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grauen immer adrett angezogenen Diener der Diktaturkrake bei so einem Satz aufgeben. »Ich nehme meine Spielsachen und gehe«, das ist kein Satz für die geschulten Henker der Staatsmacht. Sie versuchen es mit Sicherheit anders. Staatsicherheit, Securitate.

      Der Rumäne sagt: »Geduld und Tabak«. Als könnte ihm das helfen.

      Er zerdrückt in seinem Aschenbecher die kleinen, zylindrischen Formationen der Asche, die von seiner Zigarette herabfallen. Er zerkleinert sie, als wären sie in der ursprünglichen zylindrischen Form bedrohlich. Er scheint vor ihnen Angst zu haben. Sein Blick verrät aber, dass er geistesabwesend ist, dass diese Bewegung automatisch ist und er nicht nach vorne blickt, sondern tief in die Vergangenheit, er erinnert sich. Er will es nicht, er verdrängt es, aber es hat sich so viel angestaut. So wie sich Regenwasser in einem Regenwasserkübel während eines regnerischen Sommers sammelt und irgendwann, wenn die Pflanzen nicht damit bewässert werden, überläuft und Pfützen um den Kübel bildet, die bei Sonnenschein schnell verdunsten und doch Spuren hinterlassen. Getrockneter Schlamm, dunkel und unergründlich, bereit, beim nächsten Regen neue Pfützen zu beherbergen. Er wartet. Er sucht und versucht in diesem Schlamm die Antwort für die jetzige Situation zu finden.

      Wie ist er in diesen Schlamm gelandet? Er erinnert sich ungern und doch flimmern ihm Bilder vor den Augen, Bilder, die er verdrängt hatte, die er gelöscht geglaubt hatte.

      Im Schlamm gelandet

      Schmierig, fett und doch sympathisch war Jogo, der Kamerad beim Militärdienst dort oben im Norden des Landes an der Grenze, den sie, die drei Freunde, Alexandru, Tomi und Janos, bekehren sollten. Er war Zeuge Jehovas, und das passte nicht ins Schema des Regimes.

      »Das ist doch Aberglaube, oder? Wir müssen ihn davon abbringen. Ihr helft doch mit, oder? Nehmt ihn mit, wenn ihr in die Stadt geht, er soll mit euch ein Bier trinken und vielleicht könnt ihr für ihn ein Mädchen finden, oder? Dann wird er merken, dass das wahre Leben mit Saufen und Ficken besser ist als das mit strengen Regeln der Zeugen Jehovas, oder? Jungs, unterschreibt hier, dass ihr euch um ihn kümmert und wir übernehmen die Kosten. Soviel ihr wollt.« Sie unterschrieben. Sie unterschrieben alle, einer nach dem anderen und wurden zu IMs, ohne es zu wissen, sie rutschten in diesen Schlamm, in den sie die Machtkrake hineingezogen hatte, ohne dass sie es merkten. Sie warfen sich gegenseitig kaum Blicke zu. Sie waren plötzlich Rädchen in einem System, das sie verabscheuten.

      Jogo kam mit ihnen, er musste nicht saufen, er musste auch nicht mit irgendeinem Mädchen ins Bett gehen. Die Berichte jedoch waren voller Bierkrüge und Orgien, Jogo freute sich mit jedem neuen Mädchen und bald fing er an, selbständig danach zu suchen. »Mission accomplished«, dachten sie, die drei Freunde, Alexandru, Tomi und Janos. Sie sprachen nie wieder miteinander darüber, was sie in den nächsten Jahren wegen dieser Unterschrift zu erleiden hatten, wie oft sie von Oberst Soundso besucht wurden. Einmal war er klein und trocken, dann groß und äußerst zuvorkommend, und jedes Mal mussten sie reden und reden, ohne wirklich etwas zu sagen. Ständig mit der Kralle im Nacken. Wann würde die »Staatsnacht« zuschlagen, wann würde sie sie erschlagen?

      Der Lieblingsgast

      Ein einziger Tag verging, ohne dass das Telefon klingelte. Es klingelte aber an der Tür. Es war Mias und Victors Lieblingsgast, versteht sich: Oberst Pascu von der Securitate. In Zivil versteht sich. Ein breites Lächeln im Gesicht, wie immer, sagte Mia später. Dieses Lächeln, das Mia und Victor Eiswasser durch die Venen fließen lies und sie zu einem gequälten Lächeln zwang, wie das der Puppen im Puppentheater, denen ein Grinsen ins Gesicht gemalt wird, und die sich kaum anders bewegen können, als der Puppentheaterspieler ihnen erlaubt. Oberst Pascu begleitete Mia und Victor seit Anna und Alexandru das Land verlassen hatten, er besuchte sie treu jede Woche, brachte mal Kuchen mit, mal amerikanische Zigaretten, mal Kaffeebohnen. Kleine Aufmerksamkeiten. Er wollte nichts von Mia oder Victor erfahren, er fragte nur ab und zu, wie zufällig, wie es den Kindern gehe, ob sie dort eine Wohnung und Freunde gefunden hätten, so wie ein guter, treuer Freund eben fragt.

      An diesem Tag wollte er auch mit Alexandru sprechen, plaudern über dies und jenes, nichts Wichtiges, nur plaudern. Am Ende seines Besuches, als Alexandru ihn zur Tür begleitete, sagte er kurz und sehr deutlich, obgleich er fast flüsterte:

      »Ich erwarte Sie um 16 Uhr im Hotel Continental, Zimmer 101.«

      »Wieso?«

      »Ich möchte ein Gespräch mit Ihnen führen, über wichtige Sachen.«

      »Aber …« Er hatte Alexandru schon den Rücken zugekehrt und ging schnell die paar Meter bis zum Tor. Vor dem Haus wartete ein schwarzer Wagen mit Chauffeur in Uniform, versteht sich.

      Ein Kloß in Alexandrus Hals. Was sollte er tun, sollte er Anna und den anderen etwas davon erzählen? Er sagte nichts. Sie sollten es besser nicht wissen. Sollte er die Einladung annehmen? Sie hatte wie ein Befehl geklungen, gezischt zwischen den gelblichen Zähnen des Oberst Pascu, wie eine drohende Geste, Zeigefinger und Mittelfinger von links nach rechts in einer kurzen, raschen Bewegung in Höhe des Adamsapfels. An wen gerichtet? Waren auch Mia und Victor in Gefahr? Alexandru wollte die beiden nicht in eine bedrohliche Lage bringen. Seine Entschlossenheit, die er bis dahin gezeigt hatte, war gebrochen. Er entschied sich, dorthin zu gehen.

      Um Viertel vor vier wolle er ein wenig spazieren gehen, sagte er, ein paar Fotos in der Altstadt schießen, nichts anderes, nicht länger als eine Stunde.

      Die Tür des Zimmers 101 ging sofort auf, als er kurz anklopfte. Oberst Pascu war nicht allein da. In einem der drei bequemen Sessel um einen kleinen runden Tisch saß eine blonde Frau, gutaussehend, diskret geschminkt, kurzer schwarzer Rock, ein Chemisier, gelb, nicht zu tief aufgeknöpft, Stöckelschuhe, schwarz. Lächeln, kalt. Wie gefroren, in Eis gemeißelt.

      »Genossin Oprea, unsere Mitarbeiterin.« Cognac wurde ihm angeboten, nein danke, ich trinke keinen Cognac. Dann aber Kaffee, ja, danke, und Oberst Pascu verschwand, um den Kaffee zu holen.

      Wie geht es Ihnen, wie ist das Leben so im Westen, haben Sie sich schon eingelebt? Sie stand auf, kam etwas näher, blieb hinter Alexandrus Sessel stehen, stützte sich auf Alexandrus Sessellehne und bot ihm mit der rechten Hand eine Kent Zigarette an, in einer Geste, als würde sie Alexandru von hinten umarmen. Keine Berührung. Das Feuer kam aus einem schweren silbernen Feuerzeug von der Seite. Sie setzte sich dabei auf die breite Armlehne seines Sessels und bückte sich ein wenig zu ihm hinunter. Er konnte sehen, dass das Chemisier ein Loch tiefer aufgeknöpft wurde. Er konnte jetzt deutlich ihr Parfüm riechen, es kam direkt aus ihrem Dekolleté. Wie gedrängt in die Ecke eines Boxringes in einem Kampf, den er unmöglich gewinnen konnte, versuchte er sich heraus zu winden.

      »Wissen Sie, ich mag diese Art nicht, ich bin verheiratet.« Mit der Antwort kam auch eine weiche Hand um Alexandrus Hals.

      »Ach, komm, wir wollen doch nur ein paar schöne Momente miteinander verbringen, es wäre bei dir nicht das erste Mal, das weiß ich.«

      Die einzige Möglichkeit, aus ihrer Umklammerung zu fliehen, war aufzustehen und durch das Zimmer zu gehen wie der Löwe im Käfig des Zoos im Jungen Wald, machtlos und schwach, so schwach, dass er nicht einmal brüllen konnte.

      »Was wollen Sie von mir wissen?«

      Bei dieser Frage setzte sich die Frau und griff unter den kleinen Tisch, als würde sie dort etwas suchen. Es dauerte nicht lange, bis Oberst Pascu erschien, drei Tassen Kaffee auf einem Tablett, das er auf den Tisch stellte. Die Mienen der beiden waren nicht mehr weich und schmeichelnd, sie wurden ernst, und das drohende Zischen, das Alexandru kannte, begleitete die Fragen, die jetzt eine nach der anderen kamen, herausgeschossen wie aus einer Schnellschusswaffe.

      »Was wissen Sie über Theo, wo lebt er, was tut er, was wissen Sie über Andrei, wo lebt er, was tut er, was wissen Sie über Mile? Alles gute Freunde von Ihnen, denen Sie geholfen haben zu fliehen. Sie können uns doch nicht sagen, dass Sie nichts über sie wissen. Es ist zu wenig, was Sie uns da erzählen, Sie müssen doch wissen, dass Mile inzwischen beim Radio Freies Europa arbeitet und dass Theo …«

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