Скачать книгу

noch einmal Gelegenheit zu schreiben. Er erhob sich und folgte Herold in die Mühle, im Gedanken weiterhin bei seiner Geschichte. Herold stand dort an einem großen, hölzernen Zahnrad. Doch das bemerkte Jacob nur nebenbei, während er über den Fortgang der Handlung nachdachte.

      »Willst du mir jetzt vielleicht mal helfen?«, hörte er Herold schließlich sagen. Jacob sah ihn an. Sein Bruder lächelte und schüttelte leicht den Kopf. »Aha, bist du jetzt wieder in dieser Welt?« Er klopfte auf das Zahnrad. »Nun pack endlich mit an.«

      Das Zahnrad sah aus, als wäre eine Herde Rinder darüber hinweg gelaufen.

      »Na, das hat wohl auch schon bessere Tage erlebt«, sagte Jacob.

      »Ja, das ist das alte Zahnrad, das zerstört war. Ich habe es einigermaßen repariert, um Geld zu sparen, weil wir noch genug andere Ersatzteile kaufen müssen. Hoffentlich hält es eine Weile durch.«

      Jacob hatte sich dem Zahnrad genähert, begriff aber nicht, was er machen sollte. Herold lächelte weiterhin mild. Er wusste, wie unbeholfen Jacob sich anstellte, wenn es um technische Dinge ging.

      »Du musst es dort anfassen und mit anheben«, erklärte er. »Wir stecken es dann auf diese Welle, die ich schon dafür vorbereitet habe.«

      Er deutete auf ein zylindrisches Bauteil, das in Jacobs Brusthöhe aus dem Durcheinander der anderen Bauteile hervorstand. Oben auf diesem Bauteil saß etwas Rechteckiges drauf. Jacob fragte sich gerade, was es wohl damit auf sich hatte, da erläuterte es Herold schon für ihn.

      »Diese Einkerbung in der Nabe«, er deutete auf eine eckige Aussparung, die oberhalb des runden Lochs in der Mitte des Zahnrads war, »müssen wir auf dieses rechteckige Teil schieben. Dann haben die beiden Bauteile eine Verbindung, mit der die Kraft des Windes übertragen werden kann.«

      »Aha«, sagte Jacob. Da sein technisch begabter Bruder es sagte, musste es wohl stimmen, auch wenn ihm nicht klar war, wie das funktionieren sollte.

      Zusammen wuchteten sie das Zahnrad hoch. Während Herold es scheinbar mühelos anheben konnte, musste Jacob sich enorm anstrengen. Sie schoben es, wie Herold vorher beschrieben hatte, auf diese sogenannte Welle. Für Jacob waren Wellen etwas ganz anderes. Er musste an den See denken und wie ihm beim Beobachten der Wellen immer gute Ideen für seine Geschichte kamen.

      »So, jetzt musst du von außen gegendrücken. Dann kann ich es befestigen.«

      Jacob tat, wie ihm geheißen und stemmte sich gegen das Zahnrad. Herold holte eine große Holzscheibe und schob sie ebenfalls über die Welle. Anschließend nahm er einen Bolzen und schlug ihn mit einem Hammer genau vor der Scheibe in ein Loch, das Jacob erst jetzt bemerkte, quer durch die Welle.

      »Du kannst loslassen«, sagte Herold und grinste über das ganze Gesicht. »Gut gemacht. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Kraft doch in deinem kleinen Körper steckt.«

      Jacob trat von dem Zahnrad zurück.

      »Findest du?« Er war noch gedanklich bei seinem See. »Sag mal, warum heißt das Ding eigentlich Welle? Wir haben doch eine Windmühle und keine Wassermühle. Was haben wir also mit Wellen zu tun?«

      Herold lachte auf.

      »Das Bauteil wird nunmal so genannt, auch wenn wir mit Wasser nichts zu tun haben. Wenn gerade mal wieder Flaute ist, wünsche ich mir allerdings manchmal schon, wir hätten eine Wassermühle.«

      »Ja, das ist schon zu dumm. Wir haben einen ganzen See voller Wasser mit richtigen Wellen vor der Haustür und können ihn nicht nutzen«, lachte Jacob, denn er konnte sich über solche Wortspielereien köstlich amüsieren. »Vielleicht sollten wir, statt zu hoffen, dass dem lieben Gott nicht die Puste ausgeht, lieber das Wasser mit Eimern auf die Flügel schütten.«

      Mit einem Schlag wurde Herold ganz ernst.

      »Was ist?«, gluckste Jacob weiter. »Kannst du solche Scherze über deine geliebte Mühle nicht ertragen?«

      Herolds Augen verengten sich. Er sah aus, als hätte er gerade auf den See geschaut und einen Einfall gehabt.

      »Mit Eimern sagst du? ... hmm.« Er sah zu Boden und machte einige Schritte durch die Mühle, als suchte er etwas, das ihm runtergefallen war. Dann wandte er sich wieder Jacob zu. »Wer sagt, dass wir das Wasser im See nicht nutzen können?«

      Endlich saß Jacob mal wieder an dem kleinen Tisch in seiner Kammer und schrieb an seiner Geschichte. Seitdem Herold ihn am Vortag zum Helfen in die Mühle geholt hatte, war es das erste Mal, denn abends war er so müde, dass er es gerade noch so ins Bett geschafft hatte. Er hoffte, dass er heute ein wenig durchhalten würde, bevor die Konzentration nachließ. Eine Seite hatte er immerhin schon geschrieben und die Ideen sprudelten momentan nur so aus ihm heraus, auch ohne die Wellen des Sees.

      Mit seiner Bemerkung über die Nutzung des Wassers hatte er sich schön was eingebrockt. Permanent redete Herold seitdem von seinem Einfall. Woraus der genau bestand, wusste Jacob immer noch nicht. Er wurde aus Herolds Geschwafel über künstliche Becken und Becherwerke einfach nicht schlau. Es war nur zu hoffen, dass dieses Hirngespinst bald wieder der Vergangenheit angehörte und Herold zur Normalität zurückkehrte. Dann würde das unverständliche Gerede endlich ein Ende haben.

      Nur kurz ließ Jacob sich von diesen Gedanken unterbrechen. Die Ideen für den Handlungsfortgang flogen ihm nur so zu und die Formulierungen flossen wie von selbst aus der Feder. Als Jacob alles um ihn herum ausgeblendet hatte und mit Geist und Seele in seinem kreativen Schöpfungsprozess abgetaucht war, holte ihn plötzlich ein Klopfen an der Tür an die Oberfläche zurück. Schlagartig befand er sich wieder in der Realität. Er musste ein paar mal blinzeln, bevor er das bemerkte und sogleich die Augenbrauen zusammenzog.

      »Ja, was ist denn?«, rief er dann ärgerlich.

      Herold trat herein. Als Jacob sah, dass es ihm unangenehm war, ihn beim Schreiben zu stören, konnte er ihm nicht mehr so richtig böse sein.

      Das erinnerte ihn an eine Situation vor einigen Jahren, als er noch nicht mit in der Mühle gearbeitet hatte, er hatte etwa ein Jahr davor die Schule beendet. Damals hatte Herold ihn auch unterbrochen und ihm danach mitgeteilt, dass er nicht mehr länger nur schreiben durfte und stattdessen in der Mühle mithelfen musste. Für Jacob war eine Welt zusammengebrochen. Zu der Zeit glaubte er noch, dass er nur als Schriftsteller arbeiten könnte, so wie Goethe, und damit sein Geld verdienen. Heute, nach mehreren Werken, die er trotz der Mühlenarbeit nebenbei fertigstellen konnte, wusste er, dass das nicht so einfach war.

      Na, hoffentlich war der heutige Anlass für die Störung nicht ein solch aufrührender.

      »Wir müssen etwas besprechen«, sagte Herold. »Es geht um die Mühle.«

      Oh nein, nicht schon wieder die Mühle. Jacob seufzte. Dann und wann musste er doch mal Ruhe vor der verdammten Mühle haben können.

      »Und bring bitte deine Feder, Tintenfass und ein paar Blatt Papier mit«, ergänzte Herold.

      »Na gut.« Er stand auf, griff nach den genannten Utensilien und folgte Herold in den Raum, den sie Esszimmer nannten, der aber auch für alle sonstigen Zwecke herhalten musste. Er setzte sich an den alten Tisch aus Kiefernholz, an dem Herold bereits saß.

      »Gut«, begann Herold. »Du weißt ja bereits, dass du mich gestern auf eine Idee gebracht hat.«

      »Wieso sollte ich das wissen?«, lachte Jacob. »Vielleicht, weil du seitdem von nichts anderem mehr sprichst?«

      »Ja, ja, schon gut. Aber du wirst gleich verstehen, warum ich so begeistert bin. Diese Idee könnte für uns ein Ausweg aus der Situation sein, in der wir uns gerade befinden.«

      Jacob konnte sich nicht vorstellen, wie das Wasser im See ihre Situation verbessern sollte.

      »Jetzt bin ich aber gespannt«, sagte er und lehnte sich zurück.

      Herold ignorierte seine vorlaute Art und begann zu erklären.

      »Als du gestern meintest, dass man das Wasser aus dem See nutzen müsste und es mit Eimern auf die Flügel der Mühle schütten sollte, hatte

Скачать книгу