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Grenzen. Sorin Mirel Constantin
Читать онлайн.Название Grenzen
Год выпуска 0
isbn 9783750225732
Автор произведения Sorin Mirel Constantin
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wie aus heiterem Himmel hörten die Fragen nach anderthalb Stunden auf, als hätte es wie in der Schule am Ende des Unterrichts geklingelt.
»Auf Wiedersehen, wir hören noch voneinander.« Und wieder das freundliche Lächeln der beiden.
Der große Fluss
Er hatte sich den ganzen Tag und fast die ganze Nacht über um nichts anderes gekümmert als um das Lenkrad und die Pedale des neuen Autos, das er fuhr, so schnell er konnte, so weit er konnte. Sie waren zeitig von Thessaloniki aufgebrochen zu einer Route, die sie noch nicht gefahren waren – quer über Bulgarien, staubig und grau, nichts in Erinnerung geblieben –, um so früh wie möglich an die Grenze zu kommen, um die Donau zu überqueren und dann auf eine andere Luft zu hoffen.
Der Grenzposten. Für einen Moment hatten sie den Eindruck mitten in einem Western zu sein, fast hörten sie Spiel mir das Lied vom Tod. Die Luft schwer und klebrig. Wie gefilmt durch einen milchigen Filter. Hitze, die dadurch sichtbar wird. Die paar Grenzsoldaten, verschwitzt, rauchend und um sich spuckend, bewegten sich langsam wie die Pistoleros vor einer Schießerei in einem Western, wo dann sehr schnell der eine oder der andere tot umfiel.
Keiner schien sie und ihr Auto zu bemerken, obwohl es keinen anderen Wagen da gab. Sollten sie es wagen, aus dem Auto auszusteigen und sich erkundigen, warum sie nicht ihre Pässe kontrollierten? Nein, du darfst sie nicht provozieren, sie könnten ja heftig reagieren, sie könnten uns vielleicht daran hindern, die Grenze zu passieren. Einen Grund würden sie schon finden.
Fast eine Stunde, sie wurden aber nicht ungeduldig, im Gegenteil, sie übten sich im Warten, höflich grinsend, als wäre das ihre eigentliche Aufgabe, dort an einem gottverlassenen Grenzübergang zu warten, bis einer der Grenzsoldaten, die ersten drei oder vier Knöpfe der Uniform offen, eine kleine gelbe Birne mit rosarotem Fruchtfleisch im Mund, zu ihnen schlendern würde.
»Ihre Dokumente!« Die Stimme klang wie ein eiskalter Wasserstrahl. Sie wussten, was folgen würde.
»Alles raus, das Kind auch!« Keine Widerrede. Ob sie das Olivenöl, die Kühltasche mit dem vielen Schweinefleisch, es waren acht Kilo, die zehn Kilo Mehl und die zehn Kilo Zucker wieder mitnehmen würden? Oder waren auch diese der Zoll zum Überqueren des legendären Flusses?
»Ja, wissen Sie, das alles ist für unsere Eltern, sie sind Rentner, denen geht es nicht so ...«
»Ja, ja, gut, gut«, der eiskalte Wasserstrahl im Nacken, wie eine scharfe Axt.
»Packen Sie nur alles aus, der Wagen muss leer werden.« Interessierte sie eigentlich nicht, was wir alles aus dem Wagen ausgepackten? Sie warfen kaum einen Blick darauf. Inzwischen waren es drei Grenzsoldaten, die den Wagen mit Unterbodenspiegeln inspizierten, die Polster der Sitze wurden fast rausgerissen.
»Motorhaube auf! Öffnen Sie den Luftfilter!«
Er hatte keine Ahnung, wo der Luftfilter war, er wusste aber, dass er keine Schraubenzieher dabeihatte, sie hätten ihm bei einer Panne sowieso nicht geholfen.
»Wie, keine Schraubenzieher?« Das Gesicht des Grenzsoldaten nahm menschliche Züge an, er stand da wie ein Schüler, der an der Tafel eine Übung lösen sollte, die er überhaupt nicht verstand. Er versuchte schnell wieder den eiskalten Ton zu finden.
»Wissen Sie, ich könnte die Produktion dieses Wagens sofort stoppen.« Da war Alexandru derjenige, der an der Tafel stand, verblüfft, nicht wissend, was er sagen sollte, ob er überhaupt etwas bemerken sollte.
»Diesem Wagen fehlt die vorschriftsmäßige Öffnung im Unterboden! Die Produktion wird gestoppt.« Alexandru verstand von diesen Worten nichts. Die Produktion dieses neuen Modells im riesengroßen Werk irgendwo bei Paris, zweieinhalbtausend Kilometer von diesem nach Schweiß und faulem Obst stinkenden Ort stoppen lassen? Sein Gesichtsausdruck gab dem Soldaten, oder war es ein Offizier, die Gewissheit, dass er sein Ziel erreicht hatte. Alexandru musste erkennen, wie wichtig dieser kleine Ort war, wie einflussreich Grenzsoldaten an einem rumänischen Grenzposten an dem großen Fluss sein konnten. Vor allem in dieser Zeit, in der der große und übermächtige Conducator sowieso überall auf der Welt eine entscheidende Rolle in der internationalen Politik spielte. Das hatte Alexandru vergessen, er hatte in den letzten vier Jahren, seit er das Land verlassen hatte, nichts mehr über den Titan der Karpaten gehört, nichts mehr hören wollen.
Im Bauch der blinden Kuh
Nach fünf Stunden durften sie die Grenze passieren. Es war schon Nacht, sie wollten Geld wechseln, alle Wechselbuden waren bereits geschlossen, oder man konnte sie gar nicht sehen in der tiefen Dunkelheit dieser Nacht, in der man kein einziges Licht sehen konnte.
Sie fuhren weiter, sie waren sich nicht sicher, ob sie der Straße folgten oder ob sie auf steinhartem Acker fuhren. Waren die Nächte immer so dunkel gewesen, als sie noch in diesem Land gelebt hatten? Sie hatten das Gefühl, als befänden sie sich im Bauch einer blinden Kuh auf einer holprigen Straße, voller Schlaglöcher, die man nicht meiden konnte, und als drängen sie tiefer und tiefer in den Bauch dieser blinden Kuh. Immer stärker befiel sie das Gefühl, dass dieser Weg nirgendwohin führen konnte, so wie sie damals dachten, dass ihr Leben in einem dunklen Tunnel verlaufen würde, in dem es ab und zu kleine Lichter gab, Glühwürmchen in ihrem Leben. Sie wollten aber kein Würmchen sein, sie wollten raus aus diesem Käfig. Alexandru war aber überzeugt, dass er sein Leben lang nicht aus diesem Land fliehen könnte, dass er nie das Land von Voltaire und Diderot, dessen Sprache er studiert hatte und liebte, dass er nie das Globe Theatre, von dem er oft beim Lesen von Shakespeares Stücken geträumt hatte, jemals besuchen würde. Er hatte sich manchmal gefragt, ob diese Namen, diese Bilder – Tour Eiffel, Buckingham Palace, New York City –, ob sie überhaupt als ein Turm, oder ein Schloss oder eine riesige Stadt existierten, oder ob sie nur Erfindungen eines Regimes waren, die den Eindruck erwecken sollten, dass es auch etwas anderes gebe als die Lüge und den Staub und die Dunkelheit, in der sie lebten. Aber warum sollten sie das?
Schmetterlinge
Durch die schmutzige Windschutzscheibe entdeckten sie plötzlich einen leuchtenden Schmetterling mitten auf der Landstraße, die nach Bukarest führte.
Ziemlich groß für einen Schmetterling! Und plötzlich streckt dieser riesige Schmetterling einen schwarz-weiß gestreiften Rüssel aus, bewegt ihn von unten nach oben und zurück. Langsamer fahren, noch langsamer! Der Schmetterling hat einen langen dunklen Schwanz, nein, es sieht aus als hätte er Füße, er hat Füße, er trägt sogar eine Mütze mit einem goldenen Stern auf der Stirn.
Ein Polizist mit einer leuchtenden über der blauen Uniform gestülpten Weste. Anhalten. Das Fenster auf der Fahrerseite geht langsam runter, er dreht an dem Hebel so vorsichtig, als wäre es verboten das Fenster schnell zu öffnen. Der Polizist, ein sehr junger Mann in seiner zu weiten Uniform, ein Kind, das jetzt Mann spielt. Mann in blauer Uniform mit einem schwarz-weiß gestreiften Knüppel in der Hand. Seine Bewegungen sind schleichend wie die eines Tieres, das seine Beute mit seinen Augen lähmt, bevor es zuschlägt. Er nähert sich, sieht sich den Wagen von allen Seiten sehr aufmerksam an. Ein souverän gespielter Kennerblick, der jedes Detail analysieren und katalogisieren kann. Ob sie rumänisch verstünden, fragt er in einem Ton, als stünde er in einem Verhörsaal vor einem gemeinen Verbrecher, der jetzt zum Geständnis gezwungen wird.
»Welches Zeichen haben wir hier am Kontrollposten?«
Alexandru entschuldigt sich, er habe nichts sehen können in dieser Dunkelheit. Sie sollten es besser wissen, sie verbringen schließlich ihre Zeit hier am Kontrollposten.
»Dokumente!«
Mit den Reisepässen von Anna und Alexandru in der Hand bewegt er sich mit seinen schleichenden, sicheren Bewegungen, wie in Zeitlupe gedreht, zur Front des Wagens. Er schaut sehr genau auf das Nummernschild, vergleicht