach dir keine Sorgen. Das zeigt nur, dass du Herz hast - das ist doch etwas gutes. Stell dir vor, dir wäre alles gleichgültig.«»Der Tag an dem ich unter die Phlegmatiker gehe, muss noch kommen.« Sie lächelte und blickte wieder in den Himmel auf. Hier war es spürbar dunkler als in Lancars oder den umliegenden Teilen dieser Welt. Ellie war mehr oder minder klar, dass sie immer nachts hier gewesen war, aber bisher hatte es immer mindestens eine Sonne am Himmel gegeben. Wie auch immer die Astronomie hier funktionierte, hier war das Licht dieser Sonne stark gedämpft und schien mit der Zeit nur noch schwächer zu werden. Sie wusste nicht, wie viel Zeit sie hatte: Wenn nicht jetzt, wann dann?»Kann ich dir trotzdem ein paar Fragen stellen?« Er wirkte nicht gerade glücklich - aber er verneinte auch nicht. Das konnte man als Einladung sehen. »Du sagtest, es kamen seit zwei Dekaden keine Leute mehr hierher … aber wie kamen die Menschen davor überhaupt hierher?« Wie komme ich hierher? Stand unausgesprochen zwischen ihnen. Er sagte nichts. Sie fürchtet schon, er wäre eingeschlafen, doch der Tänzer starrte nachdenklich vor sich hin. Nach einer gefühlten Ewigkeit begannen seine Lippen, sich zu bewegen.»Es gibt da diese Traumfänger. Keine gewöhnlichen Dekorationen, die man in Tandläden kaufen kann. Echte Traumfänger, geknüpft von den Wanderern deiner Welt. Sie sind durchwoben von ihrer Magie - der Magie, welche die Seelensteine ihnen gewähren. Mit ihnen ist es möglich, hierher zu kommen.« Sofort wanderten Ellies Gedanken zu dem Geschenk ihres Vaters - aber woher hatte er einen solchen Gegenstand? »Die Grenze zwischen deiner und meiner Welt unterliegt ganz eigenen Regeln, ich zum Beispiel könnte niemals in eure Welt treten - die Wirbel würden es nicht zulassen. Traumtänzer können nur bis in die Träume vordringen, gleichfalls ist auch ein Mensch, der durch einen Traumfänger tritt, nicht vollkommen in unserer Welt. Während dein Bewusstsein hier ist, ruht dein Körper friedlich schlummernd in deinem Bett.« Das erklärte nicht den Kratzer - oder die Kleidung. Doch Ellie wollte ihn nicht unterbrechen. »Ein Wanderer hingegen unterliegt anderen Regeln. Mithilfe seiner Magie und eines Traumfängers kann er die Wirbel durchschreiten - wirklich und wahrhaftig.Natürlich ist auch ein nicht-physischer Ausflug wie deiner nicht ganz ohne Risiken. Deine Seele ist unglaublich verwundbar während du hier bist - wie eine Raupe, die aus ihrem Kokon gerissen wurde. Geschieht dir hier etwas, wirst du nicht mehr aufwachen.« Nicht die Antwort, die sie hören wollte. Die Erinnerung der Alben blitzte vor ihrem inneren Auge auf. Die scharfen Krallen, die sich nach ihr ausgestreckt hatten … und der tiefe Sturz von der fliegenden Insel.»Warum waren die Alben in Lacrimosa überhaupt hinter mir her? Du sagtest, sie verlassen niemals die Stadt, aber sie sind uns bis auf das Boot gefolgt … und noch weiter. Sie machten mir auch nicht den Eindruck, als hätten sie bald von uns abgelassen. Und das mit dem Parfum kaufe ich dir übrigens nicht ab.«»Gute Frage … die Antwort kann ich selbst nur raten. Vielleicht waren sie hinter dir her, weil du ein Mensch bist, dein Seelenfeuer könnte sie angelockt haben. Sie könnten auch mich gejagt haben, ich bin in Lacrimosa nicht unbedingt beliebt. Genau genommen hat seit dem Aufstieg niemand mehr die Stadt betreten.«»Was - «»Nur noch eine Frage! Wir wollen uns hier schließlich entspannen!« Er streckte ihr die Zunge heraus und Ellie spielte mit dem Gedanken, ihm Rem an den Kopf zu werfen. Da es ihr leicht überzogen schien, dachte sie lieber nach. Am liebsten hätte sie nach dem Wandler gefragt, aber sie ahnte, dass sie keine Antwort bekommen würde.»Du hast von den Wirbeln gesprochen - was genau ist das?«»Uralte Magie. Sie sind die Barriere, die unsere Welten trennt. Sie sind unglaublich mächtig.«»Die Barriere aus der die Wanderer ihre Kraft ziehen - das hat Palyk gesagt.« Layan nickte und Ellie realisierte, das auch eine andere Geschichte zu allem passte. »Die Erzählung über die Götter … von Lysanna, die gestorben ist und nun ihre Brüder voneinander trennt. Ist das eine Metapher für die Wirbel?«»Maleechi,« murmelte der Tänzer und deutet auf den dunklen Horizont. Dann berührte er den Grund, fasste eine der unzähligen Blumen, die überall aus dem Boden sprossen. »Und Mavis.« Er pflückte sie vorsichtig, hob die feingliedrige, blaue Pflanze vor sich, als wollte er selbst eine Barriere zwischen den Welten schaffen. »Zwei Brüder, durch die Wirbel für immer voneinander getrennt. Gezwungen, die, die sie liebten, jede Nacht vor Augen zu haben. Ihr Hass hat sie jeder Chance beraubt, sie jemals wieder in den Armen zu halten.« Wieder streckte er seinen Arm vor, diesmal in Ellies Richtung. Ihr Atem stockte, als seine Finger ihre Haut streifte. Die Blume steckte er hinter ihr Ohr, schob dabei sanft ihre Haare zur Seite. »Ich bin froh, dass Lysanna den Wanderern diese Gabe schenkte. Ohne sie, wäre nie auch nur ein Mensch so nah an unsere Welt gekommen.« Keiner von ihnen hatte wirklich gemerkt, wie nahe sie aneinander gerückt waren.»Es ist wunderschön hier.« Ellies Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Hätte ich mir je eine Traumwelt ausmalen müssen - ich hätte nichts erdenken können, das auch nur halb so magisch wäre.« Sie streifte die Blume in ihrem Haar zurück, schloss die Augen und genoss die Brise, die über ihre Haut strich. Der gleichmäßige Atems des Tänzers, die Wärme die von ihm ausging all die Geborgenheit, die in diesem einen Moment lag, schien ihr Herz mit Feuer zu erfüllen. Als sie wieder aufblickte, lag ihre Hand an Layans Wange. Seine Augen strahlten im Dunkel der Nacht und er öffnete die Lippen, versuchte zu sprechen … doch ihre Hand verblasste. Er griff danach, umfasste sie mit seiner eigenen. Betrübnis huschte über seine Züge, während Ellie von dem vertrauten Schwindel erfasst wurde.»So sehr ich es hier liebe - « Eine Wahrheit, die sie erst in diesem Moment erkannte. »Ich bin froh, dass wenigstens ich mich darauf verlassen kann, jeden Morgen wieder aufzuwachen.« »Wie meinst du das?« Layan runzelte die Stirn, während Ellie unaufhaltsam weiter verblasste. »Wie mein Vater. Er schläft schon drei Wochen, seit dem Abend - « Mit diesen Worten ließ sie den verblüfften Tänzer zurück.